Es gab in der Debatte auf Freitag.de ein paar heftige Reaktionen auf meinen Gebrauch des Wortes "Neoliberalismus" und meine Auffassungen dazu. Einige Kommentatoren fanden schnell den assoziativen Weg zu Pinochets Folterstaat oder gar zum deutschen Nationalsozialismus. Das ist überraschend. Offenbar verstehen diese Kommenatoren das Wort "Neoliberalismus" nicht als einen Begriff aus der politökonomischen Sphäre, der ein bestimmtes wirtschaftspolitisches Lehrgebäude bezeichnet, das man mit mehr oder weniger guten Argumenten stützen oder kritisieren kann. Ihnen ist das Wort stattdessen zum politischen Kampfbegriff geworden, den man nur mit Abscheu aber niemals nüchtern verwenden darf.
Es ist darum vielleicht ganz hilfreich hinter das Wort zu schauen. Auf den Gegenstand, der damit bezeichnet werden soll.
Es geht in der Debatte um die Grenzen des Staates. Das Thema liegt ja an, weltweit und in Deutschland. Der Ökonom Rudolf Hickl hat im Freitag gesagt, dass die Bundesregierung in ihrer Politik der Krise gegenüber "völlig orientierungslos" sei und "quasi im Blindflug" handele. Es fällt der Politik offenbar schwer, die Grenzen des Staates zu justieren. Dabei ist der Vorgang nicht so ungewöhnlich. In den westlichen Gesellschaften, zumindest den europäischen, schwelt die Frage immer unter der Oberfläche: Die Frage nach dem Verhältnis von öffentlicher und privater Macht. Sie ist nie einheitlich und nie ein für alle mal beantwortet worden. Je nach zeitlicher Phase und nach wirtschaftskultureller Prägung haben sich die Staaten für sehr unterschiedliche Machtbalancen entschieden. Es gibt nicht den einen Kapitalismus sondern viele Kapitalismen.
Weil in den westlichen Systemen kapitalistische und planerische Mechanismem gemeinsam wirken, nennt man sie im englischen Sprachgebrauch "mixed economies". Das Mischungsverhältnis ist jeweils ein anderes und das Spektrum reicht vom schwedischen Wohlfahrtsstaat bis zu den US-amerikanischen Reagonomics. Darin spiegelt sich die Anpassung des Kapitalismus an die jeweiligen Zeitumstände und an die Wirtschaftskulturen wieder.
Großbritannien etwa hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ein Wirtschaftsystem etabliert, in dem ein starker staatlicher Einfluss alltäglich und akzeptiert war. Dafür prägte sich der Begriff der "Keynesian Social Democracy". In England begann dieses System im Jahr 1944 als die Kriegskoalition ihre Nachfolger auf einen hohen Beschäftigungslevel verpflichtete. Es endete ziemlich genau im Jahr 1976 als der damalige Premier Callaghan auf einer Labour Konferenz sagte, dass alle Versuche, Vollbeschäftigung durch eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben zu erreichen nur dazu geführt häten, "eine höhere Dosis Inflation ins System zu pumpen". Im gleichen Jahr musste England einen Stützungskredit des Internationalen Währungssystems in Anspruch nehmen.
Die englische Debatte war in dieser Zeit bereits von einer starken Polarisierung geprägt. Labour wurde von neo-sozialistischen Ideen erfasst, die Tories entwickelten sich zu Neo-Liberalen. Aber in einem Punkt waren sich Neo-Sozialisten und Neo-Liberale einig: Die Idee eines irgendwie gearteten dritten Weges zwischen Staat und Markt, zwischen Kapital und Arbeit, zwischen persönlicher Freiheit und gesellschaftlicher Gerechtigkeit hatte sich überholt. Der englische Politiker und Publizist David Marquand hat über diese Entwicklung ein sehr lesenswertes Buch geschrieben: "The unprincipled Society", in dem er das Zerbrechen des englischen Nachkriegsmodells beschreibt und die von ihm beklagten Umgestaltung Großbritanniens unter Margaret Thatcher. (Marquand war in den achtziger Jahren ein Mitbegründer der Social Democratic Party und hat auch sehr viel für den Guardian geschrieben, mit dem der Freitag bekanntlich kooperiert.)
Der englische Weg in den Neoliberalismus ist ohne die dreißig vorhergehenden Jahre nicht zu verstehen. Er ist gewiss nicht auf den sinistren Einfluss einiger düsterer Ökonomie-Professorren zurückzuführen. Es steht dahinter eine lang anhaltende Entwicklung in der englischen Wirtschaft und Politik, die gekennzeichnet ist von Deindustralisierung, Dekolonalisierung, einer schwieriger Annäherung an Europa und dem Verlust des Pfundes als internationaler Währung, um nur ein paar der wichtigsten Faktoren zu nennen. Mit einem Wort: Die Sache ist komplex. Und anders wäre es auch kaum zu erwarten, wenn eine ganze Gesellschaft ihre volkswirtschaftlichen Paradigmen ändert.
Was war der Grund für den englischen Kurswechsel? Wahrscheinlich würden die Ansichten in der Leserschaft dazu weit auseinander gehen. Zu den Ingredientien einer Erklärung können gehören: Der Einfluss des internationalen Finanzkapitals, US-amerikanisches Dominanzstreben, Überlastung des staatlichen Wohlfahrtsystems, Auflösung eines gesellschaftlichen Konsens über gerechte Verteilung, Anpassung der Erwartungen der Tarifparteien an das Verhalten der Regierung ...
Die neoliberale Revolution war in jedem Fall das Produkt einer historischen Entwicklung, eine Reaktion auf sich verändernde Umstände - und in ihrem Verlauf ordneten viele westliche Staaten in den siebziger und achtziger Jahren das Verhältnis von staatlicher und privater Macht neu.
Das augenfällige Beispiel dafür ist die Neubewertung dessen, was in den Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge fällt, für die der Staat zu sorgen hat - die Privatisierungen. Hier gibt es freilich keine Wahrheiten zu finden. Nur Ansichten.
Personennahverkehr, Wasser, Strom, Ernährung, Straßen, Renten, Telekommunikation, Autokennzeichen, Schulen, Strafvollzug ... Was ist des Staates? Was des Marktes? Was soll die Behörde erledigen? Was die Firma? Das sind Wertfragen. Keine Wahrheitsfragen.
Grundsätzlich gibt es viele Gründe anzunehmen, dass private Unternehmen effizienter arbeiten als staatliche Stellen - darum wartet man heute nicht mehr so lange auf seinen Telephonanschluss wie in den siebzigern. Und grundsätzliche gibt es viele Gründe anzunehmen, dass unternehmerische Effizienz nicht immer das ausschlaggebende Kriterium ist.
Es gibt allerdings keinen Grund zur Annahme, dass Deutschland von der neoliberalen Revolution ähnlich erfasst und verändert wurde wie etwa Großbritannien. Die Regierung Schröder hat mit der Agenda 2010 die Soziale Marktwirtschaft erheblich verformt. Von einer Abschaffung kann freilich keine Rede sein: Die Staatsquote betrug im Westen Deutschlands im Jahr 1960 weniger als ein Drittel der Wirtschaftsleistung, 1975 lag sie bei 49 Prozent und seit den neunziger Jahren liegt sie bei annähernd 50 Prozent. Ende Oktober vergangenen Jahres bemerkte Finanzminister Peer Steinbrück auf einer Tagung in Frankfurt, dass von jedem Euro, den er an Steuern einnimt 70 Cent in irgendeiner Form in den sogenannten "Sozialbereich" wandern. An diesen Zahlen gemessen, ist der Einfluss des Staates im Wirtschaftsleben beständig gestiegen.
