Koch oder Gärtner?

Kolumne Heute der Koch. Jörn Kabisch beantwortet alle Fragen rund um den Herd. Diesmal: Warum stehen überall Rosenkohlblätter auf der Speisekarte?

Eine wunderbare Frage. Und die richtige Gelegenheit, ein Gemüse ins rechte Licht zu rücken, das außerhalb der Benelux-Länder nicht so hoch angesehen ist. Goscinny und Uderzo haben dieses Vorurteil in ihrem Band „Asterix in Belgien“ breitgetreten. Kann sein, dass sie es auch begründet haben. In der Geschichte ernähren sich die Einheimischen jedenfalls fortwährend von „Waterzooi“ – sprich: „Wässrigem Durcheinander“ – und Rosenkohl, was Obelix fast zur Verzweiflung bringt. Auf der letzten Seite der Story wird dann ziemlich feierlich die Geburtsstunde der Pommes Frites zelebriert. Ganz offensichtlich halten die Comic-Autoren das für das bedeutendste Geschenk der Belgier an die Menschheit.

Aber nicht nur Comics haben die Brüsseler Sprossen, wie die Kohlröschen anfangs hießen, als sie Mitte des 19. Jahrhunderts auf deutsche Speisekarten kamen, in Verruf gebracht. Sondern meiner Meinung nach auch die Art, sie zu kochen. Hierzulande kommt das Gemüse, das geputzt noch so anmutig aussieht, oft zerkocht auf den Teller. Viele Menschen wollen, dass auch der Strunk richtig weich wird. Die Blätter aber sind dann schon fast zerfallen, und was aus den Vitaminen und Nährstoffen geworden ist – Rosenkohl hat wie das meiste Gemüse einen hohen Vitamin-C-Gehalt – kann man sich denken. Den Kohl von den Stängelansätzen zu zupfen, ist zwar eine Heidenarbeit, hat aber zwei Vorteile: Die Blätter bleiben bissfest, und man kann so selbst Rosenkohl, der ein paar Fröste abbekommen hat (Ernte ist bis in den April hinein), passabel verarbeiten.

Dennoch ist es seltsam: Das Wissen um die alternative Zubereitung kann doch nicht erst kürzlich entstanden sein? Rosenkohl steht zum Beispiel im Vergleich zu Zucchini oder Aubergine schon ziemlich lange auf unserem Speisezettel. Klar, dass bei der Aubergine niemand wusste, wie man dieses mediterrane Gemüse zubereitet, als es in den 80ern in den westdeutschen Supermärkten Einzug hielt. Komische schwarz-bläulich schimmernde Knüppel, die in der Ratatouille nach nichts schmeckten. Welche Überraschung dann, als immer mehr Rezepte vorschlugen, das Gemüse zu salzen, um ihm Wasser und Bitterstoffe zu entziehen, und am besten noch auf den Grill zu legen.

Und der Rosenkohl? Die mir zur Verfügung stehenden Rezeptbücher aus vergangenen Jahrzehnten jedenfalls kennen ihn nur im Ganzen. Aber das will nichts sagen. Momentan lässt sich ohnehin eine sehr große Kreativität im Umgang mit Gemüse beobachten. Und das wurde auch Zeit, nachdem zuletzt vor allem das Fleisch im Fokus der Köche stand, und der Irrglaube herrschte, dieses Material vertrage größte Hitze. Doch wenn man auf der Speisekarte von Betriebskantinen schon „niedrig gegartes Rinderfilet“ findet, dann weiß man: ein Trend hat sich durchgesetzt.

Nun also zum Gemüse. Und da gibt es den Trend, Sachen in die Pfanne zu legen, bei denen das bisher fast als Sakrileg angesehen worden ist. Salat beispielsweise, der Inbegriff des gesunden Gemüses. Frisée, der in Salatmischungen wie Distelkraut wirkt, ist nach ein zwei Minuten in der Pfanne aber eine Delikatesse. Ein anderer Trend ist, Sachen, die uns roh ungenießbar erscheinen, trotzdem im Rohzustand zu lassen. Dass man etwa Artischocken einfach so essen kann, habe ich erst vor kurzem entdeckt. Es waren junge, sehr kleine Exemplare aus Sardinien. Wenn man es in dünne Scheiben schneidet, versteht man, warum das Gemüse als Aphrodisiakum gilt.

Und noch ein Beispiel: Die Rosenkohlblätter, in dünne Scheiben geschnitten und ein paar Tage in Salz eingelegt, ergeben das feinste Sauerkraut, das man sich vorstellen kann.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

Jörn Kabisch

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