Denkverbote oder Wer beherrscht den politischen Diskurs

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Denkverbote, so glaubte ich Ende 1989, würden nie wieder unseren Alltag bestimmen, hierzulande. Denkverbote, die als Mittel in der politischen Auseinandersetzung von jenen Kreisen eingesetzt wurden, die damals bei uns die Diskurshoheit innehatten. Doch nun sehe ich mich neuerdings fast tagtäglich mit Denkverboten konfrontiert, mit einer Praxis, die geeignet ist, den notwendigen gesellschaftlichen Diskurs zu unterminieren oder zum Bekenntnis verkommen zu lassen.

Da wird beispielsweise die Formel die DDR war ein Unrechtsstaat zur offiziell verbindlichen Sprachregelung resp. Lesart der jüngeren Zeitgeschichte erhoben, gar zum Wahlprüfstein (siehe z.B. NRW), an dem schon scheitert, wer neben der Zustimmung auch nur ein zögerliches Aber vernehmen läßt - das wird dann gleich als Relativierung des in der DDR begangenen Unrechts interpretiert.

Auch die Kandidatin für das höchste Amt, Luc Jochimsen ereilte jetzt dieses Geschick - sie hat am 17. Juni von in der DDR begangenem unverzeihlichen Unrecht gesprochen, doch das U-Wort benutzte sie ausdrücklich nicht. Wer von der offiziellen Sprachregelung abweicht, gerät in Mißkredit oder wird ins gesellschaftliche Abseits befördert, und das gilt im Übrigen auch für jeglichen systemkritischen Denkansatz.

Gesine Schwan wiederum sieht sich nun bezüglich ihrer jüngsten Rede im Bundestag zum Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 mit dem Vorwurf seitens verschiedener Politiker von CDU und FDP, u.a. von Faktionschef Kauder und Fraktionsvize Arnold Vaatz konfrontiert, dabei "völlig unverständliche Parallelen zwischen der heutigen Situation in der Bundesrepublik und der im Unterdrückungsstaat DDR" gezogen zu haben. Einige Abgeordnete der FDP sollen laut Welt aus Protest gar den Sitzungssaal verlassen haben.

Was Gesine Schwan seitens derer, die heute den Diskurs dominieren, anscheinend wirklich verübelt wird, ist doch, daß sie sich in ihrer Rede nicht auf die geschichtliche und moralische Verurteilung des Unrechtsstaates DDR beschränkt, sondern auch gegenwärtige Entwicklungen in unserem politischen Gemeinwesen einer kritischen Betrachtung unterzogen hat.

Folgendes Zitat aus ihrer Rede, die im Übrigen von etlichen Tageszeitungen online gestellt wurde, möge belegen, daß es sich bei den beklagten "unverständlichen Parallelen" keinesfalls um eine billige Gleichsetzung der heutigen Situation mit der im Unrechtsstaat handelt (während Gleichsetzungen gern von der anderen Seite hinsichtlich SED und heutige Linke vorgenommen werden):

"Ein Gefühl der Ohnmacht und der Ungerechtigkeit hat sich in unserer Demokratie ausgebreitet. Umfragen zeigen, dass die Einstellung zur Demokratie stark von solchen Benachteiligungs- und Ungerechtigkeitsgefühlen abhängt.

Und ist es denn noch als gerecht zu bezeichnen, wenn Milliardenbürgschaften, die wahrscheinlich notwendig waren, für die Rettung des Bankensystems ausgegeben werden und kurz danach Banken Milliardengewinne einstreichen, die von eben dieser Rettung ihrerseits profitiert und von denen viele sich zuvor an der Gefährdung des Systems beteiligt haben, z.B. durch unverantwortliche Verbriefungen oder Wetten? Muss die Distanz zu unserer Demokratie nicht wachsen, wenn sie angesichts von noch mehr Millionären nach, ja infolge der Krise nicht zur Kasse gebeten und umgekehrt trotz einer drastischen und beschämenden Kinderarmut – über zwei Millionen Kinder wachsen in unserem reichen wiedervereinigten Deutschland armutsgefährdet auf und haben kaum eine reelle Chance auf angemessene Bildung und auf die Freiheit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen –, wenn angesichts dessen bei Familien und Hartz-IV-Empfängern, viele von ihnen alleinerziehende Mütter, gespart würde?

Wenn die kommunalen Haushalte, die auch durch die Bankenrettung ausgeblutet sind, ihren Aufgaben gerade gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft nicht mehr nachkommen können? Das wäre eine Normerhöhung besonderer Art. Um an den 17. Juni 1953 zu erinnern."

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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