Als Grass Hermlin getrennt beredt schwiegen

Berlin 61 Mauerbau Anbei dokumentiere ich im Gedenken den offenen"Briefverkehr zwischen Günter Grass, Wolfdietrich Schnurre und Stephan Hermlin jener Tage vom 13.- 17. August 1961

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Es gibt Zeiten , Tage, da kann nur das ergriffene Wort von Autoren, Schriftstellern, Dichtern, Denkern Brücken zwischen zwei gesellschaftspolitischen Welten bauen, die sich unversöhnlich gegenüber stehen.

Der 13. August 1961 war so ein Tag, der Tag des Baus der Berliner Mauer.

Da ergriffen die westdeutschen Schriftsteller Günter Grass und Wolfdietrich Schnurre im Namen ihres Schrifstellerverbandes in einem Offenen Brief mit Datum vom 16. August 1961 an die Schriftsteller der DDR und deren Verband, Zunge zeigend, das öffentliche Wort, in der Sache der deutschen, europäischen Teilung seit spätestens 1948 nach Einführung der westdeutschen D- Mark im Wege einseitiger Währungsreform, die das von den vier Siegermächten

- UdSSR, USA, England, Frankreich -

besetzte Berlin in zwei Währungszonen teilte, dem Scheitern einer "Friedensinitiative" der UdSSR mit der Folge der Berliner Luftbrücke mit ihren unzählig amerikanischen, britischen "Rosinenbombern" von Westdeutschland im 3 Minuten Takt zur versorgung Westberlins, dass durch die Sowjetische Besetzte Zone (SBZ) sehr wohl versorgt hätte werden können und auch wäre, wenn die Fanatsie und der politische Wille dazu gekommen wäre, selber beredt zu schweigen.

Zu schweigen über das Londoner Schuldenabkommen 1953 durch das Deutschland die Hälfte seiner Schulden aus der Folge des reichsdeutschen Angriffskrieges, 1939- 1945, der zum Welt Krieg Zwei mit 53 Staaten ungehindert eskalierte, erließ und Forderungen der bekriegten Länder nach Reparationsforderungen, Entschädigungen für Zwangsarbeit, Infrarstruktur- Zerstörung, Kultur- und Vermögensentzug auf den Tag des Abschlusses eines Friedensvertrages Deutschlands mit seinen Kriegsgegnern verwies.

Dass der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 ein inhumaner Akt zu Lasten der Zivilbevölkerung war und als solcher in die Geschichte einging, ist zunehmend kaum noch unter Historikern bestritten.

War der Berliner Mauerbau aber auch ein Willkürakt, der vom Himmel aus allen Wolken des Fahrt aufnehmenden Kalten Krieges fiel, der gerade dabei war in Südost- Asien mit den USA als Motor seine heissen Kampfzonen zu erweitern?

Das genau war der Berliner Mauerbau mitnichten, sondern sicherte deutsch- deutsch, hüben und drüben, getrennt marschierend, die enen, die DDR baute die Berliner Mauer, die anderen, Westdeutschland lieferte die DM- Währungshüter Argumente, um auf mindestens vierzig Jahre einen Friedensvertrag Deutschlands mit ehemals bekriegten 53 Ländern in der Welt auf den Nimmerleinstag als "Zahltag" zu verschieben.

Was den deutschen Staaten, vrschleiert durch ihre ideolgischen Gegensätze und Spiegelfechtereien, unter Einsatz seiner systemrelevanten Autoren, Schriftsteller, Dichter, Denker, Filmemacher, Künstler, Politiker, entweder aus Ignoranz, Unkenntnis, Verkennung der Wirklichkeit oder einer Mischung aus allem gelang.

Christopher Clark hat in seinem Mammutwerk 2013

"Die Schlafwandler"

bechrieben, wie mondwanderlisch ferngesteuert sogenannte Patrioten an allen Fronten, sich feindlich gegenüber standen, in den Ersten Weltkrieg, 1914- 1918, marschierten, um jetzt

"Geschlagen kehren wir nach Hause, unsere Kinder fechten es besser aus"

1948 über 1961, 1989 bis heute in Fragen eines Friedensvertrages Deutschlands nach dem friedlosen

"Zwei plus Vier- Vertrag" 1990

mit dem Ergebnis der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 ins "Wirklichkeitskoma" zu verfallen, wenn es um das Verhandeln von Reparationsfordrunge, Entschädigungen an Überlebende von Massakern der SS, der Deutschen Wehrmacht, des Holocaust, der Zwangsarbeit, Widerstandskämpfern, Deserteuren, überhaupt von Unrecht geht.

