Ein ideologischer Turbo-Waschgang der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg
Innerhalb der Sendung "Deutschland Heute" des Deutschlandfunks war heute Nachmittag ein Beitrag zu einem neuen Schulprojekt dieser Landeszentrale zu hören. In verschiedenen Freiburger Schulen wird in der Woche vom 19. bis zum 23. Oktober eine Unterrichtsstunde in Heimatkunde nachgestellt, wie sie für den DDR-Alltag typisch gewesen sein soll. Den Kindern soll so ein Eindruck von der an DDR-Schulen permanent betriebenen ideologischen Indoktrination vermittelt werden. Als Lehrerin fungiert dabei die Vorsitzende des Schulmuseums Leipzig, die zu DDR-Zeiten selbst im Bildungsbereich involviert gewesen ist und das Ganze also aus eigener Anschauung kennen müßte. "Hände an die Hosennaht" heißt es im Beitrag seitens der Rundfunksprecherin, nachdem die Schülerinnen und Schüler die mit einer DDR-Flagge geschmückte Tür zum Klassenraum passiert und hinter den Bänken Aufstellung genommen haben. Das blaue Halstuch liegt auf jeden Platz. Es ist absurd. Halstücher hat man beispielsweise nur zu bestimmten Anlässen getragen, Schulanfang, wöchentlicher Morgenappell, Zeugnisübergabe, Pioniernachmittag, diverse Feiertage. Gesungen wurde hingegen oft, nach dem Pioniergruß zu Unterrichtsbeginn, z.B. "Unsere Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer ...", "Die Heimat hat sich schön gemacht und Tau glänzt ihr im Haar ...", oder die Nationalhymne, solange sie noch einen Text besaß ...
Dann wird, wieder im Beitrag, endlos ein Lehrsatz über die "DDR, unsere Heimat" repetiert, den die Lehrerin haargenau vorgesprochen hat, etwas, das ich nicht einmal im Staatsbürgerkunde-Unterricht erlebt habe, geschweige denn in der Unterstufe, in der das Fach Heimatkunde gegeben wurde. Und überhaupt steht hier die Frage im Raum, inwieweit man von einer DDR-typischen Schulstunde sprechen kann, was schon allein angesichts des doch sehr differierenden Naturells der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer, ihrer unterschiedlichen Methoden und Vorlieben schwerfallen dürfte, trotz der verbindlichen Lehrplanvorgaben.
Die Freiburger Kinder erleben derzeit also tatsächlich eine Unterrichtsstunde in Heimatkunde ...
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Nachtrag 20.10.: hier die Ankündigung des DLF von gestern, leider gibt es gerade zu den oben besprochenen Beitrag keinen Podcast:
Deutschland heute
- Unangekündigte Babykontrollen
in Bayern - Ein Pilotprojekt
in der Kritik
- Schule wie in der DDR -
In Freiburg werden Unter-
richtsstunden nachgespielt
- Altersarmut - Was tun, wenn
die Rente nicht ausreicht
Kommentare 17
Danke für den interessanten Blog. Auch wenn ich Deinen Text jetzt nicht noch mal wiederhole, hoffe ich schon verstanden zuhaben, was Du meinst und das ist richtig. Das ist wirklich ein ideologischer Turbo-Waschgang. Es war auch eine Stunde in Heimatkunde, allerdings in der Heimat der wiedervereinigten BRD mit der Meinungsmanupulation der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg. Ich will mit diesem Kommentar die DDR auch nicht unreflektiert in den Himmel heben, aber auch in der BRD ist nicht alles Gold was glänzt.
(z.B. Hartz IV)
Wahrscheinlich soll das Verbreiten der damals genehmen Ideologie durch das Verbreiten der heute genehmen Ideologie mit ähnlichen Mitteln veranschaulicht werden.
"Als Lehrerin fungiert dabei die Vorsitzende des Schulmuseums Leipzig, die zu DDR-Zeiten selbst im Bildungsbereich involviert gewesen ist und das Ganze also aus eigener Anschauung kennen müßte."
Meine Güte, selbst wenn die Frau guten Willens ist und Nuancen zeigen wollte, sie werden es nicht zulassen, sie wird genau das abzuliefern haben, was erwartet wird.
Klischee, Klischee...furchtbar.
Ich habe an anderer Stelle darauf verwiesen, wie "Heimat" über die engen lokalen und regionalen Grenzen hinaus im Schulunterricht der 50er und 60er Jahre in der BRD sinnfällig gemacht wurde, nicht nur im Heimatkunde-Unterricht: Eine Wandkarte des Deutschen Reichs in den Grenzen von 1937, quer über dem Gebiet der DDR die Aufschrift: "Sowjetisch besetzte Zone", über Schlesien und Ostpreußen: "Zur Zeit unter polnischer (resp. "sowjetischer") Verwaltung". Sehr einprägsam und bar jeder ideologischen Indoktrination.
Was ich nicht verstehe: Wieso gibt sich jemand für sowas her oder initiiert es gar, die die Verhältnisse aus eigener Anschauung und Beteiligung kennt? Hat jemand dafür eine Erklärung?
Das versteh' ich nicht. liebe Magda, und das erscheint mir selber als Klischee.
Als Vorsitzende des Schulmuseums Leipzig ist sie an keinerlei Weisung durch die BW-Zentrale Politische Bildung oder sonstige Vorgaben gebunden, was sie macht, macht sie freiwillig. Das ist es, was ich nicht verstehe. Wenn jemand das nicht zulassen will, kann sie es lassen.
Grüße
oranier
Naja, initiator der sache ist die landeszentrale für politische bildung, spielraum zur ausgestaltung des projekts hat es möglicherweise gegeben, und natürlich die möglichkeit, dankend abzulehnen, so der eindruck, instrumentalisiert zu werden, zwingend ... Aber vielleicht ist es ja auch der lehrerin eigene sicht, rückblickend?
Vielen Dank, jayne!
Mein lieber Mann, kann ich da nur sagen, essen und kotzen, essen und kotzen.
"Was ich nicht verstehe: Wieso gibt sich jemand für sowas her oder initiiert es gar, die die Verhältnisse aus eigener Anschauung und Beteiligung kennt? Hat jemand dafür eine Erklärung?"
Also ich will nicht zu negativ sein, aber mir fällt dazu nur ein: Sofortige vorauseilende Anpassung an neue Forderungen. Kann ich mir gut vorstellen. Wenn du so einen Job kriegst und Furcht hast vor Beschäftigungsverlust. Wenn man gemein wäre, könnte man auch berlinisch sagen: So sind `'se, die Genossen.
Es gibt noch so einen Knallfrosch in Brandenburg - der Bildungsminister Rupprecht. Der geht auch immer in Schulen, hört sich dann die Horrorberichte an und war selbst Lehrer in der DDR-Zeit. Das sind Turbogewendete.
Aber ich verstehe sie auch ein bisschen. Im Augenblick ist das Klima im Osten ein bisschen Mc Carthy-mässig. Hubertus Knabe von der Aufarbeitungskolonne und Klaus Schröder vom Forschungsverbund SED-Staat, die bestimmen die veröffentlichte Meinung. Da gab es alarmistische Befunde über die Verklärung der DDR und die Unkenntnis der Schüler. Da kannst Du nichts machen. Und wenn Du sagst, so war es nicht, es war anders, nicht so schwarz-weiß, dann bist Du unbelehrbar usw.
Angela Merkel - habe ich irgendwo gelesen - hat mal gesagt, dass sie öffentlich über die DDR deshalb nicht mehr spricht .Du lieferst zu viel Munition, wenn Du nicht die vorgestanzten Meinungsmuster erfüllst: Mauer, Stasi, Unrechtsstaat, Wehrerziehung, Anpassungszwang, Töpfchenzwang im Kindergarten....es ist lächerlich, absolut, aber ist so.
Da tobt wirklich ein Meinungsterror, dem man sich - wenn man in Abhängigkeiten ist - schwer entziehen kann. Hat was in sich selbst totalitäres, wie Friedrich Schorlemmer mal festgestellt hat.
"Und überhaupt steht hier die Frage im Raum, inwieweit man von einer DDR-typischen Schulstunde sprechen kann, was schon allein angesichts des doch sehr differierenden Naturells der einzelnen Lehrerinnen und Lehrer, ihrer unterschiedlichen Methoden und Vorlieben schwerfallen dürfte, trotz der verbindlichen Lehrplanvorgaben."
So sehe ich das auch bzw. habe es selbst erlebt. Ich hatte Lehrerinnen und Lehrer, welche ganz verschieden waren. Die Offenen, die Verschlossenen und die Ideologen. Davon eine einzige, meine letzte Klassenlehrerin bis zum Zusammenbruch der DDR, welche uns nicht aus tiefster Überzeugung mit "Rotlicht" bestrahlte, sondern aus einer Art Gehorsam oder Pflichtgefühl - wem auch immer gegenüber. Sonst kann ich mich nur noch an wirklich von der "Sache" überzeugte Lehrerinnen und Lehrer erinnern (also nur die oben angesprochenen ideologisch auftretenden, was bei weitem die Minderheit war). Einige Aussagen habe ich noch in Erinnerung:
"Wenn man von seinen Feinden gelobt wird (gemeint war hier die positive westliche Berichterstattung über Gorbatschow), dann macht man etwas falsch"
War eine Deutschlehrerin und stellvertretende Direktorin.
"Wir werben in unserer Republik nicht für den Klassenfeind!"
Eine Russischlehrerin (die beste, die ich je hatte) zum Thema westliche Plastiktüten, in denen wir Kinder, wenn wir Sie hatten, unsere Schulsachen transportierten, weil das total cool war ... Ihr Kompromiss war: Tüten auf die andere Seite stülpen, sodass man die Werbebotschaft nicht mehr lesen konnte.
"Ja, es gibt bei uns selten Bananen, es gibt selten Südfrüchte - aber das ist doch alles nicht lebensnotwendig! In unserer Republik ist für alles gesorgt. Wir leiden nicht Hunger, wir haben ein Dach über dem Kopf und alle Menschen haben Arbeit."
Einer meiner Schuldirektoren in einer Vertretungsstunde.
Ich hoffe hier nichts zu verklären, aber selbst diese oben angesprochenen Lehrkräfte von der "härteren" Sorte waren meist gesprächsbereit. Wenn man heute medial aufbereitete Geschichten von damals hört, denkt man ja fast, man sei als Schüler im Widerstand gewesen, bei dem, was man damals in solchen Diskussionsrunden mit Lehrern und Mitschülern so von sich gab. Nach dem Motto: Mensch, haben wir uns was getraut! So hat man es aber nicht empfunden, sondern eher als alltäglich. Mit anderen Worte: ich hatte in der DDR-Schule am wenigsten Angst vor Repressionen. Viel mehr vor schlechten Zensuren und Einträgen im "Hausaufgabenheft" wegen Unterrichtsstörung durch Schwatzen etc.
Es ist im wissenschaftlichen Bereich hin und wieder der Fehler begangen worden, den Schulalltag der DDR allein aus offiziellen Lehrmaterialien, Richtlinien und Lehrplänen des Ministeriums für Volksbildung zu destillieren. So kann man gut erforschen, was gewollt war, sicher aber nicht viel darüber herausfinden, wie es denn war, im Alltag.
Zum Schluss noch ein Lehrer-Zitat. Allerdings zwei Jahre nach dem Beitritt auf einem Dresdner Gymnasium, von einem Biologielehrer getätigt. Eine Schülerin betrat ca. eine halbe Minute nach Unterrichtsbeginn, also leicht verspätet, den Klassenraum. Der Lehrer sagte:
"Das ist hier ein deutsches Gymnasium! Hier ist man pünktlich!"
Ja, solche von Dir beschriebenen aussprüche kenne ich auch, aus meiner schulzeit, und ebenso die konflikte mit den plastetüten, zumal wir in der messestadt großgeworden, wo zweimal im jahr eine flut von plastetüten, werbeprospekten ... zu verzeichnen war, illegale messegelände-besuche (illegal, weil noch nicht 14), und die berühmte geschichte mit den mercedes-sternen: eine jugend, die bereit, nach den sternen zu greifen - wie oft hat man uns vor messebeginn ermahnt ...
Dank an Euch für die kommentare und ergänzungen, weiterungen ...
Liebe Jayne, liebe Magda, liebe Weitere,
die Empörung über den beschriebenen Unterricht kann ich gut nachempfinden, erstaunlich ist auch, dass bereits Nachilfe-Stunden für den 2-Deutschland-Geschichtsraum notwendig sind.
Als ich neulich in der "Messestadt" die Teilungs-Ausstellung besuchte, durfte ich als Einzelbesucher leise lächeln, als die studentische "Führungskraft" die Abkürzung "LPG" nicht mehr dechiffrieren konnte (und habe prompt Assistenz geleistet) Glückliche Jugend! denke ich mir.
"daß das bloß solche geschichten bleiben, die man den enkeln später erzählen kann" sang einst degenhardt auf seiner legendären 68er lp "im jahr der schweine", sicherlich in einem etwas anderen sinne, doch die bolognisierung der studentischen jugend schreitet voran, lieber archinaut, und die soll einmal geschichtswissen vermitteln ...
www.folker.de/200606/01degenhardt.htm
www.franz-josef-degenhardt.de/disco/titel/lieder/dassdasbloss.html
Liest Du den Folker, jayne? (fragt ein Abonnent)
gelegentlich und im netz, die folk- und liederszene bzw. neue entwicklungen interessieren mich nach wie vor.
Danke für den Text. Das ist mal wieder sehr aufschlussreich, sodass einem da nur ein berühmter Satz einfällt: "Die herrschende Meinung ist immer die Meinung der Herrschenden."
Bin natürlich auch kein DDR-Fan, weil dort der wunderbaren Idee des Sozialismus ein empfindlicher Dämpfer verpasst wurde, aber dass diese sich in Geschichtsfälschung ausdrückende "Arroganz der Sieger" sich nochmal rächen könnte, steht für mich außer Frage.
Ärgerlich dagegen auch, dass sozialistische Künstler wie Bertolt Brecht von der BRD dagegen nur allzu gern vereinnahmt werden und Bundespräsidenten sich zu Laudatoren aufschwingen. Der arme Kerl würd im Grabe rotieren...
"Wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert die Zukunft und wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit." (George Orwell, "1984")
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vielleicht hat Bologna was mit Pisa zu tun :-))