Snowbirds werden sie genannt: „Schneevögel“. Jedes Jahr brechen in den USA Tausende von Pensionären aus den nördlichen Bundesstaaten und Kanada in den warmen Südwesten auf, um dem Winter an ihren Heimatorten zu entgehen. In den 1930er und 1940er Jahren verbrachten sie die milden Winter in Wohnwagenparks, Pensionen und Golfresorts, um dann rechtzeitig vor Anbruch des unbarmherzigen Sommers in Staaten wie New Mexico, Arizona oder Texas wieder in ihren Domizilen an der Ostküste zu sein. Mit der Erfindung kompakter und günstiger Klimaanlagen Ende der 1940er Jahre wurde es den „Snowbirds“ möglich, notfalls das gesamte Jahr an ihren Zufluchtsorten zu verbringen. In klimatisierten Räumen und Fahrzeugen ließ sich ein Leben im Par
Dürre in Phoenix: Beton muss man nicht gießen
USA Eine Dürreperiode peinigt die Großstadt Phoenix seit Jahren. Ihrem Wachstum kann das aber nichts anhaben

Mindestens sechs Golfplätze liegen hier gleich um die Ecke: Zwischen Sun City West und Sun City Grand, Phoenix, Arizona
Foto: Theodor Barth/Laif
Paradies auch im Sommer ertragen.Im „Sun Belt“ (Sonnengürtel) der USA wuchsen saisonale Urlaubsorte in Windeseile zu Städten heran, aber keiner konnte es dabei von den Superlativen her mit Phoenix aufnehmen. Auf einer Fläche von fast 40 Quadratkilometern breitet sich die Hauptstadt des Staates Arizona mit ihren ausufernden Vorstädten aus, seit 1930 hat sich die Bevölkerung am Rand der Sonora-Wüste verhundertfacht. Mit einer sich stetig verbessernden Air Condition konnten sich die ehemals nomadischen „Schneevögel“ in gigantischen Siedlungen niederlassen, die nicht selten im Umfeld von Golfplätzen entstanden. Reißbrett-Städte wie Sun City boten Platz für Zehntausende und wurden in den Formen von nachempfundenen Kringeln und Kreisen dem trockenen Boden abgerungen. Um den paradiesischen Effekt dieser Ansiedlungen zu verstärken, umgaben sie üppige Grünflächen, die den Zweck erfüllten, Golfanlagen und Dattelpalmen aus Nordafrika einzuhegen.Trend zum KaktusDass der salzige Boden der Gegend eigentlich nicht für eine importierte Vegetation geeignet war, tat nichts zur Sache. Phoenix bekam riesige Grundwasserspeicher, die großzügig für den grünen Luxus vollgepumpt wurden. Aus der einstigen Minenstadt wurde ein vermeintlicher Garten Eden für die weiße Mittel- und Oberschicht aus dem Norden und Mittleren Westen. Anfang der 2000er Jahre lebten im Großraum Phoenix über drei Millionen Menschen, neben der Tourismusindustrie hatten sich besonders High-Tech-Unternehmen mit ihren Angestellten im Ballungsraum niedergelassen.Zeitgleich begann im Westen der USA eine Dürreperiode, die bis heute anhält. Seit mindesten 120 Jahren ist in Arizona und den umliegenden Staaten nicht so wenig Regen gefallen wie in den vergangenen beiden Jahrzehnten – weiter geht die Messung nicht zurück. Mit der Dürre musste ein Umdenken beginnen, zu verschwenderisch wirkten die Springbrunnen und weitläufigen Gärten der Sonnenstadt, Trockenheit grassierte. Hotels, öffentliche Gebäude, nicht zuletzt viele Privateigentümer von Grundstücken entledigten sich des grünen Rasens, der in den USA eigentlich essenzielle Komponente der Vorstadt-Ästhetik ist. Unter dem Namen „Xeriscaping“ wurden an vielen öffentlichen Plätzen durstige Laubbäume und Gräser durch heimische Wüstenpflanzen ersetzt. In den wohlhabenden Vierteln der Metropolregion finden sich nun anstelle des englischen Rasens asketisch wirkende Kakteenpflanzungen, die wie Miniaturbilder naher Wüstengebiete anmuten. Zugleich werden die einst repräsentativen Vorgärten durch spartanischen Beton ersetzt, den man nicht gießen muss.Kalifornien ist zu teuerTrotz der Dürre wächst Phoenix unvermindert weiter, absorbiert pro Jahr Tausende, die sich die steigenden Lebenskosten im Nachbarstaat Kalifornien nicht mehr leisten können. Firmen kommen wegen der Steuervergünstigungen und vergleichsweise niedriger Löhne. So werden letzte Brachflächen zwischen versprengten Wohnresorts nach und nach versiegelt, Straßen und Autobahnen angelegt oder vergrößert, um sie miteinander zu verbinden. Mit jeder Tonne neu gegossenem Beton erwirbt Phoenix mehr Hitzespeicher und wird noch heißer. In den zurückliegenden fünf Jahrzehnten gab es einen Temperaturanstieg um zwei Grad. Bis 2100 könnte der aktuelle sommerliche Durchschnittswert von 40 auf nahezu 50 Grad Celsius hochgehen. Schon jetzt spielt sich das Leben und Arbeiten überwiegend in klimatisierten Räumen ab. Auf den langen, schnurgeraden Boulevards sind Menschen nur hinter den Windschutzscheiben ihrer Fahrzeuge zu sehen. Der Verkehr ist dicht, die Bürgersteige, wo es sie gibt, bleiben leer. Und wer auf der Straße unterwegs ist, tut das zumeist unfreiwillig.In einem heruntergekommenen Teil der Innenstadt traf man lange Zeit viele, die sich einen festen Wohnsitz in der Region nicht mehr leisten konnten. „The Zone“ wurde dieses Quartier genannt, in dem sich Tausende Wohnungslose ein behelfsmäßiges Zuhause eingerichtet hatten. Im Gegensatz zu den sonst privat verwalteten Wohngegenden wurde das ausdrücklich nur geduldet. In leer stehenden Lagerhallen wie auf Bürgersteigen siedelten Menschen in Zelten oder unter provisorischen Planen. Schattenspendende Bäume mussten entbehrt werden, wenn an Sommernachmittagen bei Temperaturen weit über 40 Grad Schutz gesucht wurde.Arme Menschen sterben wegen der HitzeManche Menschen in „The Zone“ trugen kaum Kleidung, nahezu alle Gesichter waren von der gleißenden Sonne und von Erschöpfung gezeichnet. Ein großes Sozialzentrum am Rand des Geländes bot etwas Schatten, aber das half