Friedas genialer Hefezopf

Koch oder Gärtner Jörn Kabisch beantwortet Fragen rund um den Herd. Heute: Wie verändern Amateure übers Netz die deutsche Küche – auch im Vergleich zu den Profiköchen aus dem Fernsehen?

Doch, beim Backen sollte man sich besser an Rezepte halten. Ich vergesse diese Regel ständig. Am Wochenende blieb mir Teigmasse für Gateau au chocolat übrig, ein Dessert, das gerade Platz eins meiner Top-Ten für den abschließenden Gang erobert hat: kleine warme Küchlein, aus denen flüssige Schokolade fließt, wenn man hineinsticht. Dazu noch eine Kugel Eis – und es ist vorbei mit dem herbstlichen Griesgram.

Aus den Überresten lassen sich noch leicht Brownies machen, dachte ich, konsultierte ein paar Rezepte und entschied dann, dass in meinem Teig noch Mehl fehlte. Nach dieser und ein paar weiteren Korrekturen strich ich die von Schokolade glänzende Masse in eine Auflaufform und schob sie ins Rohr. Dem Duft nach funktionierte alles perfekt, was ich aber nach 20 Minuten dampfend aus dem Ofen zog, war eine Tiptop-Schuhsohle.

Wer bei Mehlspeisen kein Risiko eingehen will, vertraut auf Gelingt-Immer-Backmischungen – oder aufs Netz. In Koch-Communitys werden Rezepte nämlich tausendfach erprobt und neuralgische Punkte bei der Zubereitung herausgearbeitet. Die Anleitungen sind bisweilen so gut, dass man bei einer Netzrecherche ständig auf das entsprechende Community-Rezept stößt. Das gilt etwa für den Zimtrollen-Kuchen. Auf unzähligen Blogs und Websites wird dieses Rezept – man möchte sagen „schamlos“ – kopiert.

Aber schamlos wäre das falsche Wort: Für Rezepte gibt es kein Urheberrecht, und das ist gut so. Das Zimtrollen-Rezept etwa wurde als erstes von einer Userin namens „Karaburun“ auf chefkoch.de eingestellt. Sie habe es von einer Freundin, schreibt sie dort. Ich finde, es ist an der Zeit, Karaburuns Freundin und anderen anonymen Amateuren Ehre zuteil werden lassen: Sie üben auf die deutsche Küche mehr Einfluss aus als viele der Profis, die im grellen Licht der Fernsehstudios die Pfannen schwenken.

243 Zimtrollen, 600 Hefezöpfe

Denn man kommt zu keinem anderen Schluss, wenn man sich die Fotos von den 243 Zimtrollen-Kuchen ansieht, die andere Köche aus dem Rezept gemacht und abgelichtet haben – als Beweis, dass das Rezept gelingt, als Empfehlung, als Lob an die Köchin. Ich habe mich durch alle Bilder durchgeklickt. Meine Exemplare des Kuchens sehen mal mehr nach Bild Nummer 124 aus, mal mehr nach Nummer 210.

Bei den über 600 Bildern von „Friedas genialem Hefezopf“ dagegen habe ich kapituliert. Dieses Rezept wird im Netz ebenfalls unzählige Male kopiert und empfohlen. Laut Redaktionsleiterin Mandy Scheffel ist es das mit Abstand meistfotografierte auf chefkoch.de.

Frieda, die Urheberin des Rezeptes, müssen wir uns als Hausfrau vom Bodensee vorstellen, geboren am Ende des 19. Jahrhunderts, vielleicht mit vom Kneten warmen, kräftigen Fingern. „Backinteressiert und immer bereit, Neues auszuprobieren“, so beschreibt Ilona Waldraff ihre Oma. Die Enkelin hat das Rezept für den Hefezopf vor sechs Jahren das erste Mal im Netz veröffentlicht und rechnete nicht damit, dass es ein solcher Hit werden würde: „Ich wollte den Leuten nur mal zeigen, wie leicht im Grunde ein Hefeteig herzustellen ist.“

Das hat sie geschafft. Das Rezept ist so genial, weil es auf genaues Augenmaß setzt. Das klingt zwar paradox, doch das Problem vieler, die mit dem Hefeteig auf Kriegsfuß stehen, ist, dass sie sich diszipliniert an widersprüchliche Angaben halten. „Lassen Sie den Teig 30 Minuten auf das doppelte Volumen aufgehen“, liest man nur zu oft. Das ist aber Quatsch. Es geht um das doppelte Volumen, egal, wie lange der Teig dafür braucht. Und das ist nur eine der Gelinggarantien bei Friedas Hefezopf.

Für mich steht fest: An dem Rezept ändere ich nichts. Kein bisschen. Ich denke nicht mal daran.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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