Anachronistisches Wunder

Buchhandlung Petra Hartlieb kaufte 2004 eine Buchhandlung in Wien. Statt zu scheitern, schrieb sie Bestseller über ihren Anachronismus

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Buchhandlungen haben nur graue Zukunftsperspektiven? Von wegen. Petra Hartlieb beweist mit ihrer "wundervollen Buchhandlung" das Gegenteil
Buchhandlungen haben nur graue Zukunftsperspektiven? Von wegen. Petra Hartlieb beweist mit ihrer "wundervollen Buchhandlung" das Gegenteil

Foto: Daniel Garcia/AFP/Getty Images

In Wien kann man immer wieder vergessen, dass das Jetzt jetzt ist. Die Metropole an der Donau ist eine Zeitkapsel des Seins, der Gepflogenheiten und scheinbar auch der Wirtschaft. Denn dort schaffte eine ambitionierte Frau es, dem aufkommenden Internet zu trotzen. Nach einem Urlaub in der österreichischen Hauptstadt bot sie, mehr im Spaß, auf eine leerstehende Buchhandlung im 18. Wiener Bezirk, Währing. Und erhielt den Zuschlag. Mit dem Mann, damals in leitender Funktion bei einem großen deutschen Verlag, und den zwei Kindern, galt es nun auch in zivilisierter Welt ein noch sprichwörtliches Abenteuer zu meistern.

Mit Eifer, einer Portion Wahnsinn und tausenden Arbeitsstunden, schaffte Petra Hartlieb das, wovon die meisten BuchhändlerInnen nicht mehr überzeugt sind: ihrer Bedeutung in der Gesellschaft, genauer gesagt in einem Viertel. Mittlerweile vierzehn Jahre später ist nicht nur diese eine Buchhandlung als mutiges Projekt geblieben, nein auch eine zweite, weil doch so schöne, Buchhandlung mit einem trilingualem Warensortiment kam hinzu.

Vierzehn Jahre - zwei Läden - eine Ehe

Verrückt, wie soll das gehen? Vielleicht wurde Hartlieb das zu oft gefragt, zumindest legte sie 2014 bei Dumont dazu "Meine wundervolle Buchhandlung" vor. Dieses oft atemlose Werk über den Aufbau einer zum Scheitern deklarierten Selbständigkeit zieht alle Menschen in den Bann, die Bücher lieben. Denn auch wenn man kein Freund von kleinen Buchhandlungen ist (zu eng, zu intim, zu wenig Auswahl) erlebt man doch die Verve einer Frau, die es sich nicht hat nehmen lassen, ihr Scheitern selbst in die Hand zu nehmen. Mit dem diametralen Ergebnis, Erfolg wider jedes Businessmodells zu haben.

Petra Hartlieb, geboren 1967 in München, aufgewachsen in Oberösterreich, studierte Psychologie und Geschichte. Sie arbeitete danach als Pressereferentin und Literaturkritikerin. Eine Floskel nutzend, könnte man Hartlieb als "Multitalent" bezeichnen, wenngleich es nicht so abgeschmackt rüberkäme. 2011 legte sie auch noch ihr schriftstellerisches Debüt hin, im Diogenes Verlag. Zusammen mit Claus-Ulrich Bielefeld lässt sie im bereits vierten Kriminalroman Fälle in Berlin und Wien klären. Eine Donna Leon von der Donau?

Nicht ganz, denn 2016 veröffentlichte sie bei Rowohlt ihren Roman "Ein Winter in Wien". Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts: Ein Mädchen aus ärmsten Verhältnissen vom Land, dem sozialen Untergang im kalten Wien geweiht, findet über Umwege als Kindermädchen in das Haus von keinem geringeren als Arthur Schnitzler. 2018 folgte die Fortsetzung mit "Ein Frühling in Wien". Der Sommer in Wien, er ist scheinbar nicht ausgeschlossen.