Günter Grass, der heute verstorben ist, der sich in vielerlei Hinsicht u. a. gegen die atomare Aufrüstung aber vor allem große Verdienste um die Annäherung zwischen Polen und Deutschland erworben hat und deshalb 1993 die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Danzig erhielt, reagierte auf den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 so ohne dichterischen Glanz, Wortgewalt, zu der er sich ansonsten gesellschaftlich ansteckend aufzuschwingen wusste, ohne Mut zu historisch- politischer Phantasie und Versöhnung, dass es mich beim Nachdenken erschrickt, weil ich das, zugegeben, auch selber erst seit 1997 so sehe.

Dem Jahr als es Otto Graf Lambsodrff gegen massive Widerstände gelang, einen Entschädigungsfond der deutschen Gesellschaft und Wirtschaft nach Sammelklagen in den USA gegen Deutschland als Nachfolgestaat des Dritten Reiches für Zwangsarbeiter/innen aufzulegen

Die DDR hatte mit der UdSSR und den Warschauer Vertragsstaaten 1958 erfolgreich einen Friedensvertrag abgschliossen.

Wieviel näher hätte da politisch, wenn nicht 1961, so doch spätestens 1990 gelegen, dass nicht die DDR , gemäß Artikel 23 Grundgesetz (GG), sondern die Bundesrepublik Deutschland der DDR beigetreten wäre.

Günter Grass hat zumindest eine Debatte für einen Lastenausgleich im Wege der deutschen Einheit 1990 angeschoben, damit die wirklichen Lasten der Einheit nicht nur durch die einseitige Belastung sozialer Systeme, der Rentenkassen finanziert würden, während Vermögen in privater Hand verschont bleibt,

Darüberhinaus hat sich Günter Grass mit Stpehan Hermlin, Christa Wolf, Stefan Heym, Friedrich Schorlemmer, Gregor Gysi, die PDS/Linkspartei, Teilen von Bündnis90/Die Grünen u. a. für eine neue Verfassung der Deutschen stark gemacht, auch wenn er da nicht nur auf Zustimmung stieß, sondern dafür durchaus Hohn und Spott erntete.

Anbei dokumentiere ich den "Offenen Briefverkehr" zwischen Günter Grass, Wolfdietrich Schnurre in Westberlin und Stephan Hermlin in Ostberlin jener Tage vom 13.- 17. August 1961

