Beyoncés neues Album „Cowboy Carter“: Make Country Great Again
Restitution Beyoncé machte einst traumatische Erfahrungen in der Country-Szene. Nun definiert sie mit ihrem Album „Cowboy Carter“ die traditionsreiche Musik der USA neu. Und macht deutlich, wie Schwarz die Musik vom ersten Tag an war
Beyoncé Knowles-Carter wurde 1981 in Houston, Texas geboren
Foto: Parkwood Entertainment/ Sony Music Entertainment
Alles begann mit einer großen Kränkung und Demütigung. Als Beyoncé 2016 mit den Dixie Chicks (heute The Chicks) ihren Song Daddy Lessons bei den CMA Awards, der größten Preisverleihung der Country-Musik, performte, verließen Stars der Szene wie Alan Jackson verärgert den Saal. Ein anderer Teil des Publikums zeigte sich sichtlich irritiert. Ein gnadenloser rassistischer Shitstorm sollte folgen. Leute wie Beyoncé hätten im Country nichts zu suchen, so der Tenor. Die vornehmlich weiß dominierte Country-Welt versuchte mit verbalen Schrotflinten die damals bereits galaktisch große Künstlerin aus ihren idyllischen Vorgärten zu vertreiben. Der Auftritt wurde gar kurzzeitig aus den Aufzeichnungen herausgeschnitten, um späte
n Aufzeichnungen herausgeschnitten, um später wieder aufzutauchen. Für die einen eindeutig Zensur, von der CMA wurde das später als Missverständnis abgetan. Daddy Lessons war auf Beyoncés Erfolgsalbum Lemonade erschienen und ihr erster künstlerischer Versuch, ihrer Heimat Texas und ihren musikalischen Wurzeln Tribut zu zollen.Beyoncé Giselle Knowles-Carter wuchs in den 80er Jahren in Houston auf, besuchte mit ihrer Familie jährlich den Houston Livestock Show and Rodeo und hört seit ihrer Kindheit Country. Sie hatte aber die Kalkulation ohne die US-Musikwelt gemacht, die Segregationskonzepte des 19. und 20. Jahrhunderts in orthodox geführten Genredefinitionen weiterleben lässt. Demnach ist Country weiß, ländlich und steht für Großgrundbesitz. Im Gegensatz dazu hat man nicht ohne Grund der Schwarzen Popmusik das gegensätzliche Label Urban verpasst – der vermeintlich wilde Sound der großstädtischen Ghettos, in denen die Protagonist:innen auch gerne zu bleiben haben. Country definiert sich für viele als klanggewordene Gated Community. Ein Hort der vermeintlichen Tradition und des Konservatismus. Man assoziiert damit Trump-Fans, Bourbon, Puritanismus, White Trash, Rednecks und Tailgating.Gegen das WhitewashingAcht Jahre später ist Beyoncés Single TEXAS HOLD’EM die erste Nummer 1 der Country-Billboard-Charts, die von einer Schwarzen Frau gesungen wird. Ihr am Karfreitag erschienenes Album Cowboy Carter ist der am Erscheinungstag meistgespielte Langspieler auf Spotify. Das zweite Album ihrer Renaissance-Trilogie ist dabei mehr als nur eine wütende und verbitterte Retourkutsche Richtung Country-Szene. Die Musikerin schreibt mit dem 27 Stück langen Epos Pop-Geschichte neu. Es lässt sich als Restitution Schwarzer Kultur lesen oder auch als Wiederaneignung einer Musik, die in ihrer Entstehung alles andere als genuin weiß gewesen ist.Eingebetteter MedieninhaltEinen ähnlichen Ansatz verfolgte Beyoncé bereits 2022 auf dem ersten, schlicht Renaissance betitelten Album der Trilogie. Hier widmete sie sich den Club-Genres House, Techno und Disco. In Europa ist das Narrativ weithin bekannt, welch integrale Rolle die (queere) afroamerikanische Community für die Entstehung dieser Musikkulturen hat. In den USA hingegen wurden die Genesen von House in Chicago, Disco in New York und Techno in Detroit historisch weitestgehend verdrängt. Clubsounds wurden von der Musikindustrie stattdessen als EDM in den 2010er Jahren reimportiert. Statt Marshall Jefferson, Frankie Knuckles und die Belleville Three waren es (weiße) europäische Acts wie Daft Punk, Avicii, Zedd und Tiësto, die DJ-Musik und ihre pumpenden Bassdrums in den USA zuletzt Mainstream- und Festival-kompatibel machten. Ein typischer Fall von Whitewashing.Für die Pionier:innen Schwarzer Clubmusik bis heute eine traumatische Erfahrung und weiteres Beispiel einer konsequenten systemischen Nichtwertschätzung afroamerikanischer Kultur. Auf Instagram schreibt Beyoncé: „Meine Hoffnung ist, dass in ein paar Jahren die race eines Künstlers im Zusammenhang mit Musikgenres irrelevant sein wird.