Wann darf man in der Küche fluchen?

Koch oder Gärtner Der Koch stellt ein probates Mittel gegen Verbrennungen am Herd vor. Und er erklärt, was das alles mit Bratäpfeln zu tun hat

Großväter können viel mehr, als nur Karamellbonbons hervorzaubern. Meiner jedenfalls konnte mehr. Obwohl er in meiner Erinnerung nie einen Fuß in die Küche setzte, nicht einmal, um sich eine Flasche Bier zu holen, konnte er doch – sagen wir – mehr als nur Essen machen.

Es war im Herbst und ich noch ein kleiner Junge, als wir nach dem Laub-Machen in sein kleines Gartenhaus gingen, das von einem Kaminofen beheizt wurde. Dort schob er, nachdem er richtig eingeheizt hatte, eine Reine mit Bratäpfeln in den Ofen. Ich habe an diesem Nachmittag viel gelernt: Einmal, wie lecker Bratäpfel schmecken, wenn sie nicht nur mit Zimt, Nelken und Zucker gewürzt sind, sondern auch noch im Rauch von alten Birkenscheiten liegen (der Ofen war nämlich schon ein wenig leck).

Die zweite Lektion war aber noch wichtiger. Als er die Äpfel aus dem Rohr holte, kam mein Großvater nämlich an den glühenden Körper des Ofens und verbrannte sich. Die Haut zischte hörbar. Mein Großvater revanchierte sich prompt: „Kruzifünferl noch a mal, Scheißklump verreckts.“ Und das waren nur die ersten Worte und nicht die derbsten. Ich sollte später noch erfahren, was für ein kultivierter und versierter Mann des Fluches er war. An diesem Nachmittag lernte ich aber erst einmal, dass mit einer gepflegten Schimpfkanonade ein verbrannter Handrücken nur noch halb so weh tut. Und das sage ich heute aus eigener Erfahrung.

Ein heißer Ofen ist von Vorteil

Nun ist der Bratapfel wirklich kein schwieriges Gericht, obwohl es die aufwändigsten Rezepte dazu gibt, nur eines sollte man beachten: Ein sehr heißer Ofen ist von Vorteil. Denn bei großer Hitze platzt die Schale gerne auf, der herausquellende Fruchtsaft karamellisiert, während das Fruchtfleisch im Inneren nur wenig von der Hitze abbekommt, bissfest bleibt und der gebackenen Frucht noch Halt gibt. Denn meiner Ansicht nach ist nichts langweiliger als im Ofen zu Mus gebackene Apfelflatschen.

Ich habe ein sehr interessantes Rezept bei Marc Veyrat gefunden, dessen Kochbuch La cuisine paysanne (die deutsche Ausgabe trägt den Titel Kochen auf dem Lande - Frankreich) ich jeden Herbst wieder neu entdecke und das einen ganz besonderen Platz in meinem Regal hat. Veyrat ist ein Spitzenkoch, der erste, der vom Gault Millau mit der Höchstpunktzahl 20 ausgezeichnet wurde. Köche solchen Kalibers schreiben normalerweise Bücher, in denen sich die Rezepte wie Partituren für ein großes Orchesterwerk ausmachen. Da wird eingekocht, abgeseiht und aufwändigst dekoriert. Und garantiert werden Sie in solchen Rezepten auch eine kleine Ingredienz finden, deren Besorgung sich leicht in eine mittlere Expedition durch den Feinkost-Dschungel verwandeln kann. Nicht so Veyrat: Er listet einfache, aber geniale Melodien für den geübten Solisten auf. Seine Rezepte bestechen meist durch ihre Simplizität, die radikale Beschränkung auf ein absolutes Minimum von Zutaten.

Wie dem Opa so dem Enkel

Den Bratapfel interpretiert Veyrat ausnahmsweise nicht süß, sondern herzhaft. Er kombiniert ihn mit Blutwurst. Diese wird in Scheiben geschnitten und angebraten, dann mit gehackten Nüssen, leicht gerösteten Pinienkernen und eingelegten Korinthen vermischt. Diese Füllung kommt in große ausgehöhlte Äpfel, die schon 15 Minuten bei 240 Grad im Ofen waren und wird anschließend noch kurz mit gebacken.

Das war ein Rezept, das ich unbedingt probieren wollte. Aber 240 Grad, das hat mein Elektroherd nur auf dem Knopf stehen. Damit ich mich sicher fühle, dass das Rohr auch wirklich heiß genug wird, heize ich bei solchen Temperaturen mindestens eine halbe Stunde vor. Nur als ich die Bratäpfel zum Füllen aus dem Ofen nahm, da passierte, was wohl immer passieren muss bei Bratäpfeln: Sacklzement noch a mal, Scheißklump verreckts!

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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