Die eben zuende gegangene Sitzungswoche im Bundestag erscheint im Nachhinein als eine Folge äußerst denkwürdiger und zum Teil auch polarisierender Debatten. Angefangen von der Aktuellen Stunde zu S21, den Debatten zum Bericht der Bundesregierung zur Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre und zur Sicherungsverwahrung, bis hin zu den Auseinandersetzungen über die Regelsätze für Hartz IV-Empfänger, die am Freitagmorgen sehr emotional geführt wurden und sogar eine Sitzungsunterbrechung zur Folge haben sollten ...
Zur Menschenrechtssituation im Iran debattierte man bereits gestern, Grundlage dafür bildete ein interfraktioneller Antrag der Koalitionsparteien sowie SPD und Grünen aus aktuellem Anlaß der drohenden Todesstrafe durch Steinigung für eine Iranerin. Eigentlich war der Antrag von den Grünen ausgegangen, die Fraktionen von CDU und FDP hatten sich dem Anliegen zunächst versagt, sodaß die Grünen SPD und Linke ins Boot holten.
Doch dann besannen sich CDU und FDP, und so entstand der vorliegende Antrag, der an den Iran appelliert, die Menschenrechtslage endlich zu verbessern. Und die Linke war plötzlich draußen, weil vor allem CDU/CSU-Fraktionäre Zweifel anmeldeten, ob die Abgeordneten dieser Partei unter Menschenrechten dasselbe verstünden wie sie ...
Die Linke stellte daraufhin den ursprünglichen Antrag der drei Oppositionsfraktionen zur Abstimmung, der nach ihrer Auffassung der bessere sei. In der Debatte wurden denn auch die Ressentiments, die seitens der CDU-Abgeordneten gegenüber der Linken gepflegt werden, thematisiert. Besonders denkwürdig sollte eine Kurzintervention des Kollegen Arnold Vaatz ausfallen:
Arnold Vaatz (CDU/CSU):
Der Kollege Polenz hat soeben zu dem Thema Stellung
genommen, ob es nicht zusammen mit der Linken
gemeinsame Anträge zum Thema Menschenrechte geben
sollte. Ich möchte der Antwort des Kollegen Polenz
etwas hinzufügen: Ich halte es für richtig, dass unsere
Anträge so stark wie möglich sind und eine so breite Unterstützung
wie möglich erfahren, wenn sie dem Thema
Menschenrechte gelten, weil es um die Betroffenen geht
und nicht um uns. Aber das setzt voraus, dass man sicher
ist, dass alle Unterstützenden unter dem Wort „Menschenrechte“
in etwa dasselbe verstehen.
(Zurufe von der LINKEN: Oijoijoi!)
Das große Problem, das ich mit den Kolleginnen und
Kollegen von der Linken habe, ist, dass mir in meinem
Wahlkreis sehr viele Vertreter der Linken-Basis begegnen,
die in der DDR behauptet haben, dass dieser Staat
die Menschenrechte optimal verwirkliche. Genau das
zeigt, dass es hier eine dramatische Differenz im Verständnis
dieses Begriffs gibt. Ich möchte ein gemeinsames
Votum dieses Hauses nicht dadurch schwächen,
dass ich mich dem Verdacht aussetze, unter Menschenrechten
etwas Ähnliches zu verstehen, was die aus der
DDR kommende Parteibasis der Linken ihr Leben lang
darunter verstanden hat und noch heute darunter versteht.
CDU- und FDP-Abgeordnete aus den "neuen" Bundesländern kultivieren bekanntermaßen gern im Kontext der geschichtlichen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit ihre Selbstgerechtigkeit, und Arnold Vaatz in diesen Dingen ernstzunehmen bedeutet letztendlich, ihm zu schmeicheln. Dennoch meldeten sich Stefan Liebich (Die Linke) und Volker Beck (Grüne) berechtigterweise für eine Entgegnung zu Wort, und die Ausführungen des letzteren möchte ich hier wiedergeben:
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich möchte auch auf diesen Punkt in der Rede von
Herrn Polenz zurückkommen. Ich meine, dass wir uns
keinen Gefallen tun, wenn wir bei Menschenrechtsfragen
nicht gemeinsam agieren.
Wir müssen akzeptieren, dass jeder der Abgeordneten
der Linksfraktion das gleiche Mandat hat wie wir; er
wurde von Wählerinnen und Wählern dieses Landes gewählt
und ist deshalb legitimiert, mit uns gemeinsam
Politik zu machen. Niemand will doch behaupten, dass
diese Linksfraktion anstrebt, die DDR wieder zu errichten
und damit eine Diktatur. Das ist doch wirklich albern.
Aber bei ganz konkreten Menschenrechtsanträgen
gibt es Differenzen mit der Linken, weil sie bei bestimmten
Ländern nicht so genau hinschaut, zum Beispiel
wenn es um China oder Kuba geht. Wir hatten da in
der letzten Wahlperiode eine scharfe Auseinandersetzung
in der Frage, ob man nur auf Guantánamo schaut
oder auch um Guantánamo herum die Maßstäbe der internationalen
Menschenrechtsverträge anlegt.
