Virale Magistralen

Antirassismus Wir haben gigantische Mobilisierungswellen gegen Rassismus, zugleich beobachten wir politische Entscheider, die den außerparlamentarischen Protest ignorieren

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Zu Hunderttausenden auf der Straße und trotzdem nicht gehört?
Zu Hunderttausenden auf der Straße und trotzdem nicht gehört?

Foto: Sean Gallup/AFP/Getty Images

Wir sehen Riesendemonstrationen mit Hunderttausenden, gigantische Mobilisierungswellen gegen Rechts und Rassismus, Tsunamis der Empathie sowie Aufstände der Empörung und des Empowerments auf den viralen Magistralen von #wirsindmehr, #unteilbar #metwo und #metoo. Zugleich beobachten wir politische Entscheider*innen, die den außerparlamentarischen Protest ignorieren. Die Gewählten kriminalisieren Seenotrettung und forcieren die Konzentration von Flüchtlingen in Ankerzentren. Die Beispiele für eine regressiv–repressive Migrationspolitik brachte eine Aktivistin von Solidarity City Berlin zur Sprache: in einer Diskussion im Rahmen der kritnet-Tagung unter dem Titel „Antirassistische Migrationspolitik“ im Kreuzberger Südblock-Aquarium. Sie machte Daniel Tietze klar, dass es in der linken Migrationspolitik keine Alternative zu offenen Grenzen gibt.

Sie sagte: „Die Linke wird den linken Ansprüchen in der Migrationspolitik schwer gerecht.“

Der Staatssekretär für Integration der Linkspartei widersprach nicht. Die Konstellation machte ihn zu einem Gefangenen der Grenzenlosen. Jane Wangari von Women in Exile erntete Applaus für die Feststellung:

„Wir wollen ein Europa ohne Grenzen. Dafür kämpfen wir.“

Wangeri erklärte: „Das Lagersystem ist teurer als es eine dezentrale Wohnraumvergabe wäre.“

In der Lokalpolitik geht es erst einmal um den anonymen Krankenschein, da Teilhabe von der Schule bis zum Sportverein von einer Gesundheitskarte abhängt, die künftig voraussetzungslos abzugeben sei. Tietze erwähnte, dass unversicherte EU-Bürger schon heute in der Stadtmission Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Dorothee Frings, Professorin für Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialrecht an der Hochschule Niederrhein und Spezialistin für Migrationsrecht, grundierte das Gespräch historisch. Der Industriekapitalismus ist seinem Wesen nach ein Vernichter von Grenzen. In der totalen Mobilmachung der Arbeitskraft stören Grenzen. In der Grenzfrage plädierten Strategen des Kapitals in verschiedenen Phasen für absolute Freizügigkeit. Sie wussten schon im 19. Jahrhundert, dass die in der Schrankenlosigkeit florierende Migration nicht zum Nachteil der aufnehmenden Gesellschaften stattfindet. „Wer wirtschaftlich reüssiert“, so Frings, ist willkommen. Folglich zersetzt der Kapitalismus alle Barrieren, die er dann aber wieder will, um die bereits von Bismarck problematisierte „Einwanderung in die Sozialsysteme“ zu unterbinden.

Der Kapitalismus erzeugt diesen Widerspruch. Er kann ihn auch deshalb nicht abstellen, weil er den sozialen Rahmen der Arbeitskraft nicht wertschätzt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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