Grillen Sie noch oder kochen Sie schon?

Koch oder Gärtner? Heute der Koch. Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd. Heute: Warum die Industrie falsch liegt, die Deutschen zu Single-Grillmeistern machen zu wollen

Mein letzter Grill ist durchgerostet. Das war vor vier Jahren. Sein Name war Poncho, aber ich habe ihn ohne Bedauern zum Wertstoffhof gebracht. Ich konnte mich kaum noch erinnern, wann er das letzte Mal in Gebrauch gewesen war. Nur an den einen Abend, als sich fünf Menschen zusammen mit Poncho auf meinem vielleicht drei Quadratmeter kleinen Balkon befanden. Was bedeutete: Wir mussten uns so eng um den Grill drängen, dass die Kleidung nach dem Abend mit kleinen Brandlöchern übersät war und wie eine Pik-Salami roch. Da kam mir die Erkenntnis, ich bin kein Deutscher im landläufigen Sinn.

Nach dieser Definition grillt der Deutsche, wo er kann, und wird nur noch vom US-Amerikaner übertroffen, was die Begeisterung angeht, Fleisch oder Fleischähnliches über glühende Kohlen zu halten. Für diese Aussage habe ich sogar Fakten, eine Studie im Auftrag des deutschen Grillherstellers Weber, für die „die Daten von 15.614 Grillfans in 15 Ländern auf fünf Kontinenten erfasst und ausgewertet wurden“. Das nenne ich repräsentativ. Die Studie hat auch herausgefunden, dass Schweinefleisch des Deutschen erste Wahl fürs Barbecue ist, die des Amerikaners hingegen Rindfleisch. Auch bemerkenswert: Hierzulande geht der Trend – wie auch in den USA – zum Ganzjahreseinsatz. „Elf Prozent der Deutschen geben an, den Jahreswechsel mit einem Grillevent zu begehen“, heißt es bei Weber.

Der Trend, den ich beobachte, geht dagegen zum Single-Grill, fertig marinierten Hähnchenformfleisch-Packungen Marke „Mexikana“ oder „Thai Chili“ und einer unübersichtlichen Palette von Saucen, die aber alle auch so heißen. Und dann noch all die Putenbratwürste. Ich hoffe, sie stellen sich samt und sonders als Lebensmittelimitate heraus. Es wäre nicht schade drum.

Nein, ich will meinen kleinen Poncho, der vier Steaks tragen konnte, nicht wieder haben. Und auch keinen Grill in Form eines Blumenkastens, der Platz für drei Bratwürste hat und zur Zeit alle Nase lang in Hochglanzmagazinen für den Urlaub auf Balkonien angepriesen wird. Was mir erst recht gestohlen bleiben kann, sind diese Einweggrills von der Tankstelle inklusive abgepacktem Kartoffelsalat, Chickenwings und Curry-Ketchup. Da bleibe ich lieber bei McDonald’s.

Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Ich lehne das Grillen an sich nicht ab, nur dieses Instant-Barbecue. Dieses Grillen hat mit dem eigentlichen Kochen nicht viel zu tun, es ist nur eine andere Art, Fleisch in die Pfanne zu legen, die von der Industrie mit Werten wie Männlichkeit, Freiheit und Abenteuer aufgeladen worden ist, so wie einst Marlboro von Philip Morris.

Dabei ist Grillen eine soziale Angelegenheit, etwas für die ­modernen Generika von Familie, also Vätergruppen, Facebook-Buddies oder Baugemeinschaften. Ich träume von einem Abend, an dem so viele Leute da sind, 20 mindestens, dass ein längs halbiertes Öl-Fass als Grill gerade reicht. Sie wissen schon, diese Dinger, aus denen in der Karibik Steel-Drums gemacht werden. Das wäre kein Poncho, das wäre ein Toro. Es würde sich lohnen, einen Sack Kohle zur Weißglut zu bringen. Rot lackierte Spare Ribs, marinierte Garnelenspieße, Chop Sticks mit Rosmarin, Salsicce mit Fenchel und Schweinekoteletten lägen auf dem Rost, als Entourage für ein paar T-Bone-Steaks. Am Rand bekämen Paprika, Zucchini und Auberginen für den Salat braune Striemen, außerdem Fruchtspieße, der Nachtisch. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Traum. Ich nenne ihn Grillmob.

Übrigens: Nachdem Poncho auf dem Müll gelandet war, habe ich mir vorerst eine gusseiserne Grillpfanne gekauft. Ich vermisse zwar manchmal das rauchige Aroma, aber den Gästen auf dem Balkon ist jetzt viel wohler.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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