Was ist eine aphrodisische Küche?

Koch oder Gärtner Es gibt kaum ein Lebensmittel, dem im Lauf der Menschheitsgeschichte nicht einmal eine libidinöse Wirkung nachgesagt wurde. Doch was taugt wirklich als Liebesfrucht?

Es ist, als habe sich die Menschheit gleich nach der Vertreibung aus dem Paradies wieder auf die Suche nach der verbotenen Frucht gemacht. Seit Urgedenken sind Menschen nicht nur auf der Suche nach etwas, was satt macht, sondern auch nach etwas, was wieder Hunger entfacht – als hätten sich Adam und Eva nach ihrem Rauswurf aus dem Paradies schon am Gartentor gefragt: Was war denn nun die Frucht der Erkenntnis? Apfel, Quitte, Feige oder doch etwas ganz anderes?

So kommt es einem wenigstens vor, wenn man sich die Unzahl von Büchern ansieht, die bis heute, zum Teil fast enzyklopädisch, dieser Frage nachgehen. Einen Nachmittag habe ich darin rum­geblättert, es war ziemlich un­befriedigend.

Immerhin habe ich gelernt: Es gibt kaum ein Lebensmittel, dem im Lauf der Menschheitsgeschichte nicht einmal eine libidinöse Wirkung nachgesagt wurde. Sei es der Knoblauch, die Tomate, Kaviar oder Chili. Selbst die Kartoffel galt kurz nach ihrer Ankunft in Europa als durchaus lustfördernd.

Man kann es auf zwei Gesetzmäßigkeiten bringen, nach denen Zutaten den Stempel Aphrodisiakum bekamen – oder wieder verloren haben. Regel Nummer eins mag uns heute allzu banal vorkommen, anders war das offenbar noch bei vielen unserer Vorfahren. Es ist das Gesetz der Analogie: Was aussah und sich vielleicht auch so anfühlte wie ein Sexualorgan, musste von der Natur erschaffen sein, auch beim Verzehr anzutörnen. Mit ein wenig Phantasie passt so ziemlich alles in die Kategorie, nicht nur Austern oder Bananen.

Die zweite Gesetzmäßigkeit ist die der Exklusivität – oder anders: exotisch gleich erotisch. Das galt zu allen Zeiten und in allen Kulturen: Was noch rar ist oder generell aufwändig, auf den Markt zu bringen, gilt sehr schnell als potenzfördernd. In Europa ist das beispielsweise seit Urzeiten der Safran, in China sind es Haifischflossen. Sex sells – keine Branche hat es durch die unbedingte Beherzigung dieser Marktingregel weiter gebracht als der Gewürzhandel, um Prosperität und Einfluss über fast ein Jahr­tausend hinweg auszudehnen. Erst aphrodisisch, dann heiltätig, am Ende einfach nur geschmacksfördernd und nicht ungesund – dieses kulinarische Schicksal teilen Pfeffer, Nelken, Muskat, Zimt mit vielen anderen Kräutern und Gewürzen.

Es gibt noch eine dritte Regel, die allerdings nicht global gilt, sondern nur für Europa. Sie heißt: Lies nach bei Giacomo Casanova. Im Original sind seine erotischen Beschreibungen meistenteils nüchtern gehalten, verbunden sind sie aber meist mit umso leidenschaftlicheren Schilderungen der Soupers, die den Liebesnächten vorausgehen. Nicht von ungefähr fußen daher eine ganze Reihe von Rezeptsammlungen, die sich der aphrodisischen Küche widmen, allein auf den Lebenserinnerungen Casanovas. Tatsächlich aber sind sie nur Fortschreibungen der italienischen und französischen Rokoko-Küche des 18. Jahrhunderts, mal in historischem, mal in modernem Gewand.

Leider wird immer übersehen, welch sinnliche Sprache der venezianische Reisende in die Kulinaristik eingeführt hat. Er ist einer der Urväter der Gastro-Kritik. Vielleicht muss man deshalb auch milde sein, wenn auch weiter gefasste Bücher zum Thema Aphrodisiakum den Kanon von Vanille, Spargel, Chili, Erdbeeren, Schokolade, Austern, Feige, Ingwer, Granatapfel, Safran und Kaviar erörtern – wie Casanova es schon vor über 200 Jahren getan hat. Allerdings: Im Original ließt man einen Ge­nießer, der für ein Kalbsragout die gleichen verzehrenden Worte finden kann wie für seine aktuelle Angebetete. Die sich daran an­lehnende Kochliteratur müffelt dagegen verdächtig nach kalt werdender Matratze. Wirklich nicht zu empfehlen.

Fazit: Alles und nichts, was sich in den Mund nehmen und verspeisen lässt, taugt als Liebesfrucht. Aufgesetzte Wissenschaftlichkeit ist dagegen nur eines – ein zu­verlässiger Appetitzügler. Weil all diese Bücher von einem ganz genau nicht handeln, der Erotik eines Gerichts, der Hingabe an einen bestimmten Geschmack.

Trotzdem war mein Nachmittag mit diesen Büchern nicht ganz für die Katz: „Bon profit“, sagt der Katalane, wenn es ans Essen geht. Übersetzt heißt das nicht „Guten Appetit“, sondern „Viel Spaß“. Das werde ich mir merken.

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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