Jamal Tuschick - Pausbackige Weltaneignungen und evangelische Hausmusik

#TexasText/Jamal Tuschick „Gewöhnlich schreibt man dem das Werk zu, der die letzte Hand daranlegte. Daher trägt ein Tölpel so oft den Preis davon, wenn er geschickt genug ist, zu einer Geige den mangelnden Bogen zu verfertigen.“ Ludwig Börne

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Evangelische Hausmusik

Niemand zweifelte daran, dass bis an unser aller Lebensende die Suchscheinwerfer der Grenzanlagen Lichtschneisen in die Dunkelheit schneiden würden. Das DDR-Grenzregime leistete fantastische Theaterarbeit. Leute, die in der Provinz außerdem Theater machten, ich rede nicht von Fulda und Gießen, sondern von Weilern an Werra und Weser und im Sumpf der Auen halb versunkenen Gemeinden, wurden oft als problematische Persönlichkeiten wahrgenommen. Den Stigmatisierungen zum Trotz gab es solche Enthusiasten. In der Regie der Matriarchin Sieglinde brachte die Familie Rauschenbach Singspiele nach Grimms Märchen auf die Gemeindehausbühne.

Die Rauschenbachs machten Familientheater. Das war ein Rahmen für Geselligkeit. Sieglinge konnte kein Hang zum Höheren nachgesagt werden. Sie nähte gern Kostüme und verkleidete sich gern. Sie besaß Improvisationstalent und Spielwitz. Der gute Wille in allen Lagen, die Standfestigkeit und der gesunde Menschenverstand entlarvten sich in den Inszenierungen als pausbackige Weltaneignungen mit dogmatischen Hebeln.

Ferner gab es Country- und Westerntanzwettbewerbe im Landkreis. Drei Schwestern und eine Cousine mit einer evangelischen Hausmusiksozialisation bildeten die Swamp Hedgehogs. In K… und Umgebung kamen die Bluegrass-Combo gut an.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden