Die "Frankfurter Geheimkammer"* - Schlichtungsgespräch 5. Runde

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Es war abzusehen, daß es heute nicht gleich programmgemäß mit der Schlichtung weitergehen würde, nur hatte ich gedacht, aus einem anderen Grund als den nun hier thematisierten. Denn zu Beginn der Schlichtung haben die S21-Kritiker von Neuem das Zurückhalten von Unterlagen seitens der Bahn moniert, u.a. die zur betrieblichen Aufgabenstellung, die die Grundlage für das gesamte Projekt bilden.

Für die fünfte Schlichtungsrunde stehen Ökologie und städtebaulische Entwicklung auf der Tagesordnung, und dafür ist z.B. die Einsicht in die Unterlagen zu Infrastrukturbestand, zum Wassermanagment und zum Abraum notwendig. Doch Dr. Brigitte Dahlbender vom BUND beklagte, daß die Voraussetzung "alle Fakten auf den Tisch", die nunmal die Gesprächsgrundlage bilde, seitens der Bahn permanent verletzt werde. Weder wurden Papiere zur Wirtschaftlichkeitsberechnung des Projekts noch zu Energiebilanz herübergereicht.

Insbesondere kritisierte Dahlbender auch, daß sie die Unterlagen zur Geologie (dies wird Hauptthema der samstäglichen Schlichtungsrunde sein) nur in einem sogen. Datenraum einzusehen waren, unter Aufsicht und ohne Möglichkeit, schriftliche Notizen zu machen ... Die geologischen Gutachten haben immerhin einen Umfang von 300 Ordnern, der ohne Vorleistung seitens der Bahn kaum zu bewältigen ist. Bahnvorstand Kefer und Ministerin Gönner meinten, diese Unterlagen seien ausschreibungsrelevant und könnten also nicht vorab ins Netz gestellt werden.

Schlichter Heiner Geißler konnte nur den Kopf schütteln: "Es gibt Punkte, da werde ich unruhig. Sollen wir uns also Morgen alle nach Frankfurt in einen ominösen Datenraum begeben, der vielleicht sogar abgedunkelt ist?" Und zeigte sich nicht einverstanden mit der Frankfurter Geheimkammer ...

Jetzt kommts, Peter Conradi fordert eine Erklärung zum Schreiben des Eisenbahnbundesamtes vom September 2010, das der Stern vor drei Tagen veröffentlicht hatte und nach dem es vorläufig keine Baufreigabe aus finanzieller Sicht geben könnte.

Ministerin Gönner lieferte eben eine kurze Regierungserklärung ab: Der Landesregierung war das Schreiben des Eisenbahnbundesamtes nicht bekannt. Kefer bezeichnete das Ganze als Formalakt, die Finanzierung stehe, es müsse nur noch eine Anpassvereinbarung (bezüglich gesteigerter Kosten) abgeschlossen und die relevanten Berechnungen nachgereicht werden, dann würde ab Ende des Jahres abschnittsweise die finanzielle Baufreigabe erfolgen ... Stocker warf ein, Anpassvereinbarung bedeute doch nichts anderes als: Wer bezahlt die Mehrkosten?

Jetzt erfolgt mit über einer Stunde Verspätung der Einstieg in Tagungsordnungspunkt 1 - den ökologischen Aspekt des Projekts ... S21 wird seitens der Bahn als ökologisches Jahrhundertprojekt bezeichnet, dabei steht eine komplette Ökobilanz für das Vorhaben noch aus, die allerdings zur Beurteilung erforderlich wäre.

In die Ökobilanz fließt alles ein, die Errichtung der Infrastruktur, Baumaterialien, Abraummengen,Transportleistungen ..., und beispielsweise auch der Anstieg der CO2-Emissionen während der Bauzeit und wieviele Jahre "Rückzahlzeit" es braucht, diese auszugleichen und zu Emissionsminderungen zu kommen.

Die Rückzahlzeit beträgt nach der Darstellung von Dr. Ing. Joachim Nitsch (Experte der Projektkritiker) bei S21 (ohne Bahnhof) etwa elf, bei K21 vier Jahre, so sei der "ökologische Rucksack" des Projekts also sehr umfangreich und die positiven ökologischen Wirkungen träten erst sehr spät ein. Was wohl auch mit den vielen Tunnelbauten zu tun haben dürfte ...

Nach der Darstellung Nitsch bringt S21 kaum Verbesserungen für den Güterverkehr, K21 hingegen schon, weil da mehr Mittel ungebunden bleiben und speziell für die Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene verwendet werden könnten.

Jetzt am Nachmittag sollte das Projekt unterm Aspekt Stadtentwicklung betrachtet werden, momentan geht es um Gleisausgleichsflächen, die angelegt und mit Schotter versehen werden (Schotter, das erinnert mich an was ...), das betrifft eine Fläche von 5,8ha. am Rande des jetzigen Abstellbahnhofes.

Am Mittag hatte der Geschäftsführer des BUND, Gerhard Pfeifer, kritisiert, daß durch die vielen geplanten Tunnelbauten und die Bahnhofstieferlegung etliche Trockenbiotope wegfielen, die sich auf Gleisbett und Böschungsgelände über viele Jahrzehnte gebildet hätten. 683 verschiedene Trockenheit und Wärme liebende Arten, von Insekten über Echsen bis hin zum Feldhasen siedelten in diesen Biotopen, darunter auch Arten, die vom Aussterben bedroht sind.

Stadtrat Hannes Rockenbauch und Brigitte Dahlbender unterstreichen, daß das Gleisvorfeld des Stuttgarter Bahnhofs eines der größten zusammenhängenden Trocken-Biotope in Europa darstellt, während die Ausgleichsflächen nicht zusammenhängend, sondern nur vereinzelt angelegt werden. Bei K21 bliebe der größte Teil des Gleisvorfelds erhalten. Peter Conradi legt offen, daß mit dem Projekt S21 schwere Schäden für Architektur und das innerstädtische Ensemble verbunden sind. Das geplante Mega-Einkaufszentrum würde zudem den innerstädtischen Einzelhandel gefährden.

Am späten Nachmittag spielte auch die Bebauung der durch S21 freiwerdenden Grundstücke eine Rolle - welchen Charakter sollen diese Grundstücke erhalten, Büros, Banken usw. und noble Viertel, oder familienfreundliche Areale auf für weniger Bemittelte? Die Befürworterseite spricht von hochwertigem Wohnen (der von den Befürwortern berufene Experte Matthias Hahn (SPD, Bürgermeister für Städtebau und Umwelt) stellte entsprechende Projekte vor - doch hochwertiges Wohnen bedeutet letztendlich, daß der Mietpreis ebenfalls hoch ausfallen dürfte.

Das entspräche, so Brigitte Dahlbender, keiner ganzheitlichen Stadtentwicklung, sondern schaffe eher kleine Sondergebiete, die abgekoppelt sind. Zudem hat die Stadt viel Geld für den Erwerb dieser Grundstücke ausgeben müssen, was sich auch auf Bau- und Nachfolgekosten auswirken wird.

Über den Etherpad der Parkschützer wird die Schlichtungsrunde wieder protokolliert. Am Nachmittag erfolgt dies über PiratenPad von der Piratenpartei. Phoenix und FlügelTV übertragen live. Der vom PiratenPad dokumentierte Diskussionsverlauf von 10.00h an kann hier nachgelesen werden.

Am Sonnabend, den 20. November, geht die Schlichtung weiter, mitprotokolliert hier ...

*Zitat Geißler

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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