Gesagt ist gesagt

Hegelplatz 1 Jakob Augstein mag den Papst – wirklich. Aber er findet, es gibt da ein Problem
Ausgabe 35/2018
Immerhin war es auch dieser Papst, der vor Jahren über den Homosexuellen als solchen gesagt hat: „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“
Immerhin war es auch dieser Papst, der vor Jahren über den Homosexuellen als solchen gesagt hat: „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“

Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Ich glaube, ich lehne mich nicht zu weit aus meinem Bürofenster, wenn ich feststelle, dass die meisten von uns hier am Hegelplatz nicht katholisch sind. Wahrscheinlich nicht mal protestantisch, und das ist bekanntlich schon eine Schwundstufe des Katholischen. Wir sind hier einfach gar nichts. Es wird Sie, liebe Leserin, lieber Leser, darum vielleicht überraschen, wenn ich eine Lanze für den Papst breche.

Ich mag den Papst. Ganz grundsätzlich jeden Papst. Mit Ausnahme allerdings des deutschen, der mir unheimlich war. Alle Nachteile der katholischen Kirche sind mir durchaus bekannt – Sündenlehre, Hexenverbrennung, Kindesmissbrauch, da kommt einiges zusammen. Aber ich kann mir nicht helfen: Ich habe eine kindliche Bewunderung für die Schönheit der christlichen Kunst. Und die gibt es nun mal nicht ohne die Kirche. Masaccios Bild von der Vertreibung aus dem Paradies entschädigt für viele Übel der Kirche. Allerdings, mögen Sie einwenden, habe ich leicht reden, da ich als mehr oder weniger heterosexueller weißer Mittelklassemann, der nie in einer kirchlichen Lehreinrichtung war, auch nicht zu den Opfern der Kirche gehöre – sondern durch Kunst und Musik und Architektur und Philosophie nur zu ihren Profiteuren. Und übrigens ist die Bibel die reinste und schönste Literatur.

Ich habe gesagt, ich mag jeden Papst. Aber ganz besonders mag ich diesen, den fußwaschenden, unorthodoxen, geradezu revolutionären Befreiungstheologen im Vatikan. Dann habe ich allerdings gelesen, dass er neulich im Flugzeug auf der Rückreise aus Irland gesagt haben soll, wenn sich Homosexualität in der Kindheit zeige, gebe „es viel, was mit Psychiatrie gemacht werden kann, um zu sehen, wie die Dinge liegen“. Das Zitat fehlte dann nachher in der offiziellen Abschrift des Gesprächs. Irgendjemand in der kirchlichen Pressestelle hatte aufgepasst. Aber – gesagt ist gesagt, oder?

Da war ich enttäuscht. Wenn Sie ein in der Wolle gewirkter Kirchenfeind sind, mag es Ihnen sonderbar vorkommen. Aber jeder hat so seine Schmerzschwelle. Immerhin war es dieser Papst, der vor ein paar Jahren über den Homosexuellen als solchen den zutiefst christlichen und demütigen Satz gesagt hat: „Wer bin ich, ihn zu verurteilen?“ Das hat Hoffnung gemacht. Ein solch tief sitzendes Missverstehen von Homosexualität, eine solche Pathologisierung einer sexuellen Orientierung – das hätte ich diesem Papst tatsächlich nicht zugetraut.

Aber bevor er Papst wurde, war er eben Jorge Mario Bergoglio, Sohn eines kleinen Lebensmittelhändlers aus dem Buenos Aires der 1930er und 1940er Jahre. Da hatte man es nicht so mit den Schwulen. Das Beste, was sich jetzt sagen lässt, ist: Vielleicht muss er der Franziskus, der er sein will, noch werden.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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