Als Angela Merkel sich anschickte, Bundeskanzlerin zu werden, gab sie vor, das ändern zu wollen. Die Merkel des Jahres 2003 kündigte an, dass die Staatsquote binnen eines Jahrezehnts auf 40 Prozent gesenkt werden sollte - um "individueller Dynamik in Deutschland wieder eine Heimat zu geben", wie sie in einem Brief an die Abgeordneten der Union im Januar formulierte. Sie hat von diesem Vorhaben - zum Leidwesen konservativer Kommentatoren - bekanntlich abgelassen nachdem sie Kanzlerin geworden war. Ein Zeichen entweder dafür, wie schwach Angela Merkel ist - oder dafür, wie stark die traditionellen wirtschaftskulturellen Prägungen in Deutschland sind.
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18:10 06.03.2009
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Kommentare 29
Was ist Marktsache und was Staatssache - damit ist noch nicht das erfasst, was die Leute tatsächlich so aufregt, fürchte ich. Es geht auch um die Herausbildung des Menschenbildes. Milton Friedman meinte, alle Menschen haben den gleichen Drang zur Freiheit wie er selbst und müssten bloß loslegen. Schwarzarbeit war ein Mittel der Öffnung (obwohl glasklar gegen den Sozialstaat gerichtet), Unterstützung des Miltärregimes in Chile galt ihm als Weg zur Befreiung des Einzelnen gegen sozialistische Vermassung. Jeder sei seines Glückes Schmied, davon ist seit Schröders Ich-AG schon einiges auch in Deutschland hängengeblieben. Man kann die Situation der sozialen und Kulturellen Verelendung, die wir beobachten, im Prinzip immer dem einzelnen zur Last legen, aber das möchten wir nicht tun.
Ihr Hinweis auf verschiedene Kapitalismen ist interessant und macht Lust darauf, die deutsche Beharrlichkeit zu untersuchen.
Aber Freiheit kommt in Deutschland erst an dritter Stelle
Guten Abend Herr Augstein,
sie schreiben einen Text zum Neoliberlismus. Aber was wollen sie mir damit sagen?
Sie schreiben nicht z.b. über die Freiburger Schule, die auch einen Neoliberalismus bezeichnete. Doch heute werden mit dem Wort Neoliberalismus vorallem die Lehren eines Milton Friedmann verbunden und mit der Chicago School.
Dass Sie nicht verstehen, dass Neoliberalismus von Lesern des Freitag mit dem Chile Pinochets verbunden wird wundert mich doch schon etwas. Denn genau das stimmt doch. Chile war in den Jahren Pinochets das "Freiluftexperiment" der Lehre der Chicago School. Milton Friedmann als Mentor der Chicago Boys besuchte auch Pinochet.
Und selbst wenn sie nicht Chile als Beginn der Verbreitung des Neoliberalismus weltweit ansehen. Was ist denn nun so gut gelaufen in England?? Die Gewerkschaften wurden systematisch entmachtet, alle möglichen öffentlichen Dienstleistungen privatisiert, und heute??
Die Bahnprivatisierung wurde versucht so weit wie möglich zurückzunehmen, da sie sich offensichtlich fehlgeschlagen ist. Von der Krise sind die Länder heute am meisten getroffen die am stärksten in den letzten Jahren den neoliberalen "Formeln" folgten (Deutschland mit seiner einseitigen Exportfixierung eingeschlossen, beste Beispiele sind jedoch, England, Irland und USA).
Ich verstehe nicht warum sie hier versuchen eine Lehre zu verteitigen, die sich wenn nicht als falsch so doch als sehr unausgegoren herausgestellt hat. Oder wollen Sie jetzt wieder sagen, dass dies an den Politikern liegt, die die Ideen nicht vollständig umgesetzt hätten?
Ich muss den Kommentatoren in den anderen beiden Beiträgen zustimmen. Selbst einige Autoren der in der Linken oft als "neoliberale" Medien verschrienen Blätter wie das Managermagazin oder die FTD sind da mittlerweile weniger überzeugt von einem Denkmodell namens Neoliberalismus (jetzt bezogen auf Chicago School usw. nicht Freiburger Schule) als Sie
Lieber w.Smith,
ich wollte eigentlich nichts verteidigen. Sondern erklären. Wenn Dinge sich ändern, hat das Gründe. Denen kann man nachgehen. Man kann sie verstehen. Das Beispiel England sollte zeigen, dass es einen Grund und einen Verlauf gab für das, was sich nachher als Neoliberalismus dort manifestiert hat. Ich sehe zwischen der historisch gewachsenen Lage von Premier Callaghan Mitte der 70er und der Lage in Chile einfach keinen Zusammenhang. Jedenfalls keinen, der politisch noch sinnvoll herzustellen ist. Aber ich bin dankbar für Erläuterungen in dieser Sache.
Ebenso ist es mit der Globalisierung und ihren Auswirkungen auf die deutsche Wettbewerbsposition.
Also noch mal: Keine Verteidigung. Der Neoliberalismus hat in England schlimme Folgen gehabt. Wir hatten neulich, als wir den neuen Freitag gestartet haben, Colin Hughs zu Gast, das Vorstandsmitglied des Guardian. Der hat in den 80er den Independent mitgegründet und war vorher selber Gewerkschaftsfunktionär. Sie ahnen gar nicht, wie bitter der über die Veränderungen in der englischen Gesellschaft unter Thatcher geredet hat....
Aber wiederum gilt auch hier: Das hat nichts damit zu tun, dass ich der Ansicht bin, dass die immer wieder neu zu veranstaltende Machtverteilung zwischen Staat und Markt nach dem Prinzip erfolgen sollte: Soviel Markt wie möglich, so viel Staat wie nötig. Der Witz liegt darin, dass dieses "möglich" und dieses "nötig" jeweils neu verhandelt werden müssen. Und in so einer Neuverhandlung befinden wir uns gerade. So trivial ist das alles gar nicht.
Naja also für mich ist der Zusammenhang offensichtlich. Es wurden in beiden, und noch viel mehr Ländern gleiche/ähnliche Konzepte angewandt.
Privatisierungen und Deregulierungen wurden überall zum Allheilmittel erhoben. In diesen beiden Ländern eben als den beiden der ersten. Dass zwischen England und Chile historisch geschichtlich/ politisch gesehen Unterschiede bestanden ist klar, und doch gibt es auch Ähnlichkeiten. In Chile hatte eine Zeit begonnen in der der Staat mehr Einfluss genommen hat, in England war diese schon voll ausgeprägt.
Gerade zu Chile habe ich eine interessante Veranstaltung besucht was die Diktatur und die wirtschaftlichen Konzepte in der chilenischen Gesellschaft angerichtet haben.
Was für mich Neoliberalismus eben auch bedeutet ist, diese ständige Suche nach mehr Effektivität (und Rendite) und damit verbunden die Erhebung des wirtschaftlichen als oberste Instanz in unserem Alltag. Ich habe zunehmend in den letzten Jahren das Gefühl gehabt, dass mehr die Wirtschaft als die Politik über die Gesellschaft regiert hat.
Grüße w.Smith
(Entschuldigen sie die schlechte Antwort, aber nach einem ganzen Tag Mathe pauken fällt es mir im Moment schwer meine Gedanken zu Ende zu denken und gut auszuformulieren)
@augstein, mehmet, smith und alle, die noch zukünftig mitdiskutieren werden.
