Sind Deutsche noch Krauts?

Koch oder Gärtner Die Südkoreaner essen viel mehr Sauerkraut als die Deutschen. Der Koch erklärt warum und gibt Tipps, wie man das Gemüse am besten genießt: Einfach verderben lassen

Von Tag zu Tag werden die Stiele lappiger, die Blätter verlieren an Farbe, greift das Rot der Chilis um sich, wird die ganze Masse matschiger. Die Strünke müssen fast so aussehen wie gerade ausgespuckt, habe ich entschieden. Na, regt sich bei Ihnen schon leichter Ekel? Keine Sorge, damit ist gleich Schluss, es geht wie immer in dieser Kolumne um höchsten Genuss.

Dafür aber muss ich erst Gemüse verderben lassen, täglich sehe ich im Kühlschrank nach dem Stand des Auflösungsprozesses. Was da in der roten Lake vor sich hinmodert, hat Ähnlichkeit mit den Vorgängen im Dunkel der Biotonne. Oder auf dem Komposthaufen. Aber ich übertreibe nicht: Am Ende wird das Humus für die Seele werden. Ich mache Sauerkraut. Und nicht irgendein Sauerkraut, sondern Kimchi.

Ja, ich bin überzeugter Kraut – obwohl sich dieser Spitzname für die Deutschen längst überlebt hat. Wenn man den Quellen trauen kann, essen wir pro Kopf jährlich nur noch 2 Kilo Sauerkraut. Sie finden das viel? Sie essen durchschnittlich mehr als 11 Kilo Schokolade im Jahr. Das ist viel. Nein, der Titel Krauts gebührt nur noch einer einzigen Nation dieser Erde: Den Koreanern. Im Süden der Halbinsel sind sie etwa so verliebt in das Zeug wie die Deutschen in die Schokolade. Kimchi wird zu jeder Mahlzeit gereicht, wie in Italien das Brot.

Die Koreaner als Vorbild

Kimchi besteht anders als deutsches oder elsässisches Sauerkraut aber nicht aus Weiß-, sondern aus Chinakohl. Das macht das Einmachen leichter. Und während hierzulande das Kraut höchstens mit Kümmel, Wacholder, Lorbeer oder Äpfeln eingesalzen wird, kommen in Asien Ingwer, Karotten, Frühlingszwiebeln und Rettich mit ins Faß, vor allem aber Chili. In vielen Rezepten werden auch getrocknete Shrimps mit eingestampft, und man mischt Fischsauce unter.

Auf beiden Erdhälften spielt sich in dem Gefäß anschließend jedoch das Gleiche ab, wenn man mit Salz nicht gegeizt hat: die so genannte Milchsäuregärung. Das Salz dient als Nahrung für Lactobazillen, die sich auf das Gemüse stürzen, die Zellwände brechen und aus dem Zucker Milchsäure machen. Die wiederum verhindert die alkoholische Gärung, ist also selbst ein Konservierungsmittel.

Gegenüber Kimchi ist Sauerkraut einlegen eine Geduldsangelegenheit. Bei der asiatischen Variante dauert es nur einen Tag, bis sich der typische Geschmack entwickelt, nach etwa zwei Wochen ist er voll ausgeprägt: Ein vollmundiges scharf-saures Prickeln, das sich noch Wochen hält.

Viel Vitamine, kaum Kalorien, voller Ballaststoffe: Was für Sauerkraut gilt, gilt natürlich auch für eingelegten Chinakohl. Aber würden Sie Sauerkraut einfach so als Vorspeise essen, als Einlage in der Nudelsuppe, in eine Gemüsepfanne mit Reis mischen oder zwischen zwei Hamburgerhälften stecken wie bei McDonald’s in ­Seoul. Nein? Ich auch nicht. Das raffinierteste Gericht, das mir im Westfälischen begegnet ist, bestand aus gebratenen Krabben, die auf Sauerkraut drapiert und wiederum mit Kartoffelbrei überdeckt werden. Schmeckte schon lecker, auch wenn der große hellgelbe Pfanni-Haufen auf dem Teller das nicht versprach. Aber wie will man bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von vier Dosen Sauerkraut auch groß auf Ideen kommen. Wir sind wirklich ziemlich fade Krauts geworden. Die Koreaner dagegen exportieren jedes Jahr mehr von ihrem eingelegten Kohl. Davon sollte man sich inspirieren lassen.

Wenn Sie Kimchi selbst einmal kosten wollen, man findet es in Asialäden meist rechts oben im Kühlregal neben dem Pak-Choi: Rotweißes matschiges Gemüse in Plastikschalen. Lassen Sie sich vom Anblick nicht blenden! Oder suchen Sie sich ein koreanisches Restaurant. In Berlin eröffnen die gerade an jeder Ecke.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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