Strike Germany und die Berliner Clubkultur: Tanz auf dem Vulkan
Riss Die Initiative Strike Germany fordert den Boykott des Berghain und von elektronischen Musikfestivals wie CTM und Fusion. Dabei steht mehr auf dem Spiel, als vielen bewusst ist
„Friede, Freude, Eierkuchen“-Momente: Love Parade 1994
Foto: Werner Amann/laif
Techno und House wurden nach dem Mauerfall in Berlin vor fast 35 Jahren zum Soundtrack der zuvor geteilten Stadt. Es war der Klang der Einheit. Ost und West, Queers und Hetero-Normalos fanden zusammen und definierten die Stadt nicht nur architektonisch neu. Techno zeigte, oft unter dem Einfluss der Kuscheldroge MDMA/Ecstasy, wozu der taktile und vereinnahmende elektronische Sound in der Lage sein konnte. Der stete Puls, die dominante Bassdrum, vereinte Menschen auf dem Dancefloor. Autonome ravten mit Nazi-Skinheads, zugezogene Popper mit Gangstern aus Kreuzberg und Punks mit GIs. Damals war das alles sehr neu.
Diese Musik, die ursprünglich in Schwarzen Communitys in Detroit und Chicago entstand, entwickelte ihre Eigendynamik, auch weil sie mit orthodoxen Codes von Subkulturen der vorig
der vorigen Dekaden brach. DJs waren dann besonders gut, wenn sie zwei vermeintlich nicht kompatible Schallplatten so ineinandermixten und im Tempo anpassten, dass die sogenannte Third Record entstand. Ein magischer Moment, der transzendental sein konnte. Die Politik der Clubkultur definierte sich einst im ausgesprochen Apolitischen. Man gab sprichwörtlich den Verstand und den Intellekt an der Garderobe ab, oder wie es Dr. Motte von der Loveparade hölzern formulierte: „Friede, Freude, Eierkuchen“.Seither ist viel passiert. Raves wurden Mainstream, dann verschwanden sie von der Oberfläche, um darauf wieder groß zu werden. In der Zeit haben die Internationalisierung der Szene und soziale Medien die Gemengelage neu definiert. Seit dem Pogrom der Hamas vergangenen Oktober befindet sich die Clubkultur in einer fundamentalen Zerreißprobe, auch weil sie zur teils narzisstischen Bühne politischer Aktivitäten geworden ist. Wenn ein/e DJ einen Übergang zwischen zwei Platten verhunzt, weil entweder die Beats falsch synchronisiert wurden oder Parts von zwei Tracks aufeinandertreffen, die nicht passen, spricht man vom Trainwreck – einem Zugunglück oder einer totalen Katastrophe. Für nicht wenige fühlen sich die aktuellen, verkürzt geführten Debatten in der Musik- und Kulturszene genau so an.Absagen im BerghainDerzeit sind es die Initiative Strike Germany, die von namhaften Autorinnen wie Annie Ernaux und Judith Butler unterstützt wird, aber auch Bündnisse wie Ravers for Palestine oder Queers for Palestine, die zu Boykotten in der deutschen Musik- und Clubszene aufrufen. Strike Germany fordert den Boykott von staatlich getragenen beziehungsweise subventionierten Kultureinrichtungen und -veranstaltungen. Ein Impressum führt die Webseite nicht. Dem seit 25 Jahren bestehenden interdisziplinären Elektronikfestival CTM, das früher als Club Transmediale stattfand und an diesem Freitag beginnt, sagen zahlreiche Acts ab. Darunter Namen wie Manuka Honey, Scratcha DVA und Jyoti, zumeist über Instagram kommuniziert.Beim Berghain sammeln sich ebenfalls Cancellations, nachdem dort ein Abend mit dem DJ Arabian Panther kurzfristig annulliert wurde, weil dieser auf Instagram die Vergewaltigungen der Hamas am 7. Oktober als Fake News geleugnet haben soll. Andere DJs rufen zum Boykott der Streaming-Community HÖR auf, nachdem Gigs wie die von Sam Clarke abgebrochen wurden, weil dieser mit einem T-Shirt auftrat, auf dem „Palästina“ stand und die topografischen Umrisse Israels in den palästinensischen Farben eingefärbt waren. HÖR wurde 2019 in Berlin von den Israelis Ori Itshaky und Doron Mastey gegründet. Neben dem CTM und dem Berghain wird aktuell zum Boykott des Fusion-Festivals aufgerufen. Was Letzteres mit staatlich indoktrinierter Kultur zu tun haben soll, wissen gerade nur die Aktivist:innen selbst.BDS: Polit-PR auf höchstem NiveauMusik und Kultur sind für die internationale anti-israelische Kampagne BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) schon länger ein wichtiges Kampfgebiet. In Berlin ist es unter anderem das Festival Pop-Kultur, das regelmäßig boykottiert und öffentlich angeprangert wird. Acts wie Young Fathers, John Maus und viele mehr sagten hier im Laufe der Jahre ihre Auftritte ab. Parallel berichteten Künstler:innen von Drohungen und immensem Druck, der zuvor vonseiten der BDS-Aktivist:innen auf sie ausgeübt worden war. Bereits 2008 drohte der BDS-Aktivist Omar Bakri Mohammed, den Musiker Paul McCartney zu töten, falls er weiterhin in Israel aufträte. Unter