Vorbemerkung zum besseren Verständnis. Ich war gerade auf meinem eigenen Blog, hatte auf andere Blogger geantwortet, einen rhizomatischen Vorschlag als Kommentar zu "Das Zeitalter .." gemacht, angekündigt, dass und warum ich jetzt zu Augstein (Neoliberalismus-Diskussion) wechseln würde, zuvor aber bei Ullyses vorbeischauen mußte. (Hintergrund schaut euch in den Kommentaren an). Erscheint euch vielleicht etwas verworren, ist aber zu Beginn die übliche logische Reaktion. Ich verpflichtete mich außerdem noch heute - jetzt - einen ersten Aufschlag/Rhizom zu einer anderen Liberalismus-Diskussion zu unterbrieten.Mal sehen, wie lange die Kraft heute noch reicht?
Jetzt zur Diskussion. Die von JA ausgebreiteten Argumentationslinien und historischen Rückblicke zum Liberalismus sehe ich ähnlich, kann aber auch die assoziative Verästelung bis zum "Folterstaat Pinochets" der Diskutanten nachvollziehen (ein Beleg für die grundlegend rhizomatische Unabschließbarkeit und die ständige Mutation der Bedeutungsstrukturen) und doch interessiert mich das heute weniger. Auch stimme ich den grundsätzlichen Bemerkungen zu den Chigago-Jungs zu und frage auch: wie trennen wir das vom Ordoliberalismus und der Sozialen Marktwirtschaft? Was könnte man alles zur Freiburger Schule (Walter Eucken, Franz Böhm ...) sagen und zu Alfred Müller-Armack, dem Vordenker von Ludwig Erhard und seiner Losung: "Wohlstand für alle". Ich würde mich schön in eure Diskussion einklinken. Könnte ich, will ich heute aber nicht.
Ich will keine weiteren (historischen) Ansichten zum Liberalismus, zum Neoliberalismus, zur theoretischen Verortung und Strategie, z.B. der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft einbringen, sondern einfach fragen, was jetzt unter der Zuschreibung "liberal", alles der Fall ist. Ich frage primär nicht nach den Ismen, sondern nach den konkreten Menschen, ihren Selbstzuschreibungen, Lebensgewohnheiten, ihrem Habitus und was sich daraus rhizomatisch machen läßt.
Fortsetzung wg. der 3000 Zeichen folgt gleich
Fortsetzung meines langen Kommentars ...huch, wo ist der Kommentar, den ich gerade ausführlich geschrieben habe und der kurz auch als veröffentlicht angezeigt wurde? Techniker, was ist los? Bitte prüfen.
Ich fahre einfach in der Sache weiter fort.
Mein erster Knotenpunkt: "Strömen wir rhizomatisch vom Netz in die konkreten Lebenswelten, in die sozialen Milieus und deren überlappender Veränderungsdynamik. In der „Sinus-Brille 2007“ z.B. zeigen sich in Deutschland folgende zehn Milieus: Traditionsverwurzelte, Konservative, DDR-Nostalgiker, Etablierte, Bürgerliche Mitte, Konsummaterialisten, Postmaterielle, Moderne Performer, Hedonisten, Experimentalisten. Sie unterscheiden sich in ihren Lebensstilen, ihren Wertorientierungen, Arbeitseinstellungen, Freizeitmotiven, alltagsästhetische Neigungen, Konsumorientierungen, etc – (...) Was verbindet 6 Millionen Postmaterialisten, 6 Millionen Moderne Performer und 5 Millionen Experimentalisten? (...) Der in seinem Verständnis geweitete liberale FDPler findet Anknüpfungspunkte mit dem die Ohren geöffneten Ökolinken.(...)"
Mich interessieren diese 19 Millionen Menschen (und erst in zweiter Linie, was Chef-Interpreten der Liberalen meinen). Was ist ihr liberales Verständnis, zweirangig, ob liberal, neoliberal tituliert. Was bewegt diese gut gebildeten und gut verdienenden Gruppen? Waran macht sich ihre Liberalität fest? Was ist mit dem konkreten Einzelnen und seinen innernen Widersprüchen der gelebten Selbstverwirklichung, was ist mit dem Anspruch auf Freiheit, Individualität? Was bleibt in der Krise von der Markteuphorie? Gibt es Lernfähigkeit hin zu mehr Gemeinsinn? Oder wird die Gemeinschaft bzw. der Staat nur als Behinderung gesehen? Welche Rhizome können zwischen den Milieus geknüpft werden? Was wird im Alltag tatächlich schon geknüpft? Welche Auswirkungen auf die politische Landschaft sind absehbar?
(ich breche hier ab, da mir unklar ist, wo der 1.Teil blieb... Fortsetzung vielleicht später - vielleicht bessere Bedingungen für solch ein experiemntellen Vorschlag an die Freitag-Blogosphäre, vielleicht weniger anfällige Technik)
wenn du mir jetzt noch kurz sagst, worauf du raus willst, dann kann ich auch mitdiskutieren....irgendwie habe ich das nach viel zu langem Mathe lernen nicht so recht kapiert.
Du willst wissen was bestimmte Menschen die von dir in bestimmte Kategorien gesteckt wurden verbindet?
und was sind denn in deinen Augen moderne Performer? oder Postmaterialisten? experimentalisten?
bei mir bleiben ganz große ???
Lieber Bildungswirt,
danke für die Kommentare. Es ist ja alles da ...
"Welche Rhizome können zwischen den Milieus geknüpft werden?"
Das ist eine spannende Frage. Die Antwort, fürchte ich, hängt davon ab, wie bedroht die sich alle fühlen. Es ist ja nun leider so, dass die Leute ncht gerade experimentierfreudiger werden, wenn es ihnen ans Leder geht. Sondern sich eher in Erstarrung verkriechen.
((Ich glaube übrigens nie und nimmer, dass es in Dtl 17Millionen (17 oder 19?) Menschen gibt, die so eine grundsätzlich fortschrittliche Haltung haben, wie die Milieu-Namen es nahe legen. Das kann fast nicht sein. Überlegen Sie mal. Das wäre ja fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Wenn Sie Kinder und Jugendliche abziehen steigt der Anteil noch höher - klingt ausgeschlossen ... Oder ich sehe auf der Straße immer die anderen :) )
Aber wie strömt man denn vom Netz in die Lebenswelt? Das ist eine gute Frage. Wie wird aus der Community im Netz die Gemeinschaft draußen?
Any ideas?
(Wir denken darüber nach, Salons zu gründen, in den großen Städten .... Wäre das was?)
@w.Smith
Es geht um die sog. Sinus-Milieus. Aufteilung der Gesellschaft nach Einstellungen gegenüber sonstigen Aufteilungsmechanismen, die nach soziodemographischen Kriterien laufen. Marketing. Googlen Sie es mal. Spannend.
Lieber Smith,
ich will zuerst auf mehr geistige Beweglichkeit raus, kein bestimmtes Thema, das kannst du selbst bestimmen. In meinem Beitrag "Das Zeitalter ..." sind genügend Anknüpfungspunkte vorhanden.
Ich stecke Menschen in keine Kategorien, das sind Ergebnisse der zahlreichen Sinus-Studien, dort mal genauer nachlesen. Ich will dich aber animieren, wieder in meinen Blog zu springen um dir dein Rhizom als Verästlung auszusuchen. Der Blogger Micha hat's versucht, ich habe ihm geantwortet. Springst du, dann spring ich mit.
Lieber JA,
Die Sinus-Studien (in der Tradition von Bourdieu, Die feinen Unerschiede) oder auch "Erlebnisgesellschaft"(Gerhard Schulze) sind ein Fortschritt insofern, dass sie differenzierte Profile der Gruppen zulassen und nicht alles gleich auf das Großraster und den Grundwiderspruch Lohnarbeit und Kapital zurückführen. In vielen Einzelfragen kann man den Aussagewert sicher relativeren. 19 Millionen sind sicher zu hoch gegriffen, aber wenn es nur ein paar Millionen sind, ist das schon mal eine beachtliche Hausnummer trotz vieler Heterogenitäten.
