"Menschen mit schwierigen Biographien"

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Heute morgen ging eine Meldung über den Ticker, nach der der Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung (MIT) der Union, Josef Schlarmann in einem Interview mit der Wirtschaftswoche vorgeschlagen habe, Langzeitarbeitslose künftig über Zeitarbeitsfirmen in Beschäftigung zu bringen, denn die kennten sich ja aus mit "Menschen mit schwierigen Biographien".

Zunächst dachte ich, es handele sich um einen Aprilscherz, denn die Nachricht wurde nicht weiter kommentiert, doch beim virtuellen Aufblättern der Zeitung sollte ich eines Besseren belehrt werden. Eines Besseren, das in Gestalt zitierter Äußerungen wieder einmal auf die alten Klischees von den besserungswürdigen und sozial derangierten Langzeitarbeitslosen abhebt, die ja auch von den Arbeitsagenturen lediglich noch als Kunde betrachtet werden.

Nach Lesart des Herrn Schlarmann sind die Arbeitslosen wie gehabt selbst schuld an ihrem Geschick. Argumente wie das fehlender Arbeitsplätze oder unerträglicher Arbeitsbedingungen in bestehenden Beschäftigungsverhältnissen (und letzteres wird in Deutschland leider nach wie vor kaum thematisiert) gelten da überhaupt nicht. Und die Zeitarbeitsfirmen sind natürlich die besten Anwälte für die Wahrung der Interessen Arbeitsloser wie -suchender.

Eingangs stellte die Wirtschaftswoche die Frage, ob es in Deutschland den vielbeschworenen "anstrengungslosen Wohlstand" gebe, und Schlarmann steigt gleich mit einer Bezugnahme auf HARTZ IV-Empfänger ein:

"Von Wohlstand zu reden wäre wohl übertrieben, aber es gibt anstrengungslose Einkommen. Ich denke da zum Beispiel an jene Hartz-IV-Empfänger, die Teil des Medien-Spektakels geworden sind, weil sie von sich behaupten, gar nicht arbeiten zu wollen – und das schon seit Jahren. An dieser Minderheit kann man in der Sozialstaatsdebatte nicht vorbeigehen."

Auf die Nachfrage, ob da nicht zu aller erst Leute in Betracht kommen müßten, die unglaublich viel Kapital angehäuft hätten und von den Zinsen lebten, antwortete Schlarmann, daß diese wie auch jeder Rentner dafür etwas geleistet hätten, also nichts mit einem "anstrengungslosen Wohlstand".

Und nach diesem Gusto geht es weiter, immer wieder problematisiert er die gesetzte Arbeitsunwilligkeit Einzelner und nimmt damit die gesamte Klientel in Haftung. Zeit- und Leiharbeit dürften indes kaum die Lösung des Problems darstellen, im aktuellen 11. Regierungsbericht zur Leiharbeit, über den am 26. März im Bundestag debattiert wurde, heißt es unter anderem:

„Knapp 12 Prozent der vorher regulär Beschäftigten ist nach der Leiharbeit weder regulär noch in der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt und mehr als die Hälfte des (untersuchten) 180-Tages-Zeitraumes arbeitslos gemeldet.“ (S. 84)

Und auf Langzeitarbeitslose bezogen:

"fast jeder Vierte (24 Prozent) findet sich auch nach dem Zwischenstopp in der Arbeitnehmerüberlassung in der Arbeitslosigkeit wieder.“ (S. 85)

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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