Die Musterfliese

Schreibtische Klaus Siblewski spricht mit Schriftstellern über ihre Schreibtische. Er hat dabei zwei Gegner: Das Cover und Herlinde K.

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Die Musterfliese

Bild: Gerd Altmann/Pixabay

Der Rezensent steht im Baumarkt, er will einen neuen Fliesenspiegel anlegen. Das handwerkliche Können unterliegt gegenüber der Schreibtischtätigkeit. Und so bleibt es erstmal bei dem Entscheiden für eine Fliese. Für eine "Lookrichtung" wie der Verkäufer der Bäderabteilung in einer Vertriebssprache fernab der gesprochenen Sprache ansagt. "Sie müssen sich erstmal für Größe, Oberfläche, Textur und Formschluss entscheiden". Dem Rezensenten waren diese Eigenschaften von Fliesen bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bekannt. "Naja", sagt der Verkäufer, "Sie wollen in Ihrer neuen Küche ja auch richtig performen. Und dazu sollte das Ambiente stimmen." "Ahja", kann da der Rezensent nur sagen und man sieht ihn mit einem Stapel so genannter "Musterfliesen" den Baumarkt (oder wie er ihn nennt: Ort der baulichen Selbstbestimmung) verlassen.

Das sollen also die Muster dafür sein, wie ein Fliesenspiegel eine Kochperformanz steigern oder gar ihr den grundsätzlichen Weg ebnen kann. Fragt sich nur: Können Fliesen wirklich die Kochbegabtheit steigern, gar wecken? Hat der Raum wirklich grundlegenden Einfluss auf das, was am Ende bei rauskommt? Der Rezensent denkt, das er darüber erstmal nachdenken sollte und lenkt in sein Stammcafé, um bei Cortado und Gebäck über den Fliesenspiegel nachzudenken und schaut dabei sogar einen Fliesenspiegel an. Dabei fühlt er sich kurze Zeit wie Abschaffel.

Ort des Geschehens

Woher kommt sie, die Idee? In welcher Atmosphäre entsteht Literatur? Ist es wie ein PC, an dem man die Leistungsdaten ausliest oder ins Gehäuse schaut? Kann man den Ursprung von Kreativität ergünden? Klaus Siblewski macht sich auf und spricht mit Schriftsteller*innen über das angeblich heiligste: ihren Schreibtisch. Leider will der Grove nicht ganz den Rezensenten ergreifen, obgleich er sich gerne für das "Setting" interessiert.

Herlinde Koelbl hat hier vor über zwanzig Jahren das Ur-Meter des Hausbesuchs bei Schreibenden vorgelegt: Im Schreiben zuhaus (Den Titel entlieh sie bei Handke). Gegen dieses opulente Meisterinnenwerk ist der Band in Normgröße leider etwas zahnlos und es schmerzt dies so zu schreiben, denn auch hier liegt viel Liebe und Hingabe vor. Auch scheut sich Siblewski nicht, "spleenige" Fragen zu stellen, um so in die Seelen seiner Gesprächspartner einzusteigen. Es gelingen ihm Zugänge und Offenheit. Er schafft es in die Zimmer, in die meist noch nichtmal Familienangehörige dürfen. Hanns-Josef Ortheil (dessen Buch "Mittelmeerreise" Siblewski lektoriert hat) saugt mit Handsaugstauber unter seiner Glasplatte mit unbegrenzter Aussicht auf einen Wald.

Was machen Bilder?

Eigentlich war das Buch ohne Bilder gedacht. Die Vorstellung der Schreibtische und Arbeitsräume sollte allein durch die Fragen und Antworten in den Köpfen der Lesenden entstehen. Dann entschloss Siblewski final, doch Bilder zu integrieren, was einige Fragen dann als Dopplung erscheinen lässt. Ob das eine gute Idee war? Der Rezensent weiß es nicht. Koelbl hat mit ihrem großformatigen Werk und der ausgeglichenen Melange aus Bild und Textsprache eine Erzählweise gefunden, die das ganze rund machte. Die Abbildung von Schreibwerkzeugen und Detailaufnahmen von Haandschrift und Korrekturen machen es greifbarer für den Lesenden.