Diese Auseinandersetzung ersparen Sie den Linken
damit, dass Sie sie hier zu Schmuddelkindern erklären.
Ich will die politische Auseinandersetzung mit ihnen
führen und auch hart darüber streiten. Wir hatten auch
schon Diskussionen mit Vertretern der Unionsfraktion
darüber, dass man das bei bestimmten befreundeten Ländern
nicht ganz so streng sieht und dass man bei ihnen
einen Weichzeichner benutzt.
Wir sind der Meinung: Die Richtlinien in der Menschenrechtsdebatte
und der Menschenrechtspolitik müssen
die internationalen Verträge und die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte sein. Wer das unterstützt,
ist uns willkommen, auch wenn er eine schwierige Geschichte
hat.
Ich meine, auch in den Fraktionen auf der bürgerlichen
Seite des Hauses gibt es schwierige Vergangenheiten
von einzelnen Mitgliedern dieser Partei. Das hat uns
nie davon abgehalten, Richtiges zu unterstützen. Deshalb
werden wir zu den richtigen Forderungen der
Linkspartei und der Koalition immer Ja und zu falschen
Forderungen und falschen Sichtweisen genauso deutlich
Nein sagen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Dem ist nichts hinzuzufügen. Soviel für heute ...
Kommentare 6
Auch ich habe diese Woche immer mal wieder in die Sitzungen des Bundestages reingeschaut. Negativ fand ich die ziemlich leeren Ränge des Bundestages, positiv fand ich diese "Kurzinterventionen" oder besser gesagt Zwischenfragen. Gab es das früher auch? Ich kann mich nicht daran erinnern. Lockert die Debatte auf jeden Fall auf.
Zudem fand ich diese ständigen Zwischenrufe bei den Reden nicht sehr angenehm. Ich will das jetzt hier gar nicht an irgendeiner Fraktion festmachen, es hat einfach nur genervt. Jede Fraktion hat Rederecht, da baucht man nicht diese Pöbel-Kultur mit Zwischenrufen zu pflegen, das finde ich extrem negativ und macht beim Volk auch keinen guten Eindruck.
Kurzinterventionen gab es auch schon früher, und man kann solch eine KI auch beantragen, wenn der aktuelle Redner keine Zwischenfrage zugelassen hat ...
Okay, danke ist mir bei früheren Debatten nicht aufgefallen.
Diese ständigen Zwischenrufe waren früher auch nicht so schlimm, aber vielleicht täuscht da auch meine Erinnerung.
"Okay, danke ist mir bei früheren Debatten nicht aufgefallen.
Diese ständigen Zwischenrufe waren früher auch nicht so schlimm, aber vielleicht täuscht da auch meine Erinnerung."
Die täuscht sogar gewaltig. Debatten zu Zeiten des Kalten Krieges, Redeschlachten zwischen SPD und CDU/CSU-Haudegen vom Schlage Wehner oder Strauss. Da flogen verbal die Fetzen, natürlich auch in Form von Zwischenrufen. Heute, so denke ich manchmal ist es viel gesitteter und die Zwischenrufe und das Gemurre aus den schwach besetzten Rängen sehr limitiert und vor allem ritualisiert. Hinterher geht man noch ein Bier trinken ...
Arnold Vaatzens Demokratieverständnis, dass wissen viele Dresdner, ist höchst selektiv, einseitig interessegeleitet und somit ziemlich zweifelhaft. Den kann man in seiner Machtarroganz und einem hohen Grad an Selbsgerechtigkeit gegenüber Bürgerengagement (wenn es den eigenen Macht- und Parteiinteressen entgegen steht) und Protest nicht wirklich ernst nehmen. Man möchte sagen, der hat lediglich die Seiten gewechselt. Vorher war eben die falsche Nomenklatura an der Macht, da hat er gemurrt, heute ist er eben Teil der richtigen Nomenklatura - der sächsischen Staatspartei CDU. Diese Partei hat nunmehr immer Recht, sowahr der große Freiheitskämpfer Tillich uns helfe ...
übrigens meldete sich auch ein fc-mitglied während der debatte mittels zwischenruf zu wort, zu finden auf seite 8570, links oben, dieser stammt auch aus "neufünfland" ...
Liebe jayne,
starke Informationen. Gerne gelesen. Besonders gut hart mir der Gedanke von der Kulivierung der Selbstgerechtigkeit gefallen. Das ist wirklich so. Die sollte sich mal an die eigne Nase packen und sich z.B. fragen, wie gerecht Hartz IV für eine motivierte Mutter mit kleinen Kindern ist? Das ist unter ihrer Regierung geschehen! Trotzdem will ich ihnen einen Änderungswillen zugestehen...aber Steinmeier und tRittin wirken in diesem Zusammenhang irritierend auf mich.
Mit solidarischen Grüßen
poor on ruhr