Weihnachten ist der Heilsbringer des Buchhandels. So ist es auch für die Wiener Buchhändlerin. Ihr Mann, der eher menschenscheue Zahlenmensch, rechnet ihr gern vor, dass sie beide als Inhaber erst im Dezember ihr Gehalt verdienten. Wo viel Umsatz, da viel Geschäft. So kommt nun pünklich zum anstehenden Weihnachtsgeschäft der Folgeband "Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung" heraus. Wenn Hartlieb etwas neben dem Warenhandel kann, dann schreiben. Die Geschichten weiterhin schlüssig, bannziehend.

Frohes Fest? Nicht so ganz

Allerdings ist der Folgeband etwas wirr, der dramaturgische Faden fehlt. Denn der erste Band verfolgt eine klare chronologische Linie, in dem auch das Weihnachtsgeschäft behandelt wird. Der nun eigentlich qua Titel dem Weihnachtsfest gewidmete Band springt in einzelnen Kurzgeschichten auf der Zeitachse hin und her. So sperrt sich ihr Mann aus und fährt mit der Tram nachhause, obgleich sie vorher doch schon bereits, wie bis heute, über der Buchhandlung wohnten. Auch erwartet man bei so einem weihnachtlichen Band, dass er unter dem Weihnachtsbaum kulminiert, aber er endet mit einer Jahreszeit unabhängigen Erzählung. Das ist schade, bringt den Lesegenuss aber nicht zum versiegen.

Versiegen tut kurzzeitig die Freude, wenn Hartlieb über das Internet, insbesondere Amazon, räsoniert. Wenn sie, wie im ersten Band, einen Nachbarn im Hausflur stellt und befragt, warum er bei Amazon bestelle. Da neigt der digital versierte Leser durchaus kritisch den Kopf zur Seite. Man wird den Wandel nicht ändern können, die Bequemlichkeit des Menschen ist unaufhaltsam, diese Rezension entsteht auch auf keiner noch so tollen Schreibmaschine mehr. Es gilt zu bedenken, dass der Einzelhandel es dem Kunden auch nicht immer leicht gemacht hat.

Bei aller Freude über die Ergebnisse, gilt es auch nach dem Preis dafür zu fragen, also innerlich. Denn bei allem Eifer, aller Hingabe, so bricht zwischen den Zeilen auch immer wieder der Verdruss über den immensen Verzicht auf Freizeit, Kontemplation und die Zeit für die Erziehung der beiden Kinder durch. War es das wirklich wert? Dazu wird es keine öffentliche Antworten geben, ja gar nicht geben können. Das wird Hartlieb nur für sich, ganz allein, beurteilen können und wollen.

Beurteilbar ist, dass Petra Hartlieb gute Bücher schreibt. Die für den Rezensenten besten spielen dabei in Wien, denn Wien, das ist Hartliebs Stadt. Sei es real oder fiktiv. Den ersten Band "Meine wundervolle Buchhandlung" ist uneingeschränkt empfehlbar, und in der Dumont Pocketedition ein Traum für jede kleine Tasche. Der vorweihnachtlich veröffentlichte zweite Band "Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung" wurde von Dumont wundervoll ausgestattet, liest sich ähnlich gut, doch die Weihnachtsdramaturgie lässt in ihrer Stringenz zu wünschen übrig.

Frohe Weihnachten, Wien!

Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung Petra Hartlieb, Dumont, 160 S., 18,00 €

Meine wundervolle Buchhandlung Petra Hartlieb, Dumont, 208 S., Taschenbuch: 9,99 € - Tipp: das erwähnte Mini-Hardcover, 252 S., 10,00 €

Youtube-Film Dumont über die Buchhandlung (2014): https://www.youtube.com/watch?v=38NMbh8L5xg

Ein Winter in Wien Petra Hartlieb, Kindler/Rowohlt, Taschenbuch: 11,00 €

Wenn es Frühling wird in Wien Petra Hartlieb, Dumont, 176 S., 18,00 €

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