Kein Sprung in der Schüssel

Der Koch Nach Schieferplatten und Weckgläsern ist die Bowl das neue Geschirr der Stunde. Dort soll sich am Ende alles zum Einerlei vereinen
Ausgabe 01/2018
Vielleicht ist das der tiefenpsychologische Grund für die Beliebtheit der Bowls
Vielleicht ist das der tiefenpsychologische Grund für die Beliebtheit der Bowls

Foto: Stefan Schwenke/Imago

Besitzen Sie noch flache und tiefe Teller, vielleicht sogar Spaghettiteller? Oder solche für Schnecken? Dann werfen Sie sie weg, wenigstens ein paar, machen Sie Platz im Schrank. Die nähere Zukunft des Essens kommt mit neuem Geschirr daher. Das heißt „Bowl“. Nur wenn Sie Müslischalen besitzen, besteht eine Restwahrscheinlichkeit, dass der Polterabend vermieden werden kann. Dann dürfen Sie weiterlesen. Gut, in den vergangenen Jahren hat es immer wieder Versuche gegeben, neue Behältnisse bei Tisch zu finden. Ins Weckglas passte – je nach Größe – alles, nur kein Weckgut, stattdessen aber Kuchen, Pommes, selbstgemachte Limo oder Suppen. Auch die Schieferplatte war so ein Fall, für Burger oder Steaks. Auf dem schwarzen Untergrund wirkt das Fleisch extrarot. Essen auf Ziegeln wurde mir auch schon serviert, aber die Tonklötze waren entschieden zu sperrig für den Küchenschrank.

Mit der Bowl ist es anders. Es gibt schon eigene Kochbücher für dieses Geschirr. Es verbindet sich damit eine andere Art des Kochens und Essens. Teller gegen Schüssel, so könnte man den Antagonismus zwischen der europäisch geprägten und den übrigen Küchen der Welt auch beschreiben. Kein Mischmasch. Unsere Teller sind, auch beim kreativsten Sternekoch, von einer Ordnung bestimmt. Ich nenne es mal Heterogenitätsgebot. Jedes Gericht sollte sich in seine einzelnen Komponenten zerteilen lassen.

Gerne sieht man sie oder ihre Spuren bis zum letzten Bissen auf dem Teller. Das Role Model für dieses Geschirr ist der Kantinenteller: eher ein Tablett mit Fächern für das Püree, Fleisch und Soße, den Salat und rechts oben den Becher mit Pudding.

Lügen Sie nicht: So unappetitlich finden Sie das Bild nicht. Grenzen und Absperrungen auf dem Geschirr gehören zu unserer kulinarischen Vita. Ich habe als Kind Püreewälle gebaut, um den ungeliebten Wirsing vom Hackbraten zu trennen. Und im Restaurant gilt bis heute: Der breite Rand unserer Teller, Fahne genannt, muss rein und weiß bleiben. Ein Künstler malt auch nicht auf den Rahmen, oder?

Das alles interessiert den Bowl-Esser wenig. Sein Gefäß ist das, was man landläufig Reisschüssel nennt. Und dafür gilt das Homogenitätsprinzip. Egal, was man in die Schale füllt, am Ende soll es sich zum Einerlei vereinen, ob man will oder nicht. Das ist so beim Don, einem japanischen Gericht. Auf einem Bett aus Reis thronen roher Fisch, eingelegtes Gemüse, Frühlingszwiebeln, vielleicht noch ein pochiertes Ei. Bibimbap heißt die koreanische Entsprechung, da brutzelt der Reis in einer heißen Steinschale. Asiatisch war einmal. Inzwischen haben sich die Vegetarier, die Superfood-Bewegung und auch die moderne lateinamerikanische Küche der Bowl bemächtigt, das nennt sich dann Naked Burrito. Das Bett aus Reis wird mit Quinoa, Buchweizen oder Hirse ersetzt.

Nur was ist der tiefere Grund? Verbreitet denn Geschirr, hat es die Form einer Halbkugel, ein besonderes Karma? Daraus zu essen, erinnert mich oft an Gelegenheiten, wenn ich aus dem Topf essen durfte. Richtig gute Bowl-Gerichte leben von starken Kontrasten. Eine scharf-fruchtige Tomatensoße zu süßem Mais und mit Zimt und Koriander warm gewürztem Hühnerfleisch oder algige Gurke, zwiebelscharfe Avocado und roher Fisch auf dem Reis. Das schmeckt man auch noch im Chaos auseinander. Deshalb stehen Bowls in meinem Schrank gerade sehr in Griffnähe.

Jörn Kabisch schreibt als Der Koch für den Freitag regelmäßig über Küchen- und Esskultur

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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