Joachim Petrick


file:///C:/Users/Admin/Downloads/cdm-610816-GrassSchnurre.pdf
Dokument:
Offener Brief von Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass an die Mitglieder des Deutschen
Schriftstellerverbandes, 16. August 1961
Offener Brief von Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass an die Mitglieder des
Deutschen Schriftstellerverbandes, 16. August 1961
Abschrift
Berlin, den 16. August 1961
An die Mitglieder
des Deutschen Schriftstellerverbandes
Berlin W 8
Ohne Auftrag und Aussicht auf Erfolg dieses offenen Briefes bitten die Unterzeichneten hiermit alle
Schriftsteller in der DDR, die Tragweite der plötzlichen militärischen Aktion vom 13. August zu bedenken.
Es komme später keiner und sage, er sei immer gegen die gewaltsame Schließung der
Grenzen gewesen, aber man habe ihn nicht zu Wort kommen lassen. Wer den Beruf des Schriftstellers
wählt, muß zu Wort kommen, und sei es nur durch ein lautes Verkünden, er werde am
Sprechen gehindert.
Viele Bürger Ihres Staates halten die DDR nicht mehr für bewohnbar, haben Ihren Staat verlassen
und wollen Ihren Staat verlassen. Diese Massenflucht, die von Ihrer Regierung ohne jeden Beweis
„Menschenhandel“ genannt wird, kann und darf die Aktion vom 13. August weder erklären noch
entschuldigen. Stacheldraht, Maschinenpistole und Panzer sind nicht die Mittel, den Bürgern Ihres
Staates die Zustände in der DDR erträglich zu machen. Nur ein Staat, der der Zustimmung seiner
Bürger nicht mehr sicher ist, versucht sich auf diese Weise zu retten.
Wenn westdeutsche Schriftsteller sich die Aufgabe stellen, gegen das Verbleiben eines Hans
Globke in Amt und Würden zu schreiben; wenn westdeutsche Schriftsteller das geplante Notstandsgesetz
des Innenministers Gerhard Schröder ein undemokratisches Gesetz nennen; wenn
westdeutsche Schriftsteller vor einem autoritären Klerikalismus in der Bundesrepublik warnen,
dann haben Sie genauso die Pflicht, das Unrecht vom 13. August beim Namen zu nennen.
Wir fordern Sie auf, unseren offenen Brief offen zu beantworten, indem Sie entweder die Maß-
nahmen Ihrer Regierung gutheißen oder den Rechtsbruch verurteilen. Es gibt keine „Innere Emigration“,
auch zwischen 1933 und 1945 hat es keine gegeben. Wer schweigt, wird schuldig.
Dieser offene Brief wird dem Deutschen Schriftstellerverband und der Deutschen Akademie der
Künste überreicht werden. Je ein Durchschlag wird den folgenden Zeitungen mit der Bitte um ungekürzte
Veröffentlichung geschickt werden: Neues Deutschland, Sonntag, Tagesspiegel, Welt,
Süddeutsche Zeitung.
Als Ehrenmitglieder und Mitglieder des Vorstands im Deutschen Schriftstellerverband nennen wir
Anna Seghers, Arnold Zweig, Erwin Strittmatter, Ludwig Renn, Ehm Welk, Bruno Apitz, Willi Bredel,
Franz Fühmann, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Wolfgang Kohlhaase, Peter Huchel, Paul
Wiens.
Wir erwarten Ihre Antwort.
Wolfdietrich Schnurre
Günter Grass
[Quelle: Hans Werner Richter (Hg.), Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek 1961, S. 65/66.]

