Jamal Tuschick - Handarbeit als Herzensangelegenheit

#TexasText/Jamal Tuschick In Opas Todesjahr zog Mutter den ersten Kontrakt mit einer polnischen Devisenbeschaffungsgesellschaft an Land, die sich als staatliches Unternehmen tarnte, sich in Düsseldorf eine feudal eingerichtete Filiale auf zwei ...

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Handarbeit als Herzensangelegenheit

Das Leben war eine Repräsentationsleistung in den Augen meiner Mutter. Romantische Gefühle wurden von ihr als Erfindungen der Gazetten abgetan. Die Ehe und der Betrieb waren Domänen der Pflichterfüllung. Die Haltung bewies den Charakter. Es ging darum, die Folgen falscher Entscheidungen nicht ins Kraut schießen zu lassen.

Kehrte Mutter nach einer Kampfpause zu ihrer angestammten Rolle als Gegnerin ihres Mannes zurück, schnallte sie sich in den Harnisch des Selbstverständlichen. Fünfzehn Stunden in der Aluminiumgießerei die Hitze und den Sauerstoffmangel zu ertragen war eine Selbstverständlichkeit, die sie nicht aushalten musste. Sie sah gern - mit mir an ihrer Seite - Elizabeth Arden zu, wie die Unternehmerin in antiken TV-Reklame-Spots vorgeblich ihre Kosmetik im Tiegel selbst anrührte. Die Suggestion von Handarbeit als Herzensangelegenheit sprach uns beide an.

Die Erwartung ist das Einfallstor der Unzufriedenheit. Vater ließ das Tor ins Schloss fallen und sicherte es mit einem Riegel der Erwartungslosigkeit. Er wirkte ausgeglichen und erschien den Leuten angenehm. Dabei verachtete er sie und traute ihnen nichts zu. Getan ist nur, was du selbst getan hast. Er tarnte seine Verachtung mit Freundlichkeit. Er bürdete sich ein mörderisches Arbeitspensum auf und beschritt ansonsten den Weg des geringsten Widerstands.

In Opas Todesjahr zog Mutter den ersten Kontrakt mit einer polnischen Devisenbeschaffungsgesellschaft an Land, die sich als staatliches Unternehmen tarnte, sich in Düsseldorf eine feudal eingerichtete Filiale auf zwei Stockwerken leistete und alle sechs Monate das für unseren Betrieb jahrelang wichtigste Abkommen neu verhandelte. Mutter reiste allein nach Düsseldorf und erwehrte sich der Wodkaattacken mit Trinkfestigkeit. Sie trank die Polen unter den Tisch. Das ist verbürgt. Morgens um vier zeigte sie sich noch unterschriftsfähig.

Das passte natürlich überhaupt nicht in das traditionelle Rollenverständnis im Rahmen einer türkisch-lasischen Sozialisation. Es ging darum, dass es jemand tun musste, und mein Vater sich außerstande sah, durchsetzungsfähigen Persönlichkeiten die Stirn zu bieten. Ihn hatte Opas Machthunger ausgezehrt. Niemand würde so etwas je zugeben, aber wir waren gewiss nicht die einzige unternehmerisch erfolgreiche Gastarbeiterfamilie mit einer Frontfrau.

Mutters hingerissenen Vertragspartner verewigten ihre Trinkfestigkeit in einem Lied. Im Gegenzug garantierte Mutter den Funktionären festliche Wochenenden in einem Fünfsternehotel. Sie stellte für ihre Cashcow eine fürstliche Bewirtung sicher. Die Familie spielte mit. Der Gatte und die Kinder traten wie Komparsen in einer Operette auf. Familie gehört in Polen wie überall in Osteuropa zum Geschäft. Osteuropäer interessiert der Hintergrund ihrer Geschäftspartner. Sie erkundigen sich nach der Familie, um zu erfahren, ob der Andere zurzeit auf der Höhe seiner Intelligenz Entscheidungen treffen kann, oder abgelenkt wird von Dingen, die schwerer wiegen als das Geschäft.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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