Sie sehen auf der Straße wirklich zu viel die anderen. Auch viele ökolinke Rauschebartträger erkennen in fast jedem Jungdynamo gleich den liberalen Scheißer und damit verkennen sie ihn. Dies gilt auch umgekehrt.
Salons gründen? Klingt ziemlich antiquiert. Freitags-Clubs? Freitag-Lounge? Hmm, unsicher,das würde jetzt die Antwort sprengen.
Teil I
Lieber Herr Augstein,
befürchten Sie, dass in einer Medienwelt der allgemeinen Praxis des profan unreflektierten Hoch- und Herunterschreibens gegenwärtig folgende Gefahrenlage heraufbeschworen wird:
„Nachdem der Liberalismus im Gewande eines Trojanisches Pferdes namens „NEO-Liberalismus“ dreißig Jahre als der Wahrheit letzter Schluss hochgeschrieben wurde, die Menschheitsideeen von Solidarität, Gemeinschaftswirtschaft, gemeinnütziger Daseinsvorsorge dagegen von der argumentativen Leine gelassen in den verleasten Grund und Boden geschrieben wurden, sich nun das Blatt ebenso unreflektiert zu wenden droht, nämlich dass nun Staatliches Handeln in Krisenzeiten per se fundamental in den Himmel hochgeschrieben auf Wolke 8 gejubelt wird!?“
Dass wir heute im Namen unserer Demokratie krisenhaft genöitigt sind, dem Liberalismus als ein Forum, als eine Plattform unter vielen einen Platz zu gewährleisten, z. B. durch die neuorientierte Aufstellung der Wochenzeitung „der Freitag“, den der Liberalismus selber anderen Foren, Plattformen über Jahrzehnte unabdinglich brüsk verweigerte!?
Die Affirmation von Rosa Luxemburg „Die eigene Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“! nehme ich da als Licht am Ende des Tunnels blindwütiger Hoch- und Herunterschreiberei, die von der Not in Redaktionen kündet, über den Tag hinaus, historische Erfahrung und Wissen marktorientiert verfügbar zu halten.
Insofern nenne ich Ihren Beitrag in der Stunde der Krise des Neo- Liberalismus unverblümt mutig, ein Beispiel von Zivilcourage und persönlicher Meinungs- Markterhebung. Danke!
Wer bin ich hier im Freitag, wo will ich im Freitag mit dem Freitag hin?
Teil II folgt
Teil II
Ihrer folgenden Behauptung widerspreche ich entschieden:
“ Weil in den westlichen Systemen kapitalistische und planerische Mechanismem gemeinsam wirken, nennt man sie im englischen Sprachgebrauch "mixed economies". Das Mischungsverhältnis ist jeweils ein anderes und das Spektrum reicht vom schwedischen Wohlfahrtsstaat bis zu den US-amerikanischen Reagonomics. Darin spiegelt sich die Anpassung des Kapitalismus an die jeweiligen Zeitumstände und an die Wirtschaftskulturen wieder“.
Warum?,
weil bereits Lord M. Keynes nach dem Ersten Weltkrieg das mangelnde Anpassungsvermögen des Kapitalismus beklagte und ein unverbesserliches Beharrungsvermögen des Kapitalismus registrierte, z. B. das Festhalten an Goldkern- Währungen britisches Pfund, $, France , Reichsmark, samt Kommandowirtschaften, protektionistische Devisen- , Handels und Verkehrs- Bewirtschaftung. Das Feshtalten an Good- Lands, Bad- Lands, die nun neben den Kolonien auch auf die Gebiete der UdSSR erweitert wurden.
Seine so genannte "Keynesian Social Democracy"war nur ein fader Abklatsch dessen, was ihm angesichts der Erfordernisse, die die Verschuldungsorgien des Ersten Weltkrieges in ihren Kommandowirtschaften mit sich gebracht hatten. selber vorschwebte.
Was hat sich an diesen Strukturen der Kommandowirtschaften seit 1917 in den Nationalstaaten, den Multiplayern von privaten Gnaden eigentlich bis heute geändert, ob sie nun real- existierender Sozialismus, real- vegetierender Kapitalismus oder gehübscht „deregulierte Weltwirtschaftsmärkte“ heißen?
tschüss
JP
Hallo,
Als Hintergrund über die Entwicklung von Großbritannien finde ich das alles informativ und interessant. Aber war das alles zwingend? Musste man – wie in den 80er Jahren – die Gewerkschaften so demütigen. Musste man die Deindustrialisierung so vorantreiben. Die Vergangenheit ist immer ehern und statisch, was ist mit der Gegenwart?
Es ist eine Frage des eigenen Standpunktes, wie man die Hintergründe interpretiert.
Dass sich Angela Merkel von ihren Aussagen entfernt hat - Du liebe Güte, das hängt mit den Zwängen einer Großen Koalition zusammen, denke ich.
Und ich bin froh darüber, wenn ein Westerwelle zusammen mit Merz mehr Einfluss gekriegt hätte, Hilfe, Hilfe...
So und nun aber...
...nachdem ich mich – wenn Leute hier schon ihren Geist Gassi führen und sogar ein Bildungswirt seinen Stammtisch hinstellt – informiert habe, was rhizomatisch ist, erlaube ich mir die Herstellung folgenden Zusammenhangs:
Herr Augstein fragte sich
„Ich sehe zwischen der historisch gewachsenen Lage von Premier Callaghan Mitte der 70er und der Lage in Chile einfach keinen Zusammenhang. Jedenfalls keinen, der politisch noch sinnvoll herzustellen ist“.
Hier, hier!!!
Ich bin fündig geworden:
Vielleicht der Falklandkrieg, der ging doch gegen Chile – oder nich? Wollten da nicht die Chicago Boys ihre Flagge hissen? War das nicht so?
Aber bitteschön, keine Ursache, gerne...
Nichts für ungut
Der Falklandkrieg fand zwischen Großbritannien und Argentinien statt, nachdem die Argentinier im April 1982 die von Argentinien beanspruchten Falklandinseln (Islas Malvinas) besetzt hatten.
Dass die Politik Margaret Thatchers gegen die Gewerkschaften in den 80er Jahren - aus Thatchers Sicht - so erfolgreich sein konnte, lag eben auch daran, dass sie bei weiten Teilen der britischen Bevölkerung Unterstützung fand. Warum? Thatcher fuhr ihren ersten Wahlsieg im Mai 1979 nach dem berüchtigten 'winter of discontent' ein, in dem eine Streikwelle das Land lahmgelegt hatte, die ihren symbolischen und makabren Höhepunkt in einem Streik der Totengräber fand. In einer Umfrage gab Ende der 70er Jahre eine Mehrheit der Briten an, dass sie nicht den Premierminister, sondern den Vorsitzenden des Gewerschaftsdachverbands TUC für den mächtigsten Mann des Landes hielt. Unpopulär war auch die 'closed shop'-Regelung, nach der Beschäftigte in bestimmten Betrieben zwangsweise Gewerkschaftsmitglieder sein mussten. Die Demütigung der Bergabeitergewerkschaft NUM im grossen Streik von 1984/85 war zudem auch die Rache Thatchers dafür, dass die Bergarbeiter 1974 die konservative Regierung von Edward Heath zu Fall gebracht hatten. Damit wird diese Politik natürlich weder zwingend noch richtig - missverstehen Sie mich bitte nicht als Anhänger Thatchers oder 'Neoliberalen', die katastrophalen Folgen sind auch mir wohlbekannt. Der Kontext soll nur andeuten, warum sich diese Politik überhaupt durchsetzten konnte.
