Zwischen Hochzeit und Busbahnhof

Literatur Bei den Erkundungen seiner Familiengeschichte verbindet Mati Shemoelof Lyrik mit Prosa.

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Mati Shemoelof und sein deutscher Verleger Rainer Zimmer-Winkel

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Seine Stimme gehört der arabisch-jüdischen Mizrahi-Bewegung. Mati Shemoelof ist eine Spätfolge der orientalischen Diaspora syrisch-iranischer-jüdischer Provenienz. Lange konnte der in Israel geborene und aufgewachsene Autor sich ein kulturelles Unbehagen nicht erklären, das ihm eine aschkenasisch ausdifferenzierte Mehrheitsgesellschaft eingab. Er fand seine persönlichen Spannungen und Spaltungen so wie die Spannungen und Spaltungen seiner Minderheit bei Weitem nicht ausreichend repräsentiert. Er erkannte eine Bereitschaft, die Geschichte der orientalischen Juden unter den israelischen Tisch fallen zu lassen.

Mati Shemoelof, „…reißt die Mauern ein zwischen uns und ihnen“, AphorismA, 30 Seiten, 5,-

Dagegen schreibt Shemoelof. Im Grunde geht es um Heilung durch Benennung und um das Recht einer genauen Bestimmung der Herkunft jenseits der Kontributionsforderungen einer seit Jahrzehnten unter Feuer liegenden Gesellschaft. Shemoelof verbindet Lyrik und Prosa bei seinen Erkundungen der Familiengeschichte. Eine Szene zwischen Hochzeit und Busbahnhof in Haifa vor hundert Jahren fasst er poetisch an.

Der Ton ändert sich von einer Seite zur nächsten. Nüchtern teilt Shemoelof mit: „Am Anfang des 20. Jahrhunderts war mein persischer Großvater gezwungen von Mashhad im Iran nach Palästina auszuwandern.“

Die Migration fällt in eine Zeit der Freizügigkeit. Palästina gehört zum Osmanischen Reich. Das erodierende Imperium kennt keine Reise- und Niederlassungsbeschränkungen. Die europäischen Kolonialmächte scharren mit den Hufen, dem kranken Mann am Bosporus soll mit einem letzten Stoß geholfen werden. Matiyaho Shemoelof respektiert die kolonisierte Gemeinschaft vor Ort, die superdivers ist. Shemoelofs Großvater treibt Handel, er spricht Arabisch und Persisch und residiert bald in einer Villa im Karmelgebirge.

Es gibt keine Abschottungen. Die arabische Mehrheit grenzt sich nicht von den vielen Minderheiten ab. Natürlich liegt das auch daran, dass der arabische Kontext nicht in Frage gestellt wird. Darüber hinaus verspricht man sich aber auch viel von Fremden und heimisch Gewordenen. Sie werden als Bereicherungen und lebende Bibliotheken wahrgenommen. Sie erfüllen soziale und kulturelle Funktionen. Ihr Wissen findet Wertschätzung.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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