den BDS-Befürwortern befinden sich alte Pop-Ikonen wie Brian Eno oder Roger Waters, aber auch DJs und Producer wie Four Tet, Caribou und Blessed Madonna.Das alles wirkt konfus und bizarr. Eines wird jedoch deutlich: Links ist nicht gleich links. Bei diesen Debatten prallen unterschiedliche Konzepte von Regime- und Systemkritik aufeinander. Die britische und angloamerikanische Linke, die hier vor allem durch die Expat-Community repräsentiert wird, definiert sich eher durch die resolute Kritik an der Kolonialgeschichte des britischen Imperiums und dessen historischer Aufarbeitung, woraus eine bedingungslose Solidarität mit Palästina resultiert. In Deutschland hingegen sind Antifaschismus und daraus entstandene Leitmotive wie „Nie wieder Krieg“, „Nie wieder Deutschland“ oder „Nie wieder Holocaust“ von zentraler Bedeutung. Die Pakete der kritisch aufzuarbeitenden Erbschuld sind unterschiedlich gelagert.Hinzu kommt, dass ein Großteil der Debatten heute auf sozialen Medien stattfindet, die allerdings allesamt Werbe- und Marketing-Plattformen sind und sich in ihrer Semantik, Logik und Struktur noch immer nicht für differenzierte Diskussionen eignen. Da für viele DJs, Musiker:innen und Künstler:innen Instagram und TikTok die einzigen Kanäle für ihre Vermarktung sind, Stories sich nach kurzer Zeit löschen und darüber hinaus soziale Medien so ausgelegt sind, eigene Filterblasen und Meinungsbildungen unreflektiert zu verstärken, prägen plötzlich Schlagworte wie staatliche Zensur, McCarthyismus, Apartheid, Faschismus und Boykott die Kacheln und Hochkantvideos der elektronischen Musikwelt. Von einer pro-israelischen Hegemonie in der Berliner Clubszene ist die Rede. Tatsächlich gibt es nur wenige Clubs, die sich dezidiert politisch positionieren, darunter das ://about:blank. Es hatte in einem Statement erklärt, wo eine Linke nicht mehr zwischen „antisemitischem Terror“ und „Dekolonialismus“ unterscheiden könne, „haben wir keine Hoffnung mehr“.Kulturinstitutionen haben Angst vor weltweiten ShitstormsEskalierend wirkte auch die mangelhafte Kommunikation seitens des Berliner Senats rund um die missverständlich und schlecht ausformulierte Antisemitismusklausel, die von Kultursenator Joe Chialo (CDU) im Dezember vorgelegt worden war. Anfang dieser Woche wurde die Klausel, deren Unterschrift zur Bedingung für Kulturförderung gemacht worden war, wegen juristischer Bedenken vorerst gekippt. Von Strike Germany wird das als Etappensieg verbucht, verbunden mit der Ankündigung, weiterzustreiken, um eine bundesweite Lösung in ihrem Interesse zu forcieren. Die Situation bleibt also insgesamt angespannt. Viele Kulturinstitutionen haben Angst, sich die Finger zu verbrennen. Bevor man sich einem weltweiten Shitstorm aussetzt, sagt man lieber Veranstaltungen kategorisch ab. Das hat weniger mit staatlicher Zensur zu tun als vielmehr mit Unvermögen und fehlenden Kapazitäten, da Presse- und Öffentlichkeitsarbeit plötzlich zu politischer PR auf höchstem Niveau wird. Dass dies wiederum eine Steilvorlage für die Aktivist:innen ist und naiv als McCarthyismus ausgelegt wird, überrascht in der aufgeheizt polemischen Gemengelage nicht. Das kann und muss man wesentlich besser machen.Vor allem darf nicht vergessen werden, worum es in der Clubkultur geht: den Versuch, jener Safer Space zu sein, der Menschen aus allen Schichten und Regionen ein selbstbestimmtes und unter anderem auch queeres Leben ermöglicht. Berlin ist aus vielerlei Gründen ein Ort für diese Vielfalt geworden – sonst wären ja nicht alle hier. Musik ist als Kulturform so wichtig, weil sie Räume für Kollektivität und Identifikation schaffen kann, die jenseits von territorialen Grenzen und nationalpolitischen Identitäten wie Gesinnungen existieren. Dass die Hamas über 200 Menschen auf dem Technofestival Supernova tötete, war ein an Eindeutigkeit und Präzision nicht zu überbietendes Signal dafür, gegen welche kulturellen Werte diese Terrororganisation steht. Dass Aktionen wie Strike Germany sich davon nicht klar abgrenzen und anonym versuchen, die Musikwelt und ihre oft prekären Künstler:innen unter Druck zu setzen und zu instrumentalisieren, muss hinterfragt werden können, ohne dass man dafür als Gegner von Menschenrechten diffamiert wird. Wie die Demokratie ist eine offene Kulturwelt kein selbstverständliches Gut. Und die eigentliche Bedrohung liegt woanders. Es sind rechtsextreme Parteien wie die AfD und mächtige Menschen wie Donald Trump oder Giorgia Meloni, die eine über Jahrzehnte mühsam etablierte diverse Clubkultur am liebsten schon vorgestern abgeschafft hätten.
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