Den Zusammenhang zwischen Neoliberalismus und Pinochet hat schon Hannah ARENDT beschrieben.
Ich darf zitieren: "Es ist von einigem Nutzen zu sehen, in welchem Ausmaß trotz größter Unabhängigkeit die modernen Machtanbeter mit der Philosophie des einzigen Denkers übereinstimmen, der je versucht hat, das öffentliche Wohl aus privaten Interessen herauszuleiten, und der um des Privatinteresses willen einen politischen Körper entwarf, dessen einziges und fundamentales Ziel die Akkumulation von Macht ist.
Hobbes ist in der Tat der einzige Philosoph, auf den die Bourgeoisie sich je hätte berufen dürfen; ihre Weltanschauung jedenfalls, gereinigt von aller Heuchelei und unbeirrt von allen christlichen Zugeständnissen...ist von ihm entworfen und nahezu endgültig formuliert worden. (...) Das Bild vom Menschen, das Hobbes entwirft, ist oft mißverstanden worden, als wäre er daran interessiert gewesen, festzustellen ... wie man Menschen erklären und verstehen könne. Hobbes ist es nirgendwo um solche Einsichten zu tun; er beschreibt, wie der Mensch sein muß und wohin er, ..gehen muß, um den Forderungen einer kommenden Gesellscahftsordnung, ... zu genügen... Der „Leviathan“ ist der Staat, und seine Philosophie ist die Weltanschauung, denen die bürgerliche Gesellschaft seit ihrem Beginn zustrebte. ... Was im Austausch und Kampf der Werte miteinander den Ausschlag gibt, ist Macht. (...) Der unbegrenzte Prozeß der Kapitalakkumulation bedarf zu seiner Sicherstelltung einer „unbegrenzten Macht“, [die] durch nichts begrenzt werden darf außer durch die ... Bedürfnisse der Kapitalakkumulation. ... [Hobbes’ Denken hatte die Folge, daß man] sich an den Aufbau dieser neuen Gesellschaftsordnung machen konnte im Wahne, daß das endlose Anwachsen des Besitzes mit politischer Macht nicht das geringste zu tun habe und daß es innerhalb der rein ökonomischen Sphäre Gesetze gäbe, die gleich Naturgesetzen dahin führten, die Akkumulation des Kapitals zu sichenr, als ob diese wirtschaftlichen Gesetze nicht gesellschaftliche und von Menschen erzeugte Regeln wären, die genauso lange Gültigkeit besitzen, als Menschen bereit sind, sich in ihrem wirtschaftlichen Handeln nach ihnen zu richten – also gegebenenfalls Bankrott anzusagen, anstatt mit gezogenem Revolver sich der Kasse des nächtlichen Bankhauses zu bemächtigen. (...) Die Bezeichnung der Bourgeoisie als einer besitzenden Klasse ist nur in einem oberflächlichen Sinne zutreffend; es hat sich herausgestellt, daß nicht jeder zu ihr gehörte, der Besitz hatte, aber daß jeder in ihr willkommen war, der den Prozeß der Akkumulation des Besitzes mitmachen wollte und konnte.“
Zit.n.:Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft.
Oder wie Maggie Thatcher sagte: „There is no such thing as society“.
Der Neoliberalismus kann m.E. durchaus als Reaktion zum "Goldenen Zeitalter" (s. unten) des Kapitalismus bzw. als Reaktion auf den "excess of democracy" (S. P. Huntington) Ende der 60er und Anfang der 70er (s. S. 71 "The Crisis of Democracy", http://www.scribd.com/doc/13139219/The-Crisis-of-Democracy). Dass Chile hier als Petri-Schale der Neoliberalen Doktrin benutzt wurde ist -finde ich- ganz plausibel. M. Friedman und seine Chicago Boys durften sich dort austoben. Noch nichts von N. Klein "Die Schock-Doktrin" Buch gehört (s. bzw. höre e.g. http://www.democracynow.org/2007/9/17/the_shock_doctrine_naomi_klein_on)?
"...Das Nachkriegssystem war darauf angelegt, dem Staat die Kontrolle von Kontrolle über Kapitalbewegungen zu erlauben, um private Investoren, Kreditoren, Banken und Großkonzernen daran zu hindern, sich zu den Herrschern der nationalen Ökonomien aufzuschwingen, und die Währungskurse waren staatlich festgelegt, um Spekulation zu unterbinden, die schließlich eine der Möglichkeiten darstellt, staatliche Entscheidungen anzugreifen. Und dies wurde ganz bewusst getan, um den Regierungen eine von der Kontrolle der Konzerne relativ unanhängige Politik zu ermöglichen. Das war kein Geheimnis, und diese Konstellation führte zum größten wirtschaftlichen Wachstum der gesamten Geschichte.
In den ersten 25 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, die oft als „das goldene Zeitalter des Kapitalismus“ bezeichnet werden, gab es ein sehr rasches, tatsächlich bis dahin noch nie da gewesenes Wachstum – und es war egalitäres Wachstum. So wuchs in den Vereinigten Staaten, dem am wenigsten egalitären Land unter den Industriestaaten, das Einkommen der untersten zwanzig Prozent der Einkommensskala schneller als das der obersten zwanzig Prozent. Und so ging es weiter bis Anfang der siebziger Jahre. Dann kam es zu einer starken Gegenbewegung, die das Ziel verfolgte, die Demokratie – die in diesen Kreisen, von ihrem Standpunkt aus ganz zu Recht, als große Gefahr betrachtet wird – zu zerstören und das bis dahin herrschende System zu untergraben, das es den Regierungen erlaubte, auf die Bedürfnisse und Forderungen der Bevölkerung zu reagieren und sozialstaatliche Verhältnisse zu schaffen. Der erste Schritt in diese Richtung war die Beseitigung der Kapitalkontrollen, weil man sich darüber klar war, dass solche Kontrollen unentbehrlich sind, wenn der Staat irgendeinen Freiraum für unabhängige Entscheidungen haben soll. (...)
Und wenn man sich die neoliberalen Programme einmal näher betrachtet, sieht man, dass jeder einzelne Aspekt von ihnen tatsächlich vorwiegend darauf abzielt, demokratische Verhältnisse zu verunmöglichen. (...) Privatisierungen untergraben schon per definitionem die Demokratie. Sie entfernen wichtige Entscheidungen aus der öffentlichen Arena..."
http://zmag.de/artikel/ZNet-Interview-mit-Noam-Chomsky
"Personennahverkehr, Wasser, Strom, Ernährung, Straßen, Renten, Telekommunikation, Autokennzeichen, Schulen, Strafvollzug ... Was ist des Staates? Was des Marktes? Was soll die Behörde erledigen? Was die Firma? Das sind Wertfragen. Keine Wahrheitsfragen."
Wenn der Staat dem Kapital dient, ist es in der Tat ziemlich egal. Man lernt doch in der staatlichen Schule auch nicht wirklich, kritisch über den Kapitalismus nachzudenken, oder? Also privatisieren wir! z.B. die Renten - ein paar billionen Euro schwere Rentenfonds mehr auf den Finanzmärkten können ja wohl nicht schaden. Sie werden schon ihre Anlageobjekte finden. Etwa bei den privaten Gefängnissen. Der Staat muss dann nur noch für genügend Häftlinge sorgen (die Justiz wollten Sie ja nicht privatisieren), sonst geht's der Strafvollzugsindustrie ja schlecht. Und an den privaten Schulen wird dann bestimmt auch fleißig der Freitag gelesen, so eine richtig linke Privatzeitung, die bestimmt keine privaten Sponsoren vergrault.
