Klein, aber glücklich

Slowenien Wie sieht es aus, das gute Leben? Im wohlhabendsten Land des ehemaligen Jugoslawien heißen die Antworten: Modernität, Mobilität und Mülltrennung. Plus Freundlichkeit

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Gute Laune auf Slowenisch
Gute Laune auf Slowenisch

Foto: Jure Makovec/AFP/Getty Images

Die junge Frau an der Bushaltestelle sieht erschöpft aus. Sie trägt ihre blondierten Haare zu einem wilden Zopf gebunden und riecht nach altem Rauch. Ihr Freund arbeite oben in der Lift-Station, sie habe ihn besucht, erzählt sie. Obwohl es erst 8 Uhr morgens und sie sehr müde ist, antwortet sie freundlich. Sie erklärt uns den Fahrplanaushang. Wir plaudern. Sie ist die einzige Einheimische an dieser Bushaltestelle. Sie ist Slowenin. Sie hat 6 Jahre Deutsch gelernt in der Schule, traut sich aber nicht, es zu sprechen. So unterhalten wir uns auf Englisch, was sie auf muttersprachlichem Niveau zu beherrschen scheint. Wie die allermeisten Slowenen der jüngeren Generation.

Und ebenso wie die meisten jungen Slowenen ist sie zufrieden mit sich und ihrem Land. Ja, nach Deutschland wolle sie einmal. Ja, Berlin wolle sie sehen. Aber auf Dauer wäre ihr das zu groß. Zu stressig. Immerhin leben in ganz Slowenien weniger Menschen als allein in der deutschen Hauptstadt. Zwar ist das südosteuropäische Land auch wesentlich kleiner als die Bundesrepublik. Trotzdem leben dort nur etwa 100 Menschen auf einem Quadratkilometer, wohingegen es in Deutschland, Großbritannien oder der Schweiz mindestens doppelt so viele sind.

Slowenen suchen ihr Glück seltener dauerhaft im Ausland. Die Zuwanderungszahlen in die Bundesrepublik etwa sind rückläufig. 2016 kamen 26,3 Prozent weniger slowenische Staatsangehörige nach Deutschland als im Vorjahr – im EU-Vergleich die größte Rückläufigkeit. Auch sind mehr in der Bundesrepublik lebende Slowenen in ihre Heimat zurückgegangen als 2015.

Im Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen rangiert das Land unter den oberen 50; es gilt als Land mit „sehr hoher menschlicher Entwicklung“. 2016 belegte es Rang 25 (Deutschland: Rang 4). So zeigen die Statistiken, dass die Lebensqualität in Slowenien vergleichsweise hoch ist. Aber die Gründe dafür zeigen sie nicht.

In der Landeshauptstadt Ljubljana ist das Glück fast mit Händen zu greifen. Nicht nur, weil einem lächelnde, zufriedene Menschen im Bus begegnen und eine allseitige, grundsätzliche Freundlichkeit herrscht.

Es beginnt mit einem Mobilitätskonzept, wovon man in Berlin und anderen deutschen Städten nur träumen kann. Ganz selbstverständlich von der zweispurigen Ausfallstraße getrennt führt ein breiter, asphaltierter und etwas eingelassener Radweg ins Zentrum der Stadt. Er verläuft hinter der Bushaltestelle; Konflikte mit ein- und aussteigenden Fahrgästen sind ausgeschlossen. Verunglückte in Berlin kürzlich der dritte Radfahrer in diesem Jahr tödlich, so bietet das gut durchdachte Radwegnetz der slowenischen Hauptstadt kaum Möglichkeiten schwerer Unfälle.

Die Busse der Stadt sind neu. Bezahlt wird per aufladbarer Plastik-Chipkarte. Sitzplätze für ältere Personen oder Menschen mit Behinderungen sind reichlich vorhanden und müssen frei gehalten werden. In deutschen Bussen werden solche Plätze zwar auch ausgewiesen, jedoch wird der Hinweis zum Freimachen des Platzes eher als Empfehlung verstanden.

