Was machen wir mit dem Spitzkohl?

Koch oder Gärtner Der Koch mag Kohl vor allem, wenn er ihn (fast) roh essen kann. Da verdient ein Gemüse Beachtung, das relativ neu auf den Speisekarten ist – ohne Modegemüse zu sein

Geht Ihnen das auch so? Was Sie sehr mögen, das können sie auch roh verspeisen. Ich bin da keine Ausnahme. Ein Fitzelchen Teig, ein Haps von der Bulettenmasse, ein Teelöffel von dem neuen Olivenöl – das muss immer sein. Ich stecke mir beim Kochen fast alles in den Mund. Ich will wissen, wie es im Rohzustand schmeckt und was Hitze und andere Zutaten Aroma und Biss später angetan haben.

Man kommt da ganz nebenbei auf schöne Entdeckungen. Und stellt fest, man kann viel mehr in seinem Naturzustand belassen, als man dachte. Zum Beispiel Kohl. Wenn man ihn nur als Sauerkraut kennt, als Krautroulade oder Bestandteil eines Eintopfes, dann glaubt man, es braucht Stunden oder Tage, daraus etwas Schmackhaftes zuzubereiten. Auf jeden Fall ist er nichts für die schnelle Küche. Solche Vorurteile sind nur zu einem Zweck auf der Welt, nämlich widerlegt zu werden. Ich kann heute sagen: Ich mag Kohl vor allem, wenn ich ihn (fast) roh essen darf.

Die Rede soll hier von Spitzkohl sein. Er hat mir über den Winter geholfen. Es ist ein relativ neues Gemüse, das sich in den letzten zehn Jahren seinen Weg auf die Speisekarten und auch in die häuslichen Küchen gebahnt hat. Ich habe ein wenig in alten Esszeitschriften und Kochbüchern ge­blättert. Vor dem Jahr 2000 taucht der Begriff Spitzkohl selten auf, oft ist damit das süddeutsche Filderkraut gemeint. Nach der Jahrtausendwende aber finden sich mehr und mehr Rezepte, und das, ohne dass dem Spitzkohl nur ein einziges Mal das Lied vom neuen Mode­gemüse gesungen worden wäre. Obwohl es das ist. Topinambur, Bärlauch, Teltower Rübchen haben einige Marketing-Offensiven erlebt. Der Spitzkohl dagegen hat sich in den vergangenen zehn Jahren ohne große PR-Maßnahmen ein Herz in der Küche erobert. Was für ihn spricht. Vor allem Tim Mälzer, ist mir aufgefallen, verwendet ihn häufig, andere bekannte Köche nur ab und an.

Eine echte Energiebombe

Verwechseln Sie Spitzkohl nicht mit dem ebenfalls konisch zu­laufenden Filderkraut aus Baden-Württemberg. Das wird im Herbst als großer Kopf geerntet und zu einem schmackhaften Sauerkraut verarbeitet. Den Spitzkohl, den ich meine, gibt es meist in der handlichen Form einer großen Aubergine und nicht in den Basketball- ähn­lichen Ausmaßen wie den Weißkohl. Die Franzosen nennen ihn Chou pointu, und er gehört zu den milden Kohlsorten mit sehr feinen Blättern, die einen feinen Eigengeschmack haben und etwas nussig schmecken. Zur Zeit kommt der Spitzkohl noch aus dem Gewächshaus, eigentlich ist er ein Frühjahrsgemüse, Freilufternte ist von Mai bis Juli.

Spitzkohlblätter braucht man nur eine Minute zu blanchieren, und schon hat man eine tolle Zutat für einen Wintersalat. Mit Äpfeln oder Orangen, mit Sellerie und Walnüssen zusammen ist das eine echte Energiebombe. Für einen schnellen Coleslaw, diesen an­genehmen Begleiter eines guten Steaks, eignet sich Spitzkohl auch hervorragend. Klassische Bestandteile sind Kohlschnitzel, Karottenstifte, Mayonnaise und mindestens eine Stunde, in der die Zutaten ziehen müssen. Aber das kann man sich sparen, wenn man den fein gehobelten Spitzkohl verwendet. Statt Mayonnaise nehme ich Joghurt für das Dressing. So einen Salat zuzubereiten nimmt, hat man eine gute Küchenreibe, so wenig Zeit in Anspruch wie später das Steak medium rare zu braten – also keine zehn Minuten.

Ganz ähnlich kann man auch Wirsing verwenden: Einfach gut salzen, mit kochendem Wasser überbrühen und zwanzig Minuten ziehen lassen, so wie Tee, dann haben Sie am Ende noch knackige Streifen, die ebenfalls einen herrlichen Salat ergeben.

Spitzkohl eignet sich aber auch zum schnellen Dünsten, das dauert nur acht bis zehn Minuten. Und man kann ihn vielfältig verwenden. Mediterran tomatisiert, dafür schwitzt man ein Klecks Tomatenmark an, bevor der Kohl mit einem guten Schuss Weißwein in den Topf kommt. Genauso gut verträgt das Gemüse Kümmel oder Fenchelsaat. Hacken oder mörsern Sie diese Gewürze und schwitzen Sie sie kurz im Topf an – wie das Tomatenmark, dann entfalten sich die Aromen am besten. Das ist eine Beilage, die nicht nur zu Schweinernem passt, sondern auch gut mit Fisch harmoniert.

Bis zum Beginn der Pflanzzeit Anfang März pausiert Jakob Augstein mit seiner Gärtner-Kolumne. Fragen an den Gärtner oder den Koch sind aber immer willkommen. Stellen Sie sie auf freitag.de/kochodergaertner

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Geschrieben von

Jörn Kabisch

Stellvertretender Chefredakteur des Freitag von 2008 - 2012 und Kolumnist bis 2022, seitdem Wirt im Gasthaus zum Schwan in Castell

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