Die Assoziation zum Folterstaat Pinochets in Chile ist überhaupt nicht weit hergeholt. Wenn sich Herr Augstein mit der Geschichte des Neoliberalismus befasst hätte, wäre er auf die "Chicago Boys" gestossen, die Chile als erstes Land für ihre neoliberalen Experimente auserkoren hatten. Das ist übrigens auch nachzulesen in Naomi Kleins lesenswertem Buch "Die Schock-Strategie".
Man sollte "den" Liberalismus nicht immer so ungeschickt attackieren. Es gibt viele Formen des Liberalismus, Manchesterliberalismus, Ordoliberalismus, Neoliberalismus, und nicht alle sind gleich schlecht. Man sollte den Liberalismus da stellen, wo er verwundbar ist: jeder Liberalismus ist prinzipiell für Privateigentum, freie Entfaltung bürgerlicher Kräfte, Reduzierung von staatlichen Einflüssen usw., diese Kombination ist gescheitert! Und jeder Liberalismus hat eine offene Flanke zu Demokratie. Das geht vom Versprechen der "freien Kräfte der Marktwirtschaft" bis hin zu bloßem Populismus (s. FDP) - immer werden eine Vielzahl von Menschen vergessen. Jeder Liberalismus ist im Kern technokratisch. Er vergisst die Realität. Außerdem ist er kein Modernisierungsversprechen mehr. Gott sei Dank, muss man fast sagen, wird man noch ein bisschen in den Jahren nach dieser gegenwärtigen Krise leben. Stellt man sich vor, diese Krise wäre erst in zehn Jahren gekommen, packt einen das Grausen. Einem wäre von dem neoliberalen Thesen-Gewäsch in Politik, Wirtschaft und Medien der Kopf erst so richtig durchgewaschen worden. Jetzt ist wieder etwas mehr Raum für die Wahrheit. Man kann nie auf längere Frist ungestraft den Menschen aus dem Blick verlieren.
Was jetzt ansteht, ist eigentlich eine umfassende Kultur-Debatte, angestoßen von den dominierenden kapitalistischen Ländern, ich sage nur G8/20/wasauchimmer, inklusive Schuldeingeständnisse, z.B. in punkto Entwicklungspolitik/IWF. Die lateinamerikanischen Länder, die afrikanischen Länder, teilweise auch die asiatischen brennen darauf. Aber noch traut man sich nicht so richtig. Gordon Brown (ausgerechnet einer aus dem Mutterland des Liberalismus) hat gerade einen Anfang gemacht, als er einen neuen weltweiten Marshall-Plan vorschlug. Na, das wird schon...
Liebe(r) oca,
ich dachte eigentlich, wir sind jetzt hier schon ein Stück weiter und haben solche inhaltsleere Polemik nicht mehr nötig.
Lesen Sie doch mal die Beiträge von HansMeier und chapultepec. Ich jedenfalls finde die klug und durchdacht und kenntnisreich und dem Niveau entsprechend, das wir hier pflegen sollten.
Und die unten stehende Aussage von molto vivace,
"Was jetzt ansteht, ist eigentlich eine umfassende Kultur-Debatte ..."
kann ich nur unterstreichen.
Liebe(r) oca, wenn wir hier eine kluge Diskussionskultur haben wollen - und ich will das unbedingt und ich glaube, sehr viele Kommentatoren auch - dann sollten wir persönliche Angriffe und ideologische Scheuklappen mal beiseite lassen und uns mit dem Gegenüber und seinen Argumenten befassen,. Das macht Sinn - und Spaß.
(Und da gilt dann auch mal Thatchers Satz: There is no alternative :) )
Viele Grüße,
Ihr jA
Lieber netznomade,
ja, davon habe ich gehört.
Aber Sie müssen bitte jetzt noch mal erklären, was das mit dem Versagen der keynesianistischen Nachfragsteuerung und dem Zusammenbruch des englischen Nachkriegsmodells zu tun hat.
Da bin ich wirklich sehr gespannt.
Ich glaube, dass die Argumentation von chapultepec da sehr klug ist - denn er zieht das Thema eine Ebene höher und argumentiert, dass nach den 60er Jahren ein Gesellschaftskonsens über gerechte Verteilug zerbrochen ist. Das sehe ich ebenso. Ich bin mir nur über die Kausalitäten nicht so sicher. Ich begreife das eher als historischen Prozess, der keine eigentlichen Agenten hatte, sondern dessen Dynamik sich aus einer Fülle von Quellen speist.
Die Frage wäre, ob die Loslösung aus den Strukturen des "stillen" Nachkriegskapitalismus nicht der Preis waren, den wir zahlen musste, um die ungeheure Kraftentfaltung des Wachstums nach den 70ern, die Globalisierung und die weltweite Zunahme an Wohlstand (denn bei wachsender Ungleichheit gab es eben auch wachsenden Wohlstand) zu erzielen.
Und die Frage ist, ob jemals die Wahl bestand, bei diesem stillen Kapitalismus zu bleiben und auf den "aggressiven" zu verzichten.
Wann bestand diese Wahl?
Wer hat sie dann getroffen?
Ihr JA
Nun wissen wir, dass die „neoliberale Revolution“ (das Wort >neoliberale Revolution steht in dem Artikel von J.A. nicht in Gänsefüsschen) lediglich das Produkt einer historischen Entwicklung und eine Reaktion auf sich verändernde Umstände gewesen ist. Das ist so banal und allgemein gesagt, dass es eigentlich immer und für jeden Vorgang zutrifft, selbst auf die Veränderung meines Frühstücksverhaltens heute Morgen wegen fehlender Konfitüre.
Kein Wort darüber, aus welchen Motiven, Interessen, und von wem warum und mit welchen Zielen dieser Paradigmenwechsel ausgelöst wurde.
So entsteht der Eindruck einer quasi unvermeidbaren geschichtlichen Notwendigkeit und dem möchte ich heftig widersprechen.
Meine Argumente: Auch die bürgerlichen Ökonomen heute sind sich weitgehend einig, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise auf den Grundpfeilern Wachstum und Kapitalverwertung beruht. Kein Wachstum, keine Verwertungsmöglichkeiten für das Kapital, keinen Kapitalismus. So weit so gut, oder schlecht, sind daraus doch die ganzen Kapitalismen vom skandinavischen Wohlfahrtsstaat über die deutsche soziale Marktwirtschaft Ehrhardscher Prägung bis hin zur rücksichtsfreien US- Variante, entstanden.
Seit die einzelnen Wirtschaftskreisläufe dieser Kapitalismen durch die Entwicklung einer miteinander heftig konkurrierenden multipolaren Welt ständig auf äußere Wachstums- und das Kapital an Verwertungsgrenzen gestoßen sind, gibt es Versuche, man kann auch sagen, den Zwang, neue profitable Bereiche zu erschließen. Der eine wurde und wird in der Privatisierung gesellschaftlichen Eigentums, der andere im Aufbau eines virtuellen Finanzmarktes, einer Art >Finanzwirtschaft 2 in der der Staat sich gefälligst herauszuhalten hat und die Spielregeln von denen geschrieben werden, denen Allgemeinwohl eine kollaterale Unvermeidbarkeit, Maximalprofite aber die Lösung aller Probleme sind. Einer Schar von hochintelligenten aber niedrigstvernünftigen Fachleuten haben wir die >Innovationen zu verdanken, die da heißen, Derivate, Zertifikate, Swaps, Hetchfonds usw., alle erfunden, um neue Stollen zum Maximal-Profit voran zu treiben. Dass dieses Feld eine Eigendynamik entwickelte, wo um Mithalten zu können 25% Rendite aufs Eigenkapital zur Richtschnur wurde, hat die Betreiber vielleicht selbst überrascht. Bis ihnen (und leider auch uns) der Laden, wie eine ihrer Sicherheitsventile beraubten Dampfmaschine um die Ohren flog.
