Es gibt dieser Tage ziemlich viel zu retten. Die Artenvielfalt, das Klima, den Regenwald, Ozeane und Eisbären. Seit Jahren heißt es aber auch: Rettet die Clubs. Den Clubs geht es nicht gut. Man könnte auch sagen, den Clubs geht es beschissen. Nach schwierigen Jahren der Pandemie scheint wie nach einem abziehenden Tsunami allmählich zutage zu kommen, was den Fluten wirklich zum Opfer gefallen ist.
Aber vorab, die Gemengelage ist komplex und das Problem der Verdrängung von Clubs alt, wenn nicht sogar Teil ihrer DNA. Als Berlin in den 90er Jahren zur Clubstadt wurde, waren es die Brach- und Leerflächen, die quasi darum bettelten, umgedeutet zu werden. So wie heute alte Häuser in Süditalien für einen Euro verkauft werden, vorausgesetzt, man kümm
kümmert sich um die Belebung und fachgemäße Instandsetzung der Immobilie, war das Konzept der Zwischennutzung in Berlin für alle fruchtbarer Usus. Clubs wie das Cookies oder das WMF zogen in wenigen Jahren mehrfach um. Man gerierte sich flexibel und mobil wie ein Klapphandy von Motorola.Wo die SED-Elite es krachen ließDurch die Clubs lernte ich die Stadt und ihre Architekturen kennen. Wir feierten zu DJ-Sets im Café Moskau oder im entkernten Palast der Republik und imaginierten, wie es die SED-Elite wohl seinerzeit hat krachen lassen. Wir waren in nassen Brauereikellern, U-Bahn-Schächten und staubigen Industriebauten. Existierte ein Club länger als zwei Jahre an einem Ort, war das Sell-out und Mainstream. Die Eigentümer der Immobilien wussten derweil, dass die Zwischennutzung durch Clubs am langen Arm zur Aufwertung der Gegend und demnach auch der Immobilie führen würde. Ein exzellenter Finanztipp, eine sichere Nummer.Dass die Lebensräume für Clubs zeitlich limitiert gewesen sind, wollten viele nicht so recht wahrhaben. Vor allem nicht, als Clubkultur made in Berlin zum weltweiten Exportschlager avancierte und Menschen aus New York, Hongkong, Tokio und London anzog – bis heute. Die Voraussetzungen sind aber andere geworden. Erwartungsvolle Zugezogene stellen fest, dass bei den aktuellen Mietpreisen kaum Luft zum Atmen bleibt, geschweige denn zum Feiern. Neue Läden werden heute auch nicht mehr von Party-Crews oder ein paar verstrahlten Freund:innen als soziales Experiment gegründet, weil die Grundlagen dafür nicht mehr existieren. Wer heute in Berlin einen profitablen Club aufmachen will, braucht Kapital, Investorengelder, Sponsoren, detaillierte Businesspläne und ein professionelles Performer-Mindset. Die gelebte Antithese zu dem, wieso die Clubkultur in Berlin ursprünglich entstanden ist.Das Statistische Bundesamt hat im Frühjahr 2023 folgende Zahlen ermittelt: Gab es in Deutschland 2011 noch 2.259 Clubs, waren es 2021 nur mehr 864. Zwischen 2021 und 2023 dürften weitere geschlossen haben. Die Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) befragte im Frühjahr 23.000 Menschen ab 14 Jahren, wie und wo sie gerne ausgehen. Gerne und regelmäßig gehen Leute in Restaurants und Kneipen. Fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) gab aber an, dass sie nie in einen Club oder eine Disco gehen würden. Nie!Eine Intendanz fürs BerghainSind Clubs aus der Mode gekommen und gar nicht mehr hip? Oder gehen Menschen nicht mehr in Clubs, weil sie so selten in freier Wildbahn vorzufinden sind? In gentrifizierten Bezirken werden Clubs heute wie Fixerstuben oder Obdachlosenheime bestenfalls geduldet. Die Mehrheit versteht den soziokulturellen Nutzen dahinter, wenn möglich jedoch nicht vor der eigenen Haustür. Und in der Tat, mit dem RSO befindet sich die eventuell einzig nennenswerte Techno-Club-Eröffnung in Berlin der vergangenen Jahre außerhalb des S-Bahn-Rings in Schöneweide. Dafür schließen in den Innenstadtbezirken mehr und mehr Clubs, so wie kürzlich das Mensch Meier im Prenzlauer Berg. Die Stadt ist heute nahezu versiegelt. Es sind ja auch alle Open-Airs verschwunden. Clubs wie Renate, Else und ://about:blank zählen in der Nähe des Ostkreuzes ihre letzten Tage, weil nun endlich die Stadtautobahn A 100 ausgebaut werden soll. In Hamburg werden durch den Neubau der Sternbrücke am Rande des Schanzenviertels zahlreiche Clubs abgerissen. Das betrifft das einst goldene Clubdreieck bestehend aus Astra Stube, Waagenbau, PAL und Fundbureau.Ähnlich sieht es in anderen Städten aus. Die Distillery in Leipzig und das Harry Klein in München machten Mitte 2023 dicht. Vor allem aber auch in kleineren Städten wie Erfurt, Karlsruhe oder Ulm gibt es immer weniger musikalische Orte für die eigene Jugend. Hinzu kommt die Inflation. Aufgrund steigender Betriebs- und Mietkosten müssen einige Clubs heute bis zu 25 Euro Eintritt verlangen. Die Folge: Die einstige Zielgruppe investiert ihr Geld lieber in Festival-Tickets im Sommer, weil es „effizienter“ ist. Und nicht zuletzt sind ein Faktor der Clubkrise Dating-Apps wie Tinder, Bumble und Grindr. Niemand muss mehr in einen lauten Club, um potenzielle Partner:innen zu finden. Aber hat das noch etwas mit Kultur zu tun – oder fängt Clubkultur genau da eigentlich erst an?Wie kann die Rettung nun aussehen? Der Musikverband LiveKomm forderte in diesem Frühjahr: „Analog zum Bundesnaturschutzgesetz schlagen wir die Erarbeitung eines Bundeskulturraumschutzgesetzes vor. Ebenso wie Natur und Landschaft sind kulturelle Orte Schutzgüter. Kulturorte sind teilweise über Jahrzehnte gewachsen, haben maßgeblich zu Kulturförderung, Stadtentwicklung und Identitätsbildung unserer Gesellschaft beigetragen und laufen bei Verdrängung Gefahr, unwiederbringlich verloren zu gehen.“ Die Linken-Politikerin Caren Lay äußerte sich im Bundestag zu dem Thema so: „Bestehende Clubs müssen erhalten bleiben und deshalb fordern wir Kulturschutzgebiete. Wir brauchen Clubs als demokratische Freiräume. Heute mehr denn je.“ Clubs, so die Hoffnung vieler, sollen den Status von Philharmonie und Oper erhalten und staatlich subventioniert werden.Aber wie sähe das in Wirklichkeit aus? Was und wer wird dann überhaupt geschützt? Bekommen große Häuser wie das Berghain eine Intendanz? Kann es in einer öffentlichen inklusiven Institution überhaupt noch so etwas wie eine Türpolitik geben? Wie hat man sich diese Schutzgebiete zukünftig vorzustellen? Eher wie einen Zoo, ein Naturkundemuseum oder doch die Vogelschutzwiese auf dem Tempelhofer Feld? Darf ich während der Übergänge zwischen den Tracks noch husten?Es gibt theoretisch und praktisch viel zu klären. Bis dahin bleibt nur: Gehen Sie tanzen und feiern Sie – solange es noch Spaß macht.