Ölwechsel, aber nur aus erster Pressung!

Der Koch Unser Kolumnist findet, Witze auf Kosten von Essern sind Ausdruck einer allgemeinen Genussstörung
Ausgabe 18/2019
Wortwitze machen Veganer jedenfalls selbst meist ganz gut
Wortwitze machen Veganer jedenfalls selbst meist ganz gut

Foto: Steffi Loos/Getty Images

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Es gibt im Fernsehen ein neues kulinarisches Format. Es ist das politische Kabarett. Meiner Beobachtung nach jedenfalls. Ich schaue nicht regelmäßig, muss ich zugeben. Aber wenn ich einschalte, dann sind die Comedians nach ein paar Sekunden beim Thema Essen, so als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich die Fernbedienung drücke. Dieter Nuhr will im Ersten weiter Zucker essen, Lisa Eckhart macht sich gleich danach über Liebhaber von Fleischersatz aus Gemüse lustig. Veganer werden auch gern in der Anstalt (ZDF) aufs Korn genommen, da gab es vor einigen Monaten gleich eine ganze Themensendung zu Ernährung.

Natürlich kommt das nicht von ungefähr: Ob Tierwohl-Label, Zuckersteuer, Glyphosat, aktuell ein sich wieder ankündigender Dürresommer – Ernährung und Landwirtschaft bilden gerade ein Feld, das für das politische Kabarett fette Ernte abwirft, die zugehörige dauerlächelnde Ministerin von der CDU düngt reichlich nach.

Wenn Julia Klöckner nur die einzige Witzfigur wäre. Die Grenzen zwischen Kabarett und Comedy sind inzwischen vollends gefallen, und so werden dann häufig Menschen, die sich – neutral gesagt – mehr über ihren Ernährungsstil definieren als Otto Normalverbraucher, zur Zielscheibe. Bitte nicht falsch verstehen: Die komische Kunst hat keinen Erziehungsauftrag, schon gar keine Verpflichtung, in sich konsistent zu sein. Man darf gerne polemisieren, dass Glyphosat noch immer auf die Felder aufgesprüht wird, und gleich danach Helikoptereltern bashen, die ihre Kinder aus der Kita nehmen, wenn sie dort keinen glutenfreien, zuckerreduzierten und bienenfreundlichen Mittagstisch bekommen. Ich stelle nur fest, wie häufig das inzwischen geschieht.

Um Ihnen ein etwaiges Schmunzeln über meinen vorletzten Satz gleich wieder zu verderben, es liegt daran, dass man mit diesem Thema die Lacher schnell alle auf seiner Seite hat. Und zwar wirklich alle. Die mit den komischen Ernährungsweisen sind ja doch eigentlich immer die anderen. Und egal, welchen Gag man reißt, er ist immer weit weg vom Diskriminierungsverdacht, was zugleich heißt: Das Shitstorm-Risiko ist bei null. Denn die Pointe geht so allgemein gegen jeden und niemanden, dass sich keiner richtig angegriffen fühlt. Wahrscheinlich hat sich das auch Annegret Kramp-Karrenbauer gedacht, als sie im Karneval bei einer Büttenrede auf die Latte-macchiato-Fraktion in Berlin losging. Sie wurde von einigen Besserwissern erst mal belehrt, dass das Milieu wieder mehr dem Filterkaffee frönt. Blöd nur, dass in dem allgemeinen Höhö ihr Nachsatz über das dritte Geschlecht doch nicht unterging.

Ich finde Gags auf Kosten von Essern inzwischen bedingt lustig. So ziemlich jeder fühlt sich inzwischen dazu bemüßigt. Nach dem Motto: Worauf besteht ein Foodie, wenn er mit seinem Auto zum Ölwechsel kommt? – Bitte nur erste Pressung! Als jemand, der sich kulinarisch über Jahre ernsthaft Gedanken macht, kommt man sich inzwischen vor wie weiland die Ostfriesen und Mantafahrer. Manchmal denke ich: Was soll’s? Es gibt so wenig Minderheiten, über die man ungestraft Witze machen kann, neben Essern bleiben eigentlich nur Politiker. Aber ich vermute leider, diese ganzen Witzeleien sind Ausdruck einer ganz allgemeinen, um sich greifenden Genussstörung.

Liebe Vegetarier, liebe Veganer, liebe Bios und auch ihr von der Latte-macchiato-Fraktion: Es ist Zeit. Wehrt euch doch endlich mal. #Kulinarismus.

Nur für kurze Zeit!

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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