file:///C:/Users/Admin/Downloads/cdm-610817-Hermlin%20(1).pdf
Dokument:
Offener Brief von Stephan Hermlin an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass,
17. August 1961
Offener Brief von Stephan Hermlin an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass,
17. August 1961
Abschrift
Berlin, 17. August 1961
Herrn Wolfdietrich Schnurre
Berlin-Zehlendorf West,
Goethestr. 29
Herrn Günter Grass,
Berlin-Grunewald,
Karlsbader Str. 16
Sie haben gestern, am 16. August 1961, einen offenen Brief an eine Reihe von Schriftstellern in
der Deutschen Demokratischen Republik gerichtet. Da ich zu den von Ihnen genannten Empfängern
gehöre, erlaube ich mir, das Folgende zu bemerken:
Sie wünschen, ich möge „die Tragweite der plötzlichen militärischen Aktion vom 13. August bedenken“.
Ich könnte mit den Worten eines offiziellen Sprechers in Washington darauf erwidern,
daß die Rechte der westlichen Besatzungsmächte in West-Berlin durch die Maßnahmen der Deutschen
Demokratischen Republik nicht angetastet wurden. Dies ist die Antwort, die bereits aus dem
Westen gekommen ist, soweit die Frage der Tragweite aufgeworfen wird. Ich will es mir aber nicht
ganz einfach machen, zumal ich kein Sprecher der amerikanischen Regierung bin.
Sie schrieben: „Wenn westdeutsche Schriftsteller sich die Aufgabe stellen, gegen das Verbleiben
eines Hans Globke zu schreiben; wenn westdeutsche Schriftsteller das geplante Notstandsgesetz
des Innenministers Gerhard Schröder ein undemokratisches Gesetz nennen; wenn westdeutsche
Schriftsteller vor einem autoritären Klerikalismus in der Bundesrepublik warnen, dann haben Sie
genauso die Pflicht, das Unrecht vom 13. August beim Namen zu nennen.“
Ihr Argument, das bei früherer Gelegenheit bereits in ähnlicher Form auftauchte, resultiert aus einem
Trugschluß. Wenn Sie, Schnurre und Grass, gegen Globke und Schröder auftreten, die Sie
regieren, so bin ich keineswegs verpflichtet, gegen meine Regierung aufzutreten, die Globke und
Schröder etwas nachdrücklicher bekämpft als Sie beide es tun – das sei bei allem Respekt vor Ihrer
Zivilcourage gesagt. Vielmehr ist meine Regierung bei dieser ihrer Tätigkeit meiner Zustimmung
sicher. Tatsächlich ist das, was Sie das Unrecht vom 13. August nennen, eine staatliche Aktion
gegen die Globke-Schröder-Politik.
Das Unrecht vom 13. August? Von welchem Unrecht sprechen Sie? Wenn ich Ihre Zeitungen lese
und Ihre Sender höre, könnte man glauben, es sei vor vier Tagen eine große Stadt durch eine
Gewalttat in zwei Teile auseinandergefallen. Da ich aber ein ziemlich gutes Gedächtnis habe und
seit vierzehn Jahren wieder in dieser Stadt lebe, erinnere ich mich, seit Mitte 1948 in einer gespaltenen
Stadt gelebt zu haben, einer Stadt mit zwei Währungen, zwei Bürgermeistern, zwei Stadtverwaltungen,
zweierlei Art von Polizei, zwei Gesellschaftssystemen, in einer Stadt, die beherrscht
[wird] von zwei einander diametral entgegengesetzten Konzeptionen des Lebens. Die Spaltung
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Dokument:
Offener Brief von Stephan Hermlin an Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass,
17. August 1961
Berlins begann Mitte 1948 mit der bekannten Währungsreform. Was am 13. August erfolgte, war
ein logischer Schritt in einer Entwicklung, die nicht von dieser Seite der Stadt eingeleitet wurde.
Ich habe meiner Regierung am 13. August kein Danktelegramm geschickt und ich würde meine
innere Verfassung auch nicht als eine solche „freudige Zustimmung“, wie manche sich auszudrü-
cken belieben, definieren. Wer mich kennt, weiß, daß ich ein Anhänger des Miteinanderlebens bin,
des freien Reisens, des ungehinderten Austausches auf allen Gebieten des menschlichen Lebens,
besonders auf dem Gebiet der Kultur.
Aber ich gebe den Maßnahmen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik meine
uneingeschränkte ernste Zustimmung. Sie hat mit diesen Maßnahmen, wie sich bereits zeigt, den
Antiglobkestaat gefestigt, sie hat einen großen Schritt vorwärts getan zur Errichtung eines Friedensvertrages,
der das dringendste Anliegen ist, weil er allein angetan ist, den gefährlichsten Staat
der Welt, die Bundesrepublik, auf ihrem aggressiven Weg zu bremsen.
Ich erinnere mich noch sehr genau an das ekelerregende Schauspiel einer sogenannten nationalen
Erhebung, das ich am 30. Januar 1933 als ganz junger Mensch am Brandenburger Tor erlebte.
Zehntausende von Hysterikern teilten einander damals tränenüberströmt mit, Deutschland sei endlich
von der Knechtschaft erlöst. Hätten damals am Brandenburger Tor rote Panzer gestanden,
wäre der Marsch nach dem Osten nie angetreten worden, brauchten keine Eichmann-Prozesse
stattzufinden und säßen wir heute zu dritt in einer unzerstörten, ungeteilten Stadt am Alex oder am
Kurfürstendamm im Café.
In Ihrem Brief wird sehr deutlich an die Adressaten appelliert, sie mögen sich nicht vor einer Antwort
drücken, es gäbe angesichts der heutigen Situation kein schweigen, so wenig – wie Sie
schreiben – wie gerade zwischen 1933 und 1945. Offenbar haben Sie doch nicht sehr genau überlegt,
an wen Sie das geschrieben haben, denn Ihre Adressaten, zumindest die Mehrzahl von ihnen,
schwiegen gerade zwischen 1933 und 1945 nicht, im Gegensatz zu so vielen patentierten
Verteidigern der westlichen Freiheit des Jahres 1961.
Ich bin überzeugt, daß es meiner Antwort an Deutlichkeit nicht gebricht, und hoffe, daß wir uns
bald in freundlicheren Stunden wiedersehen werden.
Stephan Hermlin
[Quelle: Hans Werner Richter (Hg.), Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek 1961, S. 66-68.]

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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