Das Motiv für die Privatisierungswut der Konzerne und ihrer Vertreter in der Politik ist also nicht die Sorge um höhere Effektivität, wie uns die Vertreter der NSMW einreden wollen, sondern schlichter Verwertungszwang eines an ihre Grenzen stoßenden Wirtschaftsform
Und der Neoliberalismus ist keine unvermeidbare Folge solcher Entwicklungen, sondern der Versuch mit untauglichen, besser: mit hochriskanten und uns alle gefährdenden Mitteln Vorherrschaften und Maximalprofite zu sichern.
Liebr NosNibor,
ich hatte Ihren Beitrag noch nicht gelesen, als ich meine Antwort oben geschrieben habe.
Es ist interessant - wahrscheinlich haben wir das Gespräch bis zu seinem letzten, nicht weiter auflösbaren Kern getrieben. Ich stimme Ihnen in allem zu - nur nicht in der Finalität des von Ihnen beschrieben Meschanismus. Und da das der zentrale Bestandteil Ihrer Argumentation ist, bin ich offenbar ganz und gar anderer Meinung.
Also, verstehe ich Sie richtig: Der Kapitalismus hat eine eigene Dynamik. Die Menschen werden von ihr beherrscht und treiben die Entwicklung, wie wir sie gesehen haben voran, als Agenten dieses Systems. Manche wissentlich. Andere unwissentlich. Dahinter wirken die Kräfte das Kapitalismus bei denen es immer um Profimaximierung und Vorherrschaft geht.
Sie werden ja sicherlich nicht der Meinung sein, dass alle Politiker, Unternehmer, Gwerkschafter etc, die an diesen Prozessen mitgewirkt haben, jederzeit das Böse wollten. Manche werden auch das Gute gewollt haben - Arbeitsplätze für alle, Lohnerhöhungen, Hebung des Lebensstandards, Arbeitszeitverkürzungen, Umweltschutz, Gerechtigkeit für die sog. Dritte Welt .... Aber weil sie im schlechten System tätig waren, geriet alles schlecht.
Das ist jetzt nicht ironisch gemeint von mir - Ironie kommt bei solchen Themen nicht gut an - ich versuche ernsthaft mir vorzustellen, was Ihre Erklärung bedeuten kann.
Was Sie den "Verwertungszwang einer an ihre Grenzen stoßenden Wirtschaftsform" nennen, würde ich wahrscheinlich einerseits das Bedürfnis der Politiker nennen, Probleme der praktischen Politik möglichst geräuschlos vor den nächsten Walen zu lösen und andererseits das Interesse der Wähler an stabilen wirtschaftlichen Verhältnissen und an wirtschaftlichemn Wachstum.
(Und dann eben Versagen der Steuerung durch die Politik / Versagen der Gewerkschaften als Kontrollinstanz -- aber das müsste dann in Ihrer Sichtweise ja auch eine Folge der kapitalistischen Scherkräfte sein ... das will mir nicht in den Kopf. Was ist mit menschlichem Versagen? Unfähigkeit? Eigendynamik hochkomplexer Systeme? Fehleinschätzungen? Unvermeidbaren, aber unvorhersehbaren, Kosten wirtschaftlicher Dynamik? Kann man ein so komplexes System so einfach verkausalisieren? Fragen über Fragen ...)
Ich fürchte am Ende, dass mir der Glaube an ein historisches Telos fehlt, an gesellschaftliche Mechanismen, die über lange Jahre regelhaft wirken, an vorhersehbare systemische Prozesse.
Ich bin wahrscheinlich kein Materialist.
(Aber darum lasse ich mich noch lange nicht in die rechte Ecke stellen :) )
((das war jetzt doch ironisch))
"...er (chalpultepec) ... argumentiert, dass nach den 60er Jahren ein Gesellschaftskonsens über gerechte Verteilug zerbrochen ist..."
Also den "zerbrochenen Konsens" sehe ich wie folgt: Die Menschen in Machtpositionen (in Wirtschaft und Politik) reden zwar gerne von Aufklärung, Zivilisation, westliche Werte, Demokratie, etc. aber in der Praxis ist eine Demokratie - also ein System wo die Bevölkerung das Sagen hat und eine Stimme in Sachen Wirtschaft hat und wo die Politiker die Diener der Bevölkerung ist und nicht ihre Meister - eine Gefahr. Diese Gefahr gilt es mit allen Mitteln abzuwenden. Die Fassade soll demokratisch wirken, die wirklich wichtigen Entscheidungen werden woanders getroffen. Das ist was Huntington mit "excess of democracy" meint. Wenn Schwarze nach Bürgerrechten rufen, oder Frauen nach Gleichberechtigung oder Länder der Dritten Welt nach (politische und wirtschaftliche) Selbstbestimmung rufen (e.g. Vietnam, Indonesien, Ägypten, Kongo, Ost-Timor), dann ist das eine Gefahr für "die Menschen die zählen". Deswegen gilt es diesen Prozeß rückgängig zu machen, denn wenn er weitergeht, werden "die Menschen die zählen" ihre Macht verlieren und das wollen sie natürlich nicht.
Es geht nämlich um die Wurst, denn wie Orwell in seinem Roman 1984 sagte: "...Theoretisch war es zweifellos möglich, sich eine Gesellschaftsordnung vorzustellen, in welcher der Wohlstand, der persönliche Besitz von Luxusartikeln, gleichmäßig verteilt war, während die Macht in den Händen einer kleinen privilegierten Schicht lag. Aber in der Praxis konnte eine solche Gesellschaftsordnung nicht lange Bestand haben. Denn sobald alle gleichermaßen Muße und Sicherheit genossen, mußte die große Masse der Menschen, die normalerweise durch ihre Armut abgestumpft war, sich heranbilden und selbständig denken lernen. War sie erst einmal so weit, mußte sie früher oder später dahinterkommen, daß die privilegierte Minderheit keine eigentliche Funktion hatte und würde sie beseitigen. Auf lange Sicht war daher eine hierarchisch geordnete Gesellschaft nur auf der Grundlage von Armut und Unbildung möglich..."
Wenn Sie das was ich oben schrieb mit zerbrochenen "Gesellschaftskonsens" meinen, dann haben Sie mich richtig verstanden.
Sehr geehrter Herr Augstein,
mit diesem Beitrag versuchen Sie erneut, Ihren Lesern Schritt für Schritt neoliberales Gedankengut unterzujubeln. Das beginnt bereits bei den Begrifflichkeiten: Staatliche Wirtschaftsaktivitäten finden in der "Berhörde" statt, private Akivitäten in der "Firma". Die "Berhörde": das klingt so schön nach Beamtentum, Ärmelschonern und Muff, gell?
Und wenn Sie sich sohon zum Keynesianismus äußern, dann sollten Sie sich einmal mit der "Kenynesschen Langfristprerspektive" vertraut machen. Nur so als Empfehlung gegen das Vorurteil, keynesianische Makropolitik führe zwangsläufig in den "Schuldenstaat":
http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m6504.pdf
Und mit der "Staatsquote" haben Sie ausgerechnet die Lieblingskennzahl der Neoliberalen ausgewählt. Mit dieser Kennzahl versuchen diese den Eindruck eines überbordenden Eingriffs des Staates in die Wirtschaft zu beweisen. Jedoch: Die Aussagefähigkeit dieser Kennzahl geht gegen Null!
