Der rote Knopf

Küche Auch über den besten Koch fallen irgendwann die Motten her. Unser Autor hat sich gegen sie gewehrt, erfolglos. Nun greift er zum letzten Mittel
Ausgabe 38/2019
Gerade wenn man denkt, man hätte sie besiegt, taucht sie wieder auf: Die Motte
Gerade wenn man denkt, man hätte sie besiegt, taucht sie wieder auf: Die Motte

Foto: imago images/Steffen Schellhorn

Ich hab die Motten. Mal wieder. Seit drei Tagen mach ich den Vorratsschrank auf, und es ist, als hätte eines der Biester schon auf das Signal zum Take-off gewartet. Es flattert sogleich in Richtung der nächstbesten Lichtquelle, die Lampe über dem Esstisch. Inzwischen falte ich schon die andere Hand, bevor ich die Tür aufmache, um sofort zuschnappen zu können. Aber das hilft natürlich nichts.

Eine oder zwei Lebensmittelmotten zur Strecke zu bringen, damit ist es längst nicht getan, wie ich inzwischen weiß. Wenn ein paar ausgewachsene, paarungsbereite Exemplare durch die Küche fliegen, dann ist das nur das Signal, dass im Schrank noch Generationen von Motten darauf warten, aus ihren Eiern zu schlüpfen, sich an meinen Vorräten zu laben, daraufhin zu verpuppen und wieder fortzupflanzen. Das Problem wird man auch nicht mit konventionellen Klebefallen los, sie zeigen nur an, dass man ein Problem hat. Man muss wegwerfen, kompromisslos, und da sind einige Preziosen darunter: Berberitzen vom Istanbuler Basar, teure Haselnüsse aus dem Piemont, schon an sich das reinste Nougat, auch eine ungeöffnete Packung Polenta aus wildem Mais, die so wunderbar nussig schmeckt und so dekadent teuer war.

Bis vor kurzem dachte ich noch, ich könnte die Motten allein mit biologischen Mitteln bezwingen und mir den großen Kehraus sparen. Es gab dafür noch mehr Argumente als die teuren Schätze im Vorratsschrank. Erstens meine Faulheit, viel schwerer wogen aber die Themen Insektensterben und Lebensmittelverschwendung. Gerade habe ich wieder gelesen, zu 52 Prozent werden Lebensmittel ungenutzt in Haushalten entsorgt.

Da will ich nicht Teil von sein, erst recht nicht wegen ein paar kleinen geflügelten Plagegeistern. Mein Verhältnis zum Insektenreich hat sich in den vergangenen Jahren komplett ins Gegenteil verdreht, seitdem ich einen Kleingarten habe besonders. Ich begrüße dort jede Biene, feiere jede Hummel, die inzwischen noch seltener auftauchen. Und jetzt im September sind hier nicht mal die Wespen richtig lästig, das war 2018 auch anders. Ist es da nicht verständlich, dass ich auch mit den Motten im Vorratsschrank milder gestimmt bin?

Ich habe schon einmal eine Lektion in ähnlicher Sache bekommen, in meinem ersten Kleingärtnerjahr. Der Zwetschgenbaum hing voll mit Früchten, das feierte ich stolz mit einem üppigen Einmachtag. Vor mir hatten zwar schon die Maden des Pflaumenwickler zugeschlagen und sich in die Früchte gebohrt, das übersah ich aber wohlwollend beim Marmelademachen. Verkocht sich schon irgendwie, dachte ich. Bis ich das erste Glas öffnete, ich hatte gleich etwas leicht Krümeliges zwischen den Zähnen. Madenkot vielleicht? Das sollte mir nicht noch mal passieren. Dieses Mal habe ich sofort zu Schlupfwespen gegriffen. Sie sind die natürlichen Feinde der Motten, zudem fast unsichtbar, können nicht fliegen und legen ihre Eier in die Motteneier, aus denen nun keine Larven mehr schlüpfen können. Der Lebenszyklus ist zerstört. Man kann diese tollen Nützlinge in kleinen Briefchen mit der Post bestellen und von dieser Möglichkeit habe ich bis vor sechs Wochen reichlich Gebrauch gemacht. Ich bin mir sicher, im ewigen Hin und Her aus Fressen und Gefressen werde mein Söldnerheer die Oberhand behalten.

Bis vor drei Tagen. Nun weiß ich: Ich muss mir doch selbst die Hände schmutzig machen. Das heißt wegwerfen, saugen, umpacken.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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