Heinrich Albertz 1915- 2015

Gedenken Er habe eine Wende vollzogen, wie kaum jemand sonst, heißt es anlässlich des Gedenkens an den 100 Geburtstag von Heinrich Albertz..Ob das so ganz freiwillig war?

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Er habe eine politische Wende vollzogen, wie kaum jemand sonst, heißt es 1997 im SPIEGEL und nun im Deutschlandradio- Kultur anlässlich des Gedenkens an den 100 Geburtstag von Heinrich Albertz ((* 22. Januar 1915 in Breslau; † 18. Mai 1993 in Bremen). Ob das so ganz freiwillig war?

In einem Artikel im Tagesspiegel 2007 von Uwe Soukup und zuvor war hinter vorgehaltener Hand mehr die Rede davon, Heinrich Albertz sei 1967 von seinen eigenen SPD- Genossen aus dem Regierenden Bürgermeisteramt der Frontstadt Westberlins herausgeschossen worden.

Im Wege eines pflichtgemäßen Staatsbesuches des Schah von Persien, Mohammed Reza Pahlavi, nebst Gattin Farah Diba, in Westberlin am 2. Juni 1967, kam es vor der Deutschen Oper an der Bismarckstraße, gespielt wurde Mozarts "Zauberflöte", zu heftigen Protesten auf einer, angeblich unangemeldeten Demonstration des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS)

- siehe "Geschichte des Westens ", Vom Kalten Krieg bis zum Mauerfall, S. 480) ", Heinrich August Winkler-

gegen das gewalttätig menschenrechtsverachtende Regime im Iran, in dem Folter in Gefängnissen Alltag war.

"Knüppel frei"

hieß der Schlachtruf des damaligen Westberliner Polizeipräsidenten vor Ort mit seinem

"Law and Order"

Hardliner Innensenator im Kampfauftrag- Bunde, samt "Blutwurst- Stategie" .

Die in dicken Daimler- Benz Limousinen herbeigekarrten

"Jubel- Perser"

aus der Fünften Kolonne des persischen Geheimdienstes SAVAK ließen sich das nicht zweimal sagen, zückten ihre Totenschläger, Stahlruten, Dachlatten und droschen, weit ausholend, wahllos, cora Fernsepublikum, ganz ungeniert auf die Demonstranten ein, ohne dass ihnen eine Westberliner Amtsperson Hohen noch Niedrigen Ranges Einhalt gebot

Kurz darauf wurde Benno Ohnesorg (Jahrgang 1943), auf einem Hinterhof in einer Nebenstraße, dem Fiasko gerade entronnen, lässig spazieren gehend, von Westberliner Polizisten selektiert, umringt, festgehalten und von dem in Zivil aus dem Hintergrund erscheinenden Oberkommissar Karl Heinz Kurras (Jahrgang 1927) einer Sondereinheit durch einen aufgesetzten Schuss ermordet.

Der wehrlose Benno Ohnesorg soll, laut SPIEGEL- Recherche nach der Jahrtausendwende, noch flehend vergeblich gerufen haben

"Bitte nicht schießen!"

Da sucht Heinrich Albertz als Regierender Bürgermeister Westberlins seinen telegenen Auftritt und reagiert mit heftigen Vorwürfen, nicht etwa an seinen Innensenator, den Westberliner Polzeipräsidenten, sondern an die Studenten adressiert.

Orginalton Heinrich Albertz mit dem Versuch in den Demonstranten nicht etwa Opfer unverhältnismäßiger Maßnahmen der Polizei zu sehen, sondern diese als Täter vorzuführen, die am Tode des Studenten Benno Ohnesorg alleinige Schiuld hätten.

Das geschah wiederholt zuletzt sechs Tage nach dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg am 8. Juni 1967,

Der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz nannte Benno Ohnesorg:

...das letzte Opfer einer Entwicklung, die von einer extremistischen Minderheit ausgelöst worden ist“.

Und weiter:

"Ich habe schon in der vergangenen Nacht gesagt, dass sich die Demonstranten das traurige Verdienst erworben haben, einen Gast der Bundesrepublik Deutschland beschimpft und beleidigt zu haben. Und ich bleibe dabei: Diese Zwischenfälle gehen auf deren Konto. Sie haben die Auseinandersetzungen verursacht, denen ein Student zum Opfer gefallen ist."