“ Um die erfahrene Ablehnung der Country-Szene kreativ aufzuarbeiten, erforschte sie die Archive und Geschichte der Musik. Wieso sollten Schwarze nur R&B, Soul, Hip-Hop oder Rap spielen dürfen? Auch hierbei handelt es sich um durch Genres geschaffenen systemischen Rassismus.Die Entstehung von CountryCountry entstand in den 1920er Jahren und wurde mit der Verbreitung von Schallplatten und Radio landesweit populär. Zunächst bekannt als Hillbilly Music wurde die Musik durch afroamerikanischen Blues, Gospel, schottische und irische Fiddles sowie alpenländisches Jodeln beeinflusst. Auch die Instrumente kamen aus allen Teilen der Welt. Die Lapsteel / Slide-Gitarre hat ihren Ursprung in Hawaii beziehungsweise Japan. Und das heute so eng mit Bluegrass und Country konnotierte Banjo ist eine westafrikanische Erfindung. Ironischerweise diente das Banjo bei rassistischen Minstrel-Aufführungen im 19. Jahrhundert zunächst nur als Requisite. Aus dieser Zeit ist ebenfalls überliefert, dass sich viele afroamerikanische Musiker ihr Gesicht schwarz anmalten, um die für sie geltenden musikalischen Auftrittsverbote zu umgehen. Gut möglich, dass jene Musiker die ersten waren, die das Banjo wirklich spielen konnten und einem größeren weißen Publikum bekannt machten. Eine Art trojanisches Pferd.Einer der ersten Stars der Hillbilly-Musik war Jimmie Rodgers. Er gilt heute als „Father of Country Music“ und wurde durch seine Blue Yodels bekannt. Wie der Name vermuten lässt, handelt es sich um eine Mischung aus Blues und Jodeln. Auf der Aufnahme seines Songs Blue Yodel #9 von 1930 spielen der spätere Weltstar Louis Armstrong und dessen Frau Lil Hardin Armstrong Trompete und Klavier. Credits bekamen sie dafür keine. Angeblich, weil Louis Armstrong bei einer anderen Plattenfirma bereits einen Vertrag hatte. Andere sagen, dass aufgrund des kommerziellen Erfolgs vornehmlich in der weißen ländlichen Zielgruppe, Schwarze Einflüsse und Beiträge bewusst verschwiegen wurden. Auch die große, wenn auch kurze Karriere von Hank Williams wäre ohne seinen Mentor Rufus „Tee Tot“ Payne nicht möglich gewesen. Tee Tot war Straßenmusiker in Alabama und brachte dem damals achtjährigen Williams das Gitarrenspiel, Blues und Gospel bei. Ohne seinen Schwarzen Lehrer, beteuerte Williams später, wäre er nie zur Musik gekommen.Dolly Parton gibt DeckungEine weitere wichtige Wegbereiterin des Country ist die Carter Family, die 1927 ihre ersten Aufnahmen veröffentlichte. Die Carter Family begründete eine bis heute erfolgreiche Musikerdynastie. Nach der Auflösung des ursprünglichen Trios, bestehend aus A.P. Carter, Maybelle Carter und Sara Carter, im Jahr 1943, machte Maybelle mit ihren Töchtern Anita, June und Helen als The Carter Sisters weiter. June Carter heiratete 1968 in dritter Ehe Johnny Cash und lebte mit ihm bis zu ihrem Tod 2003. Sie komponierte unter anderem Cashs großen Hit Ring of Fire. Dass Beyoncés Album Cowboy Carter heißt, ist daher nicht nur auf den angeheirateten Nachnamen ihres Ehemanns Jay-Z zurückzuführen. Der Titel zeigt die Geschichtsbeflissenheit und Akribie, mit der sich die Musikerin mit dem Thema Country auseinandersetzt.Und sie holte sich dafür gewichtige Namen ins Studio. Neben Dolly Parton ist Willie Nelson auf dem Album vertreten. Miley Cyrus, Popstar und Tochter des Country-Stars Billy Ray Cyrus, ist genauso zu hören wie Post Malone. Wichtig für den Referenzrahmen des Albums sind die Beiträge der Country-Musikerin Linda Martell. Sie