Sogar an blinde Personen hat man im Mobilitätsbüro in Ljubljana gedacht. An Bushaltestellen sind tastbare Ausschnitte des Stadtplans installiert; Straßennamen sind in Brailleschrift erfassbar.

Alenka Kovic, die in der malerischen Altstadt slowenische Produkte verkauft, meint, es liege am Bürgermeister. Der habe vor etwa 10 Jahren angefangen, die Stadt auf Vordermann zu bringen. „Vorher war hier nichts“, sagt sie in leicht akzentuiertem Englisch. Sie ist etwa 55 Jahre alt, blondierte Bob-Frisur, stattliches Auftreten, großes Herz. Tausende Male am Tag fragt sie Touristen, ob sie zu ihrer Panoramapostkarte noch eine Briefmarke wünschen. Nun fragt sie jemand nach Land, Leuten und Politik. Und danach, wie sie Deutschland findet. Sie seufzt, atmet ein paar mal ein und aus, wird plötzlich nachdenklich. Sie verfällt nicht in die üblichen Phrasen, sondern schildert nüchtern: Deutschland sei schön, sie war mal da. Sie spreche auch etwas Deutsch (sie untertreibt!), aber da länger leben – nein! Damit ist das Thema erledigt. Kovic schenkt slowenischen Weinlikeur zum Probieren nach.

Dieses Jahr stünden Bürgermeisterwahlen an. Sie wirkt beunruhigt. Hoffentlich geht die gute Entwicklung so weiter. Der seit 2006 amtierende Bürgermeister habe die Stadt zu diesem florierenden Ort gemacht. Er rede mit jedem, höre sich alle Vorschläge an. „Wenn du etwas machen willst, gehst du zu ihm, zeigst ihm dein Konzept und los geht's“, sagt sie. Seinen Namen erwähnt sie nicht, dafür aber die Tatsache, dass er aus einer gemischtethnischen Ehe stammt: slowenisch-serbisch. Nein, die Partei, die er hat, spiele keine Rolle. Es seien eher die Geldflüsse und Persönlichkeiten, die die Politik hier steuerten.

Tatsächlich wirkt Ljubljana (deutsch: Laibach) wie ein kleines Paradies. Für seine Einwohner, für Menschen mit Einschränkungen, für Touristen, für Kulturinteressierte, für Jugendliche, für Shopping-Interessierte, Feinschmecker und Umweltschützer. Eine topmoderne Standseilbahn bringt nicht nur japanische Touristen auf das Schloss. Überall verkaufen Einheimische kleine selbstgemachte Souvenirs – auch vom Elektrorollstuhl aus. Konsequente Mülltrennung, die so manche Besucherin ein paar Augenblicke Überlegung kostet. Das Schloss schließlich ist Geschichts- und Kulturort in einem; seiner Restaurierung liegt ein künstlerisch-architektonisch anspruchsvolles Gesamtkonzept zugrunde. Selbst auf dem Aussichtsturm sind Abfallbehälter für Kippen angebracht.

Natur- und Umweltschutz sind in Slowenien keine Nebensächlichkeiten. Sie prägen den Alltag. Ella Klyashitsky, die vor einigen Jahren aus Großbritannien nach Slowenien kam, erzählt, dass die Dorfbewohner mehrmals im Jahr Müll sammeln gingen – auf eigene Initiative. Die junge Frau lebt mit ihrem Mann in der nördlichen Provinz Oberkrain und führt Touristen auf Islandponys durch die malerische Berglandschaft. Von Müll und Unrat ist weder auf dem Land noch in der Stadt etwas zu sehen. An Wanderwegen wurden mit Holz verkleidete Dixi-Klos aufgestellt. Auf dem Camping-Platz fragen grüne, einlaminierte A4-Zettel die Camper, ob sie nicht einen Baum retten wollten, indem sie in DIESEN Mülleimer NUR Papier schmissen. Zwinker-Smiley.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden