Einsatz für Pägeida

Der Koch Über eine Bewegung, die man dem Zeitgeist folgend, Pägeida nennen muss: Für sie gehören jedoch Eichhörnchen und Eichelhäher zu den schlimmsten Feinden
Ausgabe 03/2015

Heute möchte ich von einer Bewegung berichten, die man, folgt man dem Zeitgeist, Pägeida nennen muss. Sie besteht nämlich, wie andere Gruppen selbsternannter patriotischer Abendlandsverteidiger, meistenteils aus älteren Herren. Zu eigenen Demonstrationen hat sie sich jedoch noch nicht zusammengefunden, was ein Glück ist, denn ich bin mir sicher, mit Leichtigkeit würden da mehrere Zehntausende zusammenkommen. Nein, diese Bewegung pflegt ihre Wut ziemlich still und privat – lässt ihr dafür aber bei den wenigen Begegnungen mit Gleichgesinnten freien Lauf. Einem zufälligen Treffen zweier Vertreter dieses Lagers konnte ich jüngst beiwohnen. „Diese Scheiß-Eichelhäher. Die könnt’ ich erschießen!“ – „Ach, woher. Die Eichhörnchen, die gehören ausgerottet!“

Es ist die ganze Ohnmacht des Vogelfütterers, die sich da Bahn bricht. Halb hinter der Gardine verborgen, muss er regelmäßig dabei zusehen, wie sich Groß gegen Klein durchsetzt, wie es Meise, Spatz und Fink in die Büsche schlägt, sobald Eichelhäher und Eichhörnchen auftauchen. Jene beiden sind ihm die Lieblingsfeinde, daher ja auch der Titel Pägeida. Aber Buntspechte und „fette Amseln“, wie die Vögel in diesem Zusammenhang heißen, passen der Bewegung auch nicht so recht ins Gehege.

Das Vogelfüttern kann man, wie so vieles, zu einer Wissenschaft machen. Angesichts der Zustände im Vogelhäuschen will man den untergebutterten Kleinen ja wenigstens ein solides Minderheitenprogramm bieten. Ich kann nicht sagen, dass ich mich damit auskenne, muss also wieder die beiden Pägeida-Vertreter zu Wort kommen lassen: „Meine Finken mögen am liebsten Sonnenblumenkerne, nur die geschälten, in Bioqualität“, erzählt der eine. „Mit Erdnusshack kann man als Einsteiger nichts falsch machen“, sagt der andere.

Tatsächlich entspricht das den Informationen auf einschlägigen Futterbestellseiten im Internet. Dort habe ich überdies erfahren, dass der Gimpel auf Hanf steht, der Stieglitz auf Mohn und Sperlinge Rosinen mögen. Gehackte Erdnüsse aber – was für einheimische Vögel ungefähr das Gleiche ist wie für ihre Fütterer der Besuch beim Chinesen – nehmen alle Vögel gleichermaßen an. Die Erdnuss ist ein Tropengewächs. Ich finde das beruhigend.

Bei den ganzen Mischungen, aus denen der Vogelliebhaber auswählen soll, kann man schnell den Überblick verlieren. „Wildfutter Deluxe“, „Energie-Mix“ oder „Gourmet-Auswahl“ sind da im Angebot. Sehr originell auch die Bezeichnung „Winterstreufutter-4-Jahreszeiten“. Und natürlich hält das Internet auch alle Möglichkeiten bereit, aus einem ganzen Körnersortiment heraus das Futter genau an das Vorkommen im eigenen Garten anzupassen. Ganz ähnlich wie bei Müsliportalen für Menschen. Nur dass die Auswahl beim Vogelfutter noch etwas größer ist. Mensch kann dort auch bestimmen, ob er seine gefiederten Schützlinge lieber vegetarisch versorgt. Falls nicht, werden dem Erdnusshack auch mal getrocknete Mehlwürmer oder Bachflohkrebse beigemengt.

Ich muss sagen, gerade jetzt nach den Feiertagen, da ich für mich selbst erst einmal nur an schmale Kost denken will, hat die Vorstellung ihren Reiz, stattdessen kleine Piepmätze mit Fettfutter und Meisenknödel zu päppeln. Doch bislang zeigt sich der Winter ja noch gar nicht richtig.

Kein Problem, sagen meine Experten. Sie sind sich einig: Es gibt nichts Grausameres, als im Frühjahr, wenn die Brut in den Nestern schlüpft, das Vögelhäuschen wieder wegzuräumen. Nein, wenn man füttert, und das aus Herzblutüberzeugung, dann das ganze Jahr über! Das binde die Tiere an den Garten und hebe außerdem die Vielfalt. So laute auch die Empfehlung der Britischen Ornithologischen Gesellschaft. Und die Engländer, diese stilvollen Exzentriker, die müssen es schließlich wissen.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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