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Politische Theologie Fragmente einer politischen Theologie - Haviva Pedaya, Trägerin des Gershom-Sholem-Preises für Kabbalah- Studien, deutete gestern Nachmittag im Studio R des Berliner ...

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Fragmente einer politischen Theologie - Haviva Pedaya, Trägerin des Gershom-Sholem-Preises für Kabbalah- Studien, deutete gestern Nachmittag im Studio R des Berliner Maxim Gorki Theaters Franz Rosenzweig im Dialog mit

Udi Aloni

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Der schwache Gott

Gott strafte Ägypten. Wir wissen alle warum. Schließlich kapitulierte der Pharao vor der himmlischen Übermacht und ließ die Juden ziehen.

„Steht auf und geht eures Weges. Aber betet auch für mich. Und Ägypten eilte, das Volk aus dem Lande zu weisen. Und sie (die Zurückbleibenden) sagten: Wir sind alle des Todes.“ (Exodus, 12, 31-34)

Das Staubgewitter des Aufbruchs zeugte eine Idee, die dem Weltgedächtnis nie abhanden kam. Die aufbrechenden Juden sahen sich als Repräsentanten des Lebens – als vitale Kraft. In der Totalität des Gegensatzes versteinerten die Zurückgebliebenen. Sie erlagen der Monumentalität ihrer Kultur. Die Ägypter erkannten das Leben im Tod. Die Ansicht spiegelte sich in ihrer Sakralarchitektur und in dem Bild, das sie sich von der Frau als Gebärerin des Todes machten.

Mit den Juden ging das Leben fort aus Ägypten.

Etwas von der Seligkeit des Sklaven, der weiß, dass er in Gott frei wird, kommt daher. Das Glück offenbart sich im heiligen Gesang und so spät auch im Gospel.

When Israel was in Egypt’s land: Let my people go,

Oppress’d so hard they could not stand, Let my People go.

Go down, Moses,

Way down in Egypt land,

Tell old Pharaoh,

Let my people go.

An diesen Zusammenhang erinnerte Haviva Pedaya. Die ihrer Freiheit entgegenstrebenden pharaonischen Juden … now we are slaves/next year we will be free … konstruieren bereits jene Doppelidentität, die „für alle jüdischen Gemeinschaften in der Diaspora“ konstituierend wird. Pedaya hielt sich zuerst mit der sprachlichen Doppelkonstruktion auf – eine „Mischung aus Vater- und Muttersprache“, insofern Hebräisch in der Zerstreuung als Sakralsprache die Leuchtturmfunktion behält und die Verkehrssprache in ihren Unterbau integriert. Pedaya erwähnte das jüdische Arabisch ihrer irakischen Vorfahren und kam dann zu Rosenzweig, der als Soldat in Skopje 1915 Pessachlieder auf Türkisch und Mazedonisch sicherte, als Belege einer liturgischen Wurzellosigkeit, so sagte es Pedaya.

In der Doppelkonstruktion arbeitet die Spaltung zwischen Religion und Identität. Pedaya sieht darin „die Spannung zwischen Minorität und Hegemonie“. In der diasporischen Gemeinschaft löffelt man zwar Minderheitensuppe, aber als Teil eines monotheistischen Monoliths besitzt man Hegemonialmacht. Rosenzweig formuliert das so: „Das jüdische Volk ist für sich schon an dem Ziel, dem die Völker der Welt erst zuschreiten.“

Der absolute Standpunkt gestattet auch nur absolute Gemeinschaft. Darin wird alles zum Dialog. Nach diesem dialogischen Prinzip kann der Mensch mit Gott hadern und Gott kann schwach sein. Im Christentum hypostasiert sich der schwache Gott in dem ans Kreuz genagelten Jesus. Der Mensch steht ohnmächtig davor. Interessanterweise hielt der aus Kassel gebürtige Rosenzweig den Islam für heidnischen Monotheismus. Er sah die Frontstellungen unserer Gegenwart voraus.

Um den Faden wiederaufzunehmen: Pedaya sagte nicht Love is the answer, but Love me means Give me an answer. Das bedeutet auch, im Streit steckt Gutes.

Drehten sich die Juden auf ihrem Auszug um, sahen sie in Dunkelheit Versteinerte. Ägypten war eine einzige Nacht. Da verehrte man den Widder als töpfernden Gott und ächtete die Lammesser. Die Juden aber aßen ihre Lämmer rituell.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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