Der Märzhase der Politik

Hegelplatz 1 Friedrich Merz will die CDU zurück in die Vergangenheit führen. Ob ihm die Partei ins unterirdisch Unterbewusste folgen wird? Jakob Augstein ist sich da nicht so sicher
Ausgabe 48/2018
„Oh my ears and whiskers, how late it’s getting!“
„Oh my ears and whiskers, how late it’s getting!“

Foto: imago/Zuma Press

Wir am Hegelplatz sind ja unheimlich gebildet. Es gibt Leser, die unsere Zeitung abbestellen, weil sie bei der Lektüre schlechte Laune bekommen, wenn sie merken, dass sie nicht so gebildet sind wie wir. Einige von uns beobachten das mit Trauer, einige mit Hochnäsigkeit. Sie wollen nur Leser, die so gebildet sind wie sie selbst, und halten es mit Jakob Böhme, der gesagt hat: „Wer es verstehen kann, der verstehe es. Wer aber nicht, der lasse es ungelästert und ungetadelt. Dem habe ich nichts geschrieben. Ich habe für mich geschrieben.“ (Und, zack, wieder ein Beweis für umfassende Bildung!)

Jedenfalls würden gebildete Leute wie wir niemals Namenswitze machen. Gehört sich einfach nicht. Es sei denn, es geht nicht anders. Und als Friedrich Merz so unerwartet auf der politischen Bühne erschien, wie, nun ja, wie ein Hase aus dem Gebüsch springt, da war es so weit: Wir müssen uns mit Merz als dem Märzhasen der Politik befassen.

Für die Leser, die nicht so gebildet sind wie wir – und trotzdem noch bei der Stange bleiben: Der Märzhase ist eine wichtige Figur aus der Geschichte Alice im Wunderland und Friedrich Merz eine nicht ganz so wichtige Figur aus der Gegenwart der CDU.

Merz will Parteivorsitzender anstelle der Parteivorsitzenden werden, vermutlich dann auch Kanzler anstelle der Kanzlerin. Nach allem, was man bisher weiß, hat er sich zu diesem Zweck vorgenommen, erst die Partei, dann das Land in die Vergangenheit zu führen. Denn was er etwa über das Asylrecht sagt – und gar nicht so gemeint haben will –, hat er ganz genau so schon im Dezember 2000 gesagt, und dabei alles, was sich seitdem verändert hat, offenbar nicht mitbekommen. Das sollte man ihm nicht vorwerfen, denn er war damit beschäftigt, als Banker Millionen zu verdienen, was wiederum nichts Verwerfliches ist – aber alles zusammen disqualifiziert ihn dann schon ziemlich für einen, sagen wir, Spitzenposten in der Immer-noch-Volkspartei CDU.

Ich bin nicht sehr beunruhigt. Ich sehe nicht, dass die CDU Friedrich Merz auf seinem Weg ins unterirdisch Unterbewusste folgen wird, so wie Alice dem Märzhasen in seine Tunnel.

„Oh my ears and whiskers, how late it’s getting!“, ruft der dabei immer. Weil er dauernd fürchtet, die Teestunde zu verpassen. Er ist ein Zuspätkommer, dieser Märzhase. Die Analogie verstehen jetzt auch die Ungebildeten unter den Lesern. Christian Enzensberger hat das übrigens mit „Ohren und Bommelschwanz“ übersetzt – das ist nicht so korrekt wie „Ohren und Schnurrhaare“, aber viel schöner. Aber warum das Internet Enzensbergers Wortwahl mit einem „Sexy Bunny-Kostüm“ assoziiert, „süß, pink, frech, kuschelig, mit BH, Tanga und Schwänzchen“, das verstehe, wer will.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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