Die USA haben eine im Vergleich zu Deutschland niedrigere Staatsquote. Díe maßgebliche Ursache: In Deutschland tritt "der Staat" als "inkassostelle" für die Erbringer von Gesundheitsleistungen und Rentner auf (die Sozialversicherungsbeiträge werden vom Bruttogehalt einbehaltenf, während in den USA die hierfür anfallenden Versicherungsbeiträge vom Girokonto der Beschäftigten abgebucht werden.
Sehr geehrter Herr Augstein,
mit diesem Beitrag versuchen Sie erneut, Ihren Lesern Schritt für Schritt neoliberales Gedankengut unterzujubeln. Das beginnt bereits bei den Begrifflichkeiten: Staatliche Wirtschaftsaktivitäten finden in der "Berhörde" statt, private Akivitäten in der "Firma". Die "Berhörde": das klingt so schön nach Beamtentum, Ärmelschonern und Muff, gell?
Und wenn Sie sich sohon zum Keynesianismus äußern, dann sollten Sie sich einmal mit der "Keynesschen Langfristperspektive" vertraut machen. Nur so als Empfehlung gegen das Vorurteil, keynesianische Makropolitik führe zwangsläufig in den "Schuldenstaat":
http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m6504.pdf
Und mit der "Staatsquote" haben Sie ausgerechnet die Lieblingskennzahl der Neoliberalen ausgewählt. Mit dieser Kennzahl versuchen diese den Eindruck eines überbordenden Eingriffs des Staates in die Wirtschaft zu beweisen. Jedoch: Die Aussagefähigkeit dieser Kennzahl geht gegen Null!
Die USA haben eine im Vergleich zu Deutschland niedrigere Staatsquote. Díe maßgebliche Ursache: In Deutschland tritt "der Staat" als "Inkassostelle" für die Erbringer von Gesundheitsleistungen und Rentner auf (die Sozialversicherungsbeiträge werden vom Bruttogehalt einbehalten), während in den USA die hierfür anfallenden Versicherungsbeiträge vom Girokonto der Beschäftigten abgebucht werden. Auf die Höhe der vom "Staat" erbrachten Güter und Dienstleistungen hat dies jedoch keinen Einfluß!
Lieber Herr Augstein,
Sie sehen, scheint es mir, den liberalen Wald vor lauter neoliberalen Bäumen, Gestrüpp Otterngezücht nicht, wenn Sie klug leise über Barrikaden hinweg fragen:
„Lieber netznomade,......Aber Sie müssen bitte jetzt noch mal erklären, was das mit dem Versagen der keynesianistischen Nachfragsteuerung und dem Zusammenbruch des englischen Nachkriegsmodells zu tun hat...?“
John Maynard Keynes lobte sowohl die planerischen Elemente, mit ihren Projekten der Vollbeschäftigung, der Wirtschaftspolitik in der UdSSR als auch im italienischen Faschismus unter Benito Mussolini, ohne diesen folgen zu wollen.
John Maynard Keynes glaubte, anders als Fachisten, Kommunisten, Sozialisten, ganz Liberaler, nicht an eherne Gesetzmäßigkeiten, wie das Recht auf Arbeit, sondern vertraute staatlich geplanten Anreizen in der Ökonomie, die durchaus Gesetzesrang erlangen sollten.
Vollbeschäftigung galt ihm als ein solcher Anreiz in der Ökonomie, die in Gesetze gegossen, die Wirkung von Forderungseigentum (s. Paul Kirchhof „Das Gesetz der Hydra“) breiter Massen entfalten könnte, in Deutschland sogar ansatzweise in Umrissen konnte, bevor die rotgrüne Regierung, im Bunde mit der Opposition, dieses Forderungseigentum breiter Massen per Agenda 2010/Hartz IV auf kaltem Wege treuwidrig geschliffen.
Wenn den Massen in krisenhaften Zeiten der Abwesenheit von Vollbeschäftigung also Schlechtes widerfährt, wäre das im Sinne keynesianistischer Nachfragsteuerung durchaus Klagewege wert, um, vorab, Privathaushalte Unternehmen gleichgestellt, den materiellen Gegenwert von Vollbeschätfigung gesichert zu erlangen.
An diesen gesetzlichen Wegen zu Klage- Instanzen mangelt es, lokal global, bis heute.
Haben wir nicht insofern das Versagen, Entsagen des Gesetzgebers zu beklagen, der der Globalsteuerung das gesetzgeberische Geleit, den gesetzlichen „Gehorsam“ verweigert und nicht das Versagen der keynesianistischen Nachfragsteuerung, wie Sie es nahelegen?
tschüss
JP
Lieber Jakob Augstein,
leider komme ich erst jetzt dazu, noch einmal auf Ihre Erwiderungen zu meinen Kommentar einzugehen. Natürlich sehe ich auch die argumentativen Schwierigkeiten, in denen sich alle Blogger und Kommentatoren auf diesem Gebiet befinden, nämlich die Komplexität und Kompliziertheiten der Prozesse zu erkennen und trotzdem anzutreten, sich relativen Wahrheiten anzunähern. Wer dabei nur darauf aus ist, die Widersprüchlichkeiten der jeweils anderen Seite auszumachen, hat leichtes Spiel. So z.B. wie ich jetzt, wenn ich Ihre Skepsis gegenüber Kausalitäten und Ihre Begründungen zur Folgerichtigkeit des Neo-Liberalismus gegenüberstelle. Das ist aber nicht mein Anliegen, bin ich doch auch der Auffassung, dass in Zeiten, wo sich die Natur-Wissenschaften fast jeden Tag von einem scheinbar ehernen Paradigma verabschieden müssen, es den gesellschaftlichen Wissenschaften gut ansteht, alles auf den Prüfstand zu geben. Daraus aber abzuleiten, dass gar nichts mehr erkenn-, beschreib- und veränderbar sei, wie einige das sehen, halte ich für falsch.
Gerade wegen der Komplexität der Prozesse muss man meiner Meinung nach manchmal den Mut haben, sich auf Wesentliches, auf Annäherungen an Wahrheiten, auch Vereinfachungen, einzulassen. Und eine solche ist für mich bei der Suche nach den Ursachen des Scheiterns des Kapitalismus, (ja,ja, ich weiß, noch ist es nicht so weit) den Verwertungs- und damit Wachstumszwang des Kapitals, dem Sie so heftig widersprochen haben, aber nicht mit Argumenten, sondern mit Hinweisen auf die Kompliziertheiten der Prozesse, deutlich zu machen.
Ihr Satz >Ich bin kein Materialist, deute ich in diesem Zusammenhang als ein trutziges: >>Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde usw….. und dann braucht es zumeist keine Argumente mehr.
Materialist, Idealist, die Grenzen verschwimmen wie in den Wissenschaften, wo physikalische Prozesse nur noch mit der Akzeptanz von Unschärfen erklärbar werden oder die letzten Erkenntnisse in der Physik sich weder von der einen noch von der anderen Seite vereinnehmen lassen.
Auch mir leuchten inzwischen die Hinweise, dass sich alles in Rhizomen oder auch in Form von Fraktalen entwickelt, mehr ein, als vergangene materialistische Weltbilder mit einer mechanistischen Dialektik das vermögen. Nur, auch hier gibt es Entwicklungen, wie z.B. das >Potsdamer Manifest von Peter Dürr, auf das ich gern hinweise.
Was mir an der Diskussion um und über den "Neoliberalismus" immer wieder auffällt ist dass viele Politiker, Journalisten, Kommentatoren und Bürger die Abkehr vom Neoliberalismus und eine Rückkehr zur sozialen Marktwirtschaft fordern und dabei (unwissentlich) zu ignorieren scheinen, dass der (begründet) kritisierte und verteufelte Neoliberalismus die theoretische Grundlage der sozialen Marktwirtschaft bildet.