war die erste Schwarze Künstlerin, die für die landesweit stilprägende Radioshow Grand Ole Opry spielte. Martell veröffentlichte 1970 das erfolgreiche Album Color Me Country, sollte sich aber im gleichen Jahrzehnt noch aus der Öffentlichkeit zurückziehen, auch weil sie dem ständigen Rassismus der Musikwelt nicht mehr standhielt. Ähnlich erging es ihrem Kollegen Charley Pride, er hielt aber an der Musik fest, gewann drei Grammys und hatte 29 Nummer-1-Hits in den Billboard-Country-Charts. Auch Pride musste erleben, wie Plattenfirmen nicht mit seinem Gesicht warben und seine Hautfarbe bei Radiostationen vorerst unter Verschluss hielten, weil sie Sorge hatten, dies würde zu Irritationen und vermindertem Erfolg führen.Eingebetteter Medieninhalt„If that ain’t country, tell me what it is / Plant my bare feet on solid ground for years / They don’t know how hard I had to fight for this“, singt Beyoncé in dem epochalen Opener AMERIICAN REQUIEM. Cowboy Carter ist als abendfüllende Radioshow auf dem imaginären texanischen Sender KNTRY konzipiert. Ein Verweis auf jene mächtigen Stationen, die nicht nur ihr sagen wollen, was Country ist und was nicht. Auch Lil Nas X ereilte 2019 ein ähnliches Schicksal, als sein Hit Old Town Road von vielen Country-Sendern abgelehnt wurde. Moderationen von Dolly Parton und Willie Nelson geben Beyoncé moralische Rückendeckung. So erklärt ein kiffender Nelson in SMOKE HOUR II: „Manchmal weißt du nicht, was dir gefällt, bis jemand, dem du vertraust, mit wirklich gutem Shit um die Ecke kommt.“Was Beyoncé mit Country meint, ist mehr als nur das Genre. Ihr geht es wortwörtlich um die Geschichte ihres Heimatlands. Unter anderem um die Tatsache, dass mindestens einer von vier Cowboys in der US-Geschichte Schwarz gewesen ist. Auch deshalb schwingt sie anmutig und stolz als Rodeo Queen auf dem Cover die amerikanische Flagge, was von einigen als anbiedernder Nationalismus aufgefasst wurde. In dem Song YA YA heißt es: „My family live and died in America / Good ole USA, shit / Whole lotta red in that white and blue, huh / History can’t be erased, ooh / You lookin’ for a new America?“ Im letzten Song AMEN singt sie: „This house was built with blood and bone / And it crumbled, yes, it crumbled / The statues they made were beautiful / But they were lies of stone / Trumpets blarе with silent sound / Tell me, can you hear me now?“Nicht nur konzeptuell, auch musikalisch und produktionstechnisch ist Cowboy Carter ein wichtiges Album voller bedeutsamer Verweise. Beyoncé baut in der Tat das Haus des Country aus ergrauten Steinen neu auf und redefiniert den Kanon, auch weil sie mit ihrer Popularität und Relevanz dazu in der Lage ist. An so einem Projekt könnte man desaströs scheitern, das passiert nicht, auch weil sie als begnadete Vokalistin Seele und persönlichen Schmerz in ihren Liedern transportiert. In diesem Kanon spielt der Beatles-Song Blackbird, der der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung gewidmet ist, genauso eine Rolle wie die Beach Boys, Kirchenmusik und zeitgenössische Rap- und Dance-Produktionen. Beyoncé zeigt, dass Musik, nicht nur Country, immer aus dem Spannungsfeld unterschiedlicher Genres entstanden ist und nur dadurch weiterlebt.Cowboy Carter ist kämpferisch, nie verzweifelt – und zugleich ein Angebot der Versöhnung in einem zerrissenen Land. Selbst das Weiße Haus in Washington weiß das zu honorieren. US-Vizepräsidentin Kamala Harris schrieb auf X: „Beyoncé: Danke, dass du uns daran erinnerst, dass wir uns nie auf die Sichtweise jener Leute beschränken sollten, die uns vorschreiben wollen, was unser Weg zu sein hat. Du hast ein Genre neu definiert und die Schwarzen Wurzeln der Country-Musik wiederentdeckt. Deine Musik wird uns weiterhin alle inspirieren.“Placeholder infobox-1
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