Heinrich Albertz sprach, schreibt Michael Jäger in seinem Freitag Artikel aus dem Jahr 2009

"Spätes Mordopfer"

wie es ihm Bild in den Mund gelegt hatte: „Ihnen genügte der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen.“ Gemeint waren die Studenten."

Wenige Wochen darauf tritt Albertz im September 1967 von seinem Amt zurück und entwickelt sich zu einem Widerständler gegen den unseligen "Radikalenerlass"

-SPIEGEL- Gespräch im Jahr 1978 "Wo soll das hinführen"-

und wird zu einem der angesehensten Fürsprecher der Studenten- , Hausbesetzer- und Friedensbewegung.

Heinrich Albertz wäre heute 100 Jahre alt geworden.

"Heinrich Albertz wird für eine manchmal unbequeme, oft anstoßend hilfreiche Haltung ausgezeichnet, die sich in ihm immer wieder durchsetzte.",

meint der Laudator und langjährige Weggefährte Heinrich Albertzs, Willy Brandt, ziemlich verklausuliert, als Heinrich Albertz 1980 den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD erhält,

"Er hat in erregten Zeiten den bei Politikern seltenen Mut bewiesen, einen Irrtum einzugestehen und dafür von seinem Amt abzutreten."

Das war natürlich nur die halbe Wahrheit, wurde Heinrich Albertz doch wegen seiner "weichen" Tour Richtung Westberliner Studenten von den stalinistisch geprägten Hardliner Genossen in der SPD aus Amt und Würden, ohne Erbamren, waidgemäß am 26. September 1967 abgeschossen.

Auf ihn folgte im Amt der kriegsversehrte Klaus Schütz, der Ausputzer der SPD in scheinbar auswegloser Lage.

Willy Brandt hatte Heinrich Albertz, der zuvor Flüchtlingspastor und Sozialminister in Niedersachsen gewesen war, Mitte der 50er-Jahre nach Westberlin geholt.

Zügig stieg er vom Senatsdirektor zum Innensenator auf und wurde im Dezember 1966, als Nachfolger Willy Brandts, der Vize- Kanzler und Außenminister der ersten Großen Koalition aus CDU/CSU/SPD wurde, zum Regierenden Bürgermeister berufen.


Politisch persönliche Wende

In den Wochen nach der Ermordung Benno Ohnsorges brachte Albertz gleichwohl persönlichen Mut auf, eine tiefgreifend politische Wende zu vollziehen.

Der eigentliche politische Grund für seinen Rücktritt am 26. September 1967 war. die SPD wollte gegen seinen Willen den nach der allgmeinen Gesäßordnung dem rechten Flügel der Partei zugehörigen Kurt Neubauer zum neuen Innensenator machen, weil der vorherige, unhaltbar geworden, zurückgetreten war

Doch Albertz Rücktritt hing eng mit dem Tod Ohnesorgs zusammen, so der Politikberater und ehemalige Asta-Vorsitzende, Jürgen Treulieb.

"Also der parlamentarische Untersuchungsausschuss, den es gegeben hatte, der hatte ja Pflichtverletzung beim Polizeipräsidenten und beim Innensenator festgestellt, die dann auch zurücktreten mussten. Er war von dem Untersuchungsausschuss eigentlich entlastet worden, aber er fühlte sich, was man so nennt, politische Verantwortung zu übernehmen, da fühlte er sich zuständig."

Sich zuständig, verantwortlich fühlen, das lag auch in Heinrich Albertz religiös bestimmter Prägung seiner Famile.

Am 22. Januar 1915 in Breslau geboren, wuchs Heinrich Albertz in einer fromm zu nennenden Familie auf und studierte Theologie.

In der NS-Zeit wurde Albertz wiederholt verhaftet, weil er immer wieder hartnäckig öffentlich für die Ideen und christlichen Sache der Bekennende Kirche warb.

