Schlager, Hüben & Drüben, wahre volksnahe Nischen Rettungsringe!?

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Schlager, Hüben & Drüben, wahre volksnahe Nischen Rettungsringe für Kinder, Söhne, Töchter der Krisen, Kriege, Katastrophen, Kapitulationen!?

"Ein Schlager von Rang ist mehr als 500 Seiten Kulturkritik."
(schrieb Gottfried Benn 1950).

Jetzt weiß ich wieder, was mir entfallen, was mich ab 1965 mit einigen Anflügen des Gifts der Scham umwölkte, Schlager für meine jüngere schwester, meine Großmutter Emma in Hamburg, Großtante Dora in der Mecklenburg/DDR singen oder auf der Mundharmonika spielen ließ, weil ich verunsichert, diese robuste Art der Präsenz von Gegenwart in Schlagern, Texten, Melodien, Harmonien, angesichts unseres geteilten Landes, angesichts unserer jüngsten Geschichte, des Missbrauchs der Schlagerindutrie in der NS- Zeit für kriegspsycholgische Zwecke, der aufbrechenden Unruhen an den Schulen, Hochschulen, Literatur, Theatern peinlich fand und doch nicht lassen wollte. Immer war ein wenig das Gift der Scham dabei, wenn es mich zu Schlager Gesang und Spiel an „stillen“ Orten zog, z. B. als Hamburger vom Hüben zu Besuch im Drüben der DDR.
Was den Schlager betrifft, war für mich unser geteiltes Land (1949- 89) letzlich meine „Überlebens- Strategie- Rettung“ „Lass dich hinter der Mauer wie ein Sack voller Schlager Gesang fallen, bis die Korken der Einheit der 68er, hüben & drüben, knallen!“, Dann kam endlich nicht Kurt, sondern Udo Lindenberg, den dunklen Faden zum deutschen Schlager, verquer voller „Erich währt am längsten Ehre“, mit seinem Panik- Song „Sonderzug nach Pankow“ zündend wie eine Dynamitzündschnur, unverwüstlich erhellend aufzugreifen.
Das war auch gut so.
Heute ahne ich, dass gerade der Schlager immer, im Sinne von Gottfried Benn, als Überlebender auftritt, vom Überleben kündet“Ich bin da! Ihr auch?“, eben auch als Überlebender der NS- Zeit, der Verbrechens- Zeit im deutschen Namen.
So wie manche schlecht mit Wasser versorgte Stiefmütterchen- Blümchen binnen Stunden unverwüstlich neu erblühen, wenn sie Wasser erhalten, so erblühen unverwüstlich Ideen zu Schlager selbst in schlechten Zeiten, warum nicht dann in besseren Zeiten als Gassenhauer, den Menschen Gesang gegeben, als Futter zu dienen, in wohliger Betriebstemperatur zu verweilen!..

Jetzt verstehe ich mich darauf, den Schlager wie Unkraut Edel- , Heilkraut gleich auf Augenhöhe, Gehörgangshöhe zu achten.
Schlager vergehen nicht, Unkraut vergeht auch nicht.Künden beide doch vom unverwüstlichen Überleben? Überleben wollen?
Vielleicht war uns 68ern, als Kriegs- und Nachkriegskindern, im erfahrenen Verlust bedingungsloser Liebe von Vätern, Müttern durch deren mentale wie real Abwesenheit, Überforderung, die Quelle verschlossen, solcher Gefühle, wie des unverwüstlichen Überleben Könnens und Wollens, versichert zu sein.

Ganz abgesehen davon, dass uns 68ern als Heranwachsende mit wachem Sinn, die jüngste deutsche Geschichte die „Message“ frei Haus bot, dass jedem Überleben, besonders als Deutscher, der Ruch von Komplizenschaft anhaftete.
Da Verbot sich der Schlager „hinterfragt“ als Ausbund an Überlebenswillen und -können schlechthin?
Was für ein Irrtum, ist der Schlager als Gassenfhauer doch der wahre volksnahe Nischen Rettungsring für Kinder, Söhne, Töchter der Krisen, Kriege, Katastrophen, Kapitulationen!?

JP

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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