Essig und Öl?

Koch oder Gärtner? Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd. Heute: Salate, Wildkräuter und das alles verbindende: Die Vinaigrette

Es ist Salatzeit. Ja, und nicht nur Spargel- und Erdbeersaison, wie in den Supermärkten. Aber wennSie in Ihrem Garten auch etwas Subsistenzwirtschaft betreiben sollten oder einen Wochenmarkt in der Nähe haben, muss ich da kein weiteres Wort mehr verlieren. Alles muss raus aus der Erde, bevor die Pflanzen anfangen zu schießen, und ihre Energie auf die Blüte konzentrieren. Römer-, Kopf- und Eichblattsalate sind gerade fett, und der Babyspinat ist schon so ausgewachsen, dass er besser in den Kochtopf muss.

Noch findet man auch bei einem kleinen Spaziergang und mit geschultem Auge eine ganze Vielfalt von Kräutern und Schösslingen und Wiesenblumen, die man ohne Skrupel mit in den Salat geben kann: Gänseblümchen etwa oder Löwenzahn, der am zartesten ist, wenn die Pflanze noch nicht blüht. Auch Sauerampfer, Giersch und Portulak stehen am Wegrand.

Nur: Salat muss man putzen. Das hat mich lange von diesem Gericht ferngehalten. Die Vinaigrette ist der eigentliche Grund, warum mir dann aber doch bis heute schon einige Salatschleudern zu Bruch gegangen sind. Und wenn Sie mich fragen, dann gehört zur absoluten Basisausstattung einer Küche neben einem anständigen Messer nicht nur eine solche Schleuder, sondern auch ein geräumiges Marmeladenglas. Es ist das beste Werkzeug, um schnell eine Vinaigrette zu mixen, vergessen Sie den Rührbesen oder die teuren Dressingshaker aus dem Küchenstudio.

Ganz normale Nanotechnik

Eine Vinaigrette ist eine labile Angelegenheit, eine Emulsion im chemischen Sinne, weil es sich um ein Gemisch aus Wasser und Öl handelt. Tröpfchenmischung sagte unser Chemielehrer dazu, die beiden Elemente stoßen sich ab wie zwei gleich gepolte Magneten. Es braucht viel Energie, um sie zu verbinden, trotzdem setzt sich das Öl relativ schnell wieder vom Essig ab. In den industriellen Salatsaucen aus der Flasche wird das durch Emulgatoren verhindert, oft Lecithin, aber das brauchen Sie zu Hause nicht. Ein natürlicher Emulgator ist beispielsweise Senf. Nicht nur, dass er der Vinaigrette den Kick gibt, das Senfmehl stabilisiert Essig und Öl. Das ist ganz normale Nanotechnik.

Kochbücher widmen sich der Vinaigrette meist nur am Rande und ganz selten allein. Noch scheint selbstverständlich, was hineingehört. Aber wenn ich mir die Tütchen und Flaschen im Supermarkt ansehe, bin ich mir nicht mehr sicher, dass die Zubereitung der Vinaigrette noch zum Allgemeinwissen gehört. Nehmen Sie also das Marmeladenglas und mischen Sie einen Esslöffel Essig mit etwas Salz (das löst sich nur in Essig) und geben Sie drei Teile Öl, Pfeffer und was Ihnen noch so einfällt, dazu. Deckel drauf und schön schütteln.

Mehr will ich gar nicht raten. Das Schöne ist nämlich: So ein Marmeladenglas ist eigentlich eine Küche en miniature. Ich kenne Menschen, die seit Jahrzehnten dieselbe Rezeptur mixen und obwohl sie das im Schlaf können, noch immer Essig und Öl Esslöffelweise abmessen. Beginnen Sie doch endlich, zu kochen! Die Phantasie eines einfachen Menschen reicht kaum, um in einem Leben all die Möglichkeiten auszureizen, die in einer Vinaigrette stecken. Wenn ich neue Geschmacksmixturen in anderen Gerichten ausprobieren will, gehe ich erstmal in meine kleine Versuchsküche mit dem Schraubdeckel. Anschließend kann man noch mal kreativ werden in der Auswahl der Salatzutaten.

Zum Schluss noch etwas Knigge: „La politesse est au fond du saladier“, sagen die Franzosen. Übersetzt: „Die Höflichkeit sitzt am Grund der Salatschüssel.“ Will heißen: Vom Salat dürfen Sie sich selbst zuerst servieren und sollten Gästen die letzten Portionen vorbehalten: Am Grund der Schüssel sitzt vom Besten immer noch am meisten.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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