Nach dem Krieg wurde Albertz Flüchtlingspastor in Celle/Niedersachsen, wurde SPD- Mitglied in deren damailger Hochburg Hannover im britischen Sektor, wo der kriegsversehrt Überlebende langer Jahre im KZ, der SPD- Vorsitzende Kurt Schuhmacher mit seiner persönlichen Referentin und Assistentin Annemarie Renger residierte.

Albertz trat im Streit mit der Partei von seinem Amt in Westberlin zurück. Danach lebten seine kirchlichen Kontakte wieder richtig auf, vor allem die Gespräche mit dem damalig Berlin- Brandenbrugischen Kirchensprengel- und Landesbischof der Evangelischen Kirche, Kurt Scharf, dem Theologen Helmut Gollwitzer, einem väterlichen Mentor Rudi Dutschkes, neben dem Philosophen Ernst Bloch, mit Wohnsitz am Berliner Schlachtensee, Walter, Inge Jens waren ihm von nun an über alle Maßen wichtig.

Beide habe ich auf dem deutsch- deutsch Evangelischen Kirchentag in Hamburg 1981 erlebt. Mein Blick auf Heinrich Albertz war weiterhin "nachsichtig nachtragend" überaus kritisch, blieb Heinrich Albertz, trotz oder weg.?. seines gesellschaftlichen Engagegements der Anti- AKW- Bewegung lebenslang seltsam auffällig ohne Worte fern.

Bischof Scharf hatte Albertz geworben, wieder Pfarrer zu werden.

Albertz trat "Zunge zeigend" nicht nur auf Podien von Kirchentagen auf.

Jetzt suchte Albertz Gelegenheit die amerikanische, die NATO- Politik zu kritisieren, was er sich als Regierender Bürgermeister Westberlins so nie getraut hätte, wie er selber betonte:

"Die Schutzmacht verliert Interesse an Berlin, wenn wir sie kritisieren."

Albertz Rede vor 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten

Sein Wandel vom konservativ gestrickten Politiker zum umsichtig kritischen Pfarrer machte Heinrich Albertz in der vorparlamentarischen Opposition, bei Bürgerinitiativen, NGOs zu einem bedeutsamen Ansprechpartner und Mediator

1975 eskortierte Albertz nach der Geiselnahme des Westberliner CDU- Politikers Peter Lorenz durch die "Bewegung 2. Juni" freigepresste Terroristen der RAF

- RAF- Mitglied Horst Mahler entsagte im Hochsicherheitstrakt Moabit dankend seiner Freipressung ab-

in den Südjemen. Sechs Jahre später verhandelte Albertz im Auftrag des Westberliner Senats mit hungerstreikenden Häftlingen.

Nicht zu vergessen, Heinrich Albertz wurde zu einem der prominentest angesagten Sprecher der westdeutschen Friedensbewegung.

Als im Oktober 1981 in Bonn rund 300.000 Menschen gegen die atomare Aufrüstung im Bonner Hofgarten protestierten, war Heinrich Albertz vor Willy Brandt, Ehrhard Eppler, Heinrich Böll, u. a. der erste Redner.

"Dass sich die Interessen der Vereinigten Staaten und der Europäer noch decken, jedermann weiß, dass dies nicht so ist, jedermann weiß, dass nach dem heutigen Stand der Rüstung und der strategischen Pläne Deutschland in seinen beiden Teilen der Schießplatz der Supermächte sein wird."

1986 verließ Albertz Westberlin und zog sich mit seiner Frau in ein Seniorenwohnheim nach Bremen zurück, wo er 1993 verstarb.

1993 erschien auch sein Buch, in dem Gespräche mit ihm nachzulesen sind. Der Titel des Buches klingt wie das Motto seines Lebens in dunkler Zeit:

"Wir dürfen nicht schweigen."

JP

https://www.freitag.de/autoren/michael-jaeger/spates-mordopfer
MICHAEL JÄGER 28.05.2009 | 05:00
Spätes Mordopfer

http://www.tagesspiegel.de/berlin/heinrich-albertz-abgeschossen-von-den-eigenen-genossen/1052134.html
Heinrich Albertz
Abgeschossen von den eigenen Genossen

26.09.2007 00:00 Uhr
Von Uwe Soukup

http://www.spiegel.de/thema/heinrich_albertz/
Heinrich Albertz

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick