Im warmen Mantel der Erinnerung

Rezension Martin Suter legt den ersten Roman vor, nachdem sich sein Leben radikal verändert hat

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Suter meinte im Nachruf auf seinen Entdeckungsverleger Daniel Keel, nur wenige Menschen hätten sein Leben verändert, Keel gehöre aber dazu. Dieser rief ihn kurz vor dem Jahreswechsel 1996 in Guatemala an, und teilte in leisem Timbre mit, er wolle sich für Suters Debüt mit dem Titel “Schneebälle im Mai” starkmachen. Der Rest ist mittlerweile Geschichte: Das Buch kam unter dem von Keel initiierten Titel “Small World” heraus, verkaufte sich mehr als eine Million mal und wurde mit einem einstmals angesehenen Schauspieler verfilmt. In diesen kleinen Kreis lebensverändernder Menschen wird neben Verleger Keel, Suters Frau gehören. Er lernte sie 1975 durch einen Honigtopf in Basel kennen – und dann lieben. Als Margrith Nay Suter am neunten Mai letzten Jahres - zumindest für die Öffentlichkeit - unerwartet verstarb, endete das bisherige Leben Suters - erneut. 2009 endete für ihn schon einmal sein vorheriges Leben, als im Sommerurlaub sein Sohn in Zürich durch einen Unfall verstarb. Das Leben gehe nach solchen Schicksalsschlägen nicht weiter, es begänne ein neues, erklärte er der NZZ in seinem ersten Interview nach dem Tod seiner Frau, die viel mehr war als nur die „Frau von“. Sie las jedes seiner Manuskripte akribisch, und Suter, der Gentleman, wartete geduldig voller Ungeduld auf das Urteil seines, wie Thomas Bernhard formuliert hätte, Lebensmenschen. Sie war seine erste Lektorin und einfühlsamste Kritikerin. Während er Bestseller um Bestseller schrieb, regelte sie ihrer beider Leben zwischen Zürich, Ibiza und Guatemala und setzte als Bauherrin ganz eigene, emanzipierte Akzente.

Routinierte Präzision

Das erste Exemplar seines vorletzten Romans „Melody“ konnte er ihr noch widmen und sie ihn wiederum von einem geänderten Schluss des Textes überzeugen. Suter ist ein penibler Schreiner seiner Geschichten, kein erster Satz ohne den letzten, ist sein Credo. Probiert hat er es dennoch, es endete in der Frage seiner Lektorin, wie es den Margrith fände - das Buch ist nie erschienen. Es sollte “Laguna del Memoria” heißen. Suter fand den Titel formidabel, Margrith nicht. Suter hat zumindest den Beginn der Geschichte auf seiner Website mittlerweile preisgegeben. Er ist ein Mensch, der neben stilistischer Konstanz das Neue wagt, auch wenn es ungewohnt daherkommt. Bei seiner Website hatte er die Wahl, bei seinem Leben, nicht. Und so erscheint sein neuer Roman “Allmen und Herr Weynfeldt” als eine geschriebene Wegmarke eines Lebensabschnitts, der frei von Wunsch, aber voll von unabänderlicher Wirklichkeit ist. Zu Suters unabtrennbarer Wirklichkeit gehört aber auch immer das Schreiben, es ist seine Möglichkeit, lautstark an der Welt zu partizipieren. Er ist ein sehr leiser Mensch, in allen seinen Facetten. Er spricht so leise und sanft, dass man manchmal die Ohren spitzen muss, ihn zu verstehen, wenn er im schweizerischen Singsang Antworten auf Fragen gibt. Und er ist ein verlässlicher Korrespondent, der keine Antwort schuldig bleibt und frei von jedweder Erfolgsallür ist, die vor allem Autoren ergreift, die von Suters Erfolg nur im nächsten Mitleidsstipendium träumen. Er schreibt mit routinierter Präzision, acht Stunden am Tag, im Maßanzug und mit zurückgegelten Haaren. Man könnte das verwegen nennen – oder einfach Ich-kongruent.

Eine Figur zum Aushalten

Für die Kenner Suters stand unweigerlich die Frage im Raum, wie es mit ihm und seiner Werkgenese weitergeht. Drei Monate zog er sich mit seiner Tochter Ana nach Rom zurück zum Trauern in eine Szenerie, die der Endlichkeit des Menschen eine gewisse physische Ewigkeit entgegensetzt. Und er hat weiter geschrieben, wie damals, 2009. Man könne, zumal mit einer Tochter, “den Laden (= sein Leben) nicht ein paar Wochen schließen”, sagte Suter 2017 in einer Reportage von Mario Armbruster anlässlich seines siebzigsten Geburtstags. Suter hat eine Bucketliste, er möchte in allen Genres reüssieren. Was in seinem semi-fiktionalen Roman über Bastian Schweinsteiger der literaturkritischen Schmähung anheim fiel, kann nun ein Übersprungsfunke in eine Werkschaffung ohne seine Frau münden, die ihn achtundvierzig Jahre begleitete und mit der er fünfunddreißig Jahre verheiratet war.

In seinem neuen Roman wagt er wieder etwas neues ohne zu weit ins Meer herauszuschwimmen. Suter verwebt zwei seiner bereits existierenden Erzählwelten: Er lässt seinen dauerklammen Bonvivant und Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen auf sein vermögendes Spiegelbild Adrian Weynfeldt treffen. Das hat deshalb so einen Reiz für Suterianer, da der Autor die Figur des Allmen aus einer Rippe des Weynfeldts geschnitzt hat. Er wollte sich für das Genre seiner Krimi-Reihe mit einer Figur umgeben, mit der er es gut aushalten könne, und so wurde vor über zehn Jahren aus dem vermögenden, stets in jeder Weise korrekten Weynfeldt, der in finanzielle Untiefen geratene Allmen, der sich mit allen Tricks im Wohlstand halten will. Beide Figuren zeichnet aus, dass sie viel von Suter selbst atmen, wenngleich er dies mit einem kleinen Lächeln seines Mundwinkels leise verneinen würde.

Eine ziehende Traurigkeit

Nun kann eine solche Verkupplung bereits etablierter Erzählwelten scheitern, sie tut es aber nicht. Mag der Plot keine Riesenüberraschungen vorhalten, muss er das aber auch nicht, da das Buch aus seiner atmosphärischen Dichte herauslebt. Denn für die meisten Leser Martin Suters ist die Handlung zwar relevant, wichtiger ist aber der Eintritt in eine herrlich situierte Welt. Wenn unwissende Kritiker monieren, es ginge zu oft und zu detailreich um gustatorische Genüsse, zu dekadent und versnobt zu, rufen Suter-Leser: Zum Glück! Bei aller Freude über die Fortführung des Werks, erkennt man zwischen den Zeilen eine ziehende Traurigkeit, was dem Leseerlebnis aber keinen Abbruch tut, da es zum Leben von uns allen gehört; die guten und die schlechten Zeiten. Suter hat, wahrscheinlich vollkommen instinktiv, genau die richtige Entscheidung getroffen, sich mit seinen beiden Lieblingsfiguren zu umgeben und mit ihnen das erste Abenteuer zwischen zwei Buchdeckeln zu wagen, ohne dass seine Frau auf Erden die erste Leserin ist.

Martin Suter: Allmen und Herr Weynfeldt, Diogenes Verlag, 26 € bzw. 35 CHF*
Auch als Hörbuch erschienen, gelesen von Gert Heidenreich, Diogenes Verlag, 22 € bzw. 30 CHF*

Weitere Informationen auch auf Martin Suters Website: martin-suter.com

* unverbindliche Preisempfehlung des Verlags außerhalb von Deutschland

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