Kann Fantasie im Sitzen entstehen?

Natürlich, wenn man sich für einen der Schriftsteller interessiert, mag es interessant sein und auch generell bietet dieses Werk, was qua Inhaltsart kein Kassenschlager sein kann, eine gute Weise der Schriftstellerei sich zu nähern, aber der Rezensent stellt sich immer die Frage: würde ich es empfehlen? Er hat nämlich eine jüngere Bekannte, nennen wir sie "Lisa". Die junge Dame hat lyrische Ambitionen mit inhaltlichem Potential und fragt sich: wie sieht so eine Wirkstätte eines echten Schriftstellers aus? Dabei denkt der Rezensent an seinen Besuch bei Handke in dessen Haus. An das Sofa von Eva Demski und deren Plexiglasregale. Wurde Handke durch seine Niemandsbucht wirklich zum Literaturnobelpreisträger befähigt? Hat der von ihr so geliebte Garten Eva Demski wirklich zur Grande Dame der kleinen Form gemacht?

Dabei ist die Frage, ob Literatur wirklich am Schreibtisch entsteht, und nicht vielmehr woanders. Im Supermarkt, im Café und vor allem: beim Laufen. Der Rezensent vermutet, dass Handke an einem Schreibtisch festgebunden nie solche mäandernde Literatur hätte produzieren können. Kann so ein Buch also wirklich eine Werkgenese begründend abbilden? Wohl nicht, obwohl der Wunsch uns allen innewohnt. Ich mache oder baue es so wie XY und dann funktioniert es. Irgendwo las der Rezensent eine Story: ein Mensch beklagte, er würde gerne Zeichner werden, habe aber kein Geld für Stift und Papier. Eine Dame riet ihm dann: geh´ zu IKEA, da sind die Bleistifte und Papier umsonst. So könnte es auch für den Vorbildscharakter der Schreibstätten gelten: sie sind da, bedeuten aber in keinerweise eine Kausalität zum Geschriebenen. Denn, so weiß der Rezensent, die Texte entstehen im Kopf, nicht an einem Tisch. Talent bahn sich den Weg wie ein Rinnsal durch den Sand. Eine perfekte Ausstattung sorgt noch lange nicht für eine perfekte Leistung.

Preisgespür

Verleger Daniel Kampa wagt natürlich in der Kampa-Salon-Reihe (in der sonst Gespräche erscheinen) den Schritt potentielle Lowseller dennoch zu publizieren und ihnen eine Chance am hart umkämpften Buchmarkt zu geben. Leider ist die Umschlaggestaltung von Jan Kermes in diesem Falle nicht wirklich anheimelnd. Kalt und "hm" kommt sie daher. Der Rezensent sieht eher ein Buch in besonderem Format (auch kleiner oder quadratiger) in organgenem Leinen mit einem eingesetzen Bild eines Schreibtischs mit Weitblick vor sich (so wie das aktuell bei Steidl erschienene Werk von Orhan Pamuk: Orange). Der Preis kommt ebenso fesch daher: 24€. Das ist schon eine Stange Geld, obgleich Joachim Unseld schon vor Jahren in einem Interview mit der Deutschen Welle argumentiert, dass nach der Euroumstellung keine adäquate Preisgestaltung erfolgte. Der Rezensent spürt für ein solches Werk eher einen Preis von 18€.

Welches Werk würde der Rezensent nun "Lisa" empfehlen? Immer Herlinde K.
Das ist das Problem wenn man gegen ein Ur-Meter antritt: entweder eine neue Einheit gleich miterfinden oder leider im seichten Sommerschatten eines Monumentalwerks stehen. Der Rezensent denkt, das Klaus Siblewski das aushält. Denn sein Werk ansich schmälert das nicht.

Klaus Siblewski: Es kann nicht still genug sein, Kampa-Verlag, 24€

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