"Garten der Irrtümer"

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In Leipzig findet dieser Tage eine Internationale Demokratiekonferenz statt, angesiedelt im Geschichtsraum 20 Jahre 9. Oktober 1989 und Mauerfall. Heute abend übertrug MDR-Figaro eine der Podiumdiskussionen live: "Deutschlandbilder - Innen- und Außensichten." Mit von der Partie waren die in Atlanta geborene Prof. Dr. Susan Nieman, die seit 2000 als Direktorin des Einstein-Forums in Potsdam fungiert, der polnische Botschafter Dr. Marek Prawda, und von deutscher Seite die Herren Dr. Christoph Bergner, Parlamentarischer Sekretär im Bundesministerium des Innern, seit 1971 Mitglied der CDU, und Prof. Dr. Richard Schröder, Humboldt-Universität Berlin. Was die deutschen Teilnehmer und ihre politische Herkunft betrifft, durfte man sicher sein, hier einem weiteren Akt patriotischer Selbstfeier im Jubeljahr beiwohnen zu können. Das politische Spektrum des 89er Leipziger Herbstes fand sich auf dem Podium nicht repräsentiert.

Die Runde diskutierte im nur locker gefüllten Kleinen Saal des Neuen Gewandhauses mit Kennerschaft über etwas, in das die meisten der Podiumsteilnehmer nicht in persona involviert gewesen waren. Von den Initiatoren des Neuen Forums etwa, oder den anderer Gruppierungen jener Zeit, war niemand eingeladen worden. Obgleich Christoph Bergner sich zu Wendezeiten ebenfalls im Neuen Forum engangierte, habe für ihn, wie er betonte, von vornherein festgestanden: keine Experimente, das Grundgesetz habe für ihn von Anfang an den idealen Boden gebildet. Ja er verstieg sich in der Diskussion über eine Alternative zum Beitritt der DDR resp. der eines dritten Weges sogar zu der Behauptung, die polnische Solidarnosc hätte schon Anfang der 80er Jahre für die Einheit Deutschlands plädiert, was Marek Prawda so nicht bestätigen mochte. Bergner bezeichnete den Sozialismus und jegliche Spekulation über einen dritten Weg als Gang in den "Garten der Irrtümer". Susan Nieman sah das etwas differenzierter, mit Blick auf die Finanzkrise und fehlende soziale Sicherungen sowie die am Kapital orientierte Klimapolitik in den USA sprach sie davon, daß man auch angesichts dieser Verwerfungen unter kapitalistischen Bedingungen von einem "Garten der Irrtümer" sprechen könne. Im Übrigen nenne man in den USA die Sozialpolitik, wie sie in Europa betrieben werde, sozialistisch. Dies war nun ein Begriff, der Richard Schröder gleichsam elektrisierte - sie meine doch wohl "sozial", denn auf den Begriff "sozialistisch" reagiere hier jeder, der in der DDR gelebt habe, sehr empfindlich, fuhr er dazwischen.

Im weiterem Verlauf der Debatte ging es dann auch um die Frage, inwieweit die Finanzkrise und ihre Folgen eine Gefahr für die bundesdeutsche Demokratie darstellen könnten. Prof. Schröder hatte die passende Antwort parat: Trotz der Finanzkrise wären die Stimmenzuwächse der Linken bei den letzten Wahlen nur um ein Geringes höher ausgefallen, die Wähler hätten weiter auf das demokratische Prinzip gesetzt. Da weiß man also, was die Linke zu wählen für Leute wie Schröder oder Bergner bedeutet ...

Im ersten Teil der Diskussion kam man auf die Weimarer Republik, das NS-Regime und die Nachkriegszeit in Deutschland zu sprechen, und hier entpuppten sich die Unzulänglichkeiten der Totalitarismus-Theorie, die so gern NS-Herrschaft und DDR-Diktatur in eins setzt, ein weiteres mal. Während Susan hier eine klare Grenzlinie zog und sagte, in der DDR hätte es z.B. keine den "Nürnberger Gesetzen" vergleichbare Gesetzgebung gegeben, konterte Bergner: "na ja, also, wenn Sie sich mal mit dem Jahr 1950, 51 beschäftigen und wie man dort mit den sogenannten Kapitalisten umgegangen ist, denen Lebensmittelkarten entzogen worden sind und das Eigentum eingezogen worden ist, da will ich das wirklich nicht gleichsetzen, aber zu sagen, das hat gar keine Ähnlichkeit, finde ich nun auch gerade recht rücksichtslos gegenüber denjenigen, die dort leben mußten. Die allerdings, und das ist nun ein wesentlicher Unterschied, sind zu einem erheblichen Teil, haben sie ihr Leben retten können, indem sie nach dem Westen geflohen sind." So kann man also auch Geschichte schreiben ... Man höre sich das am Besten einmal selbst an, so ab der 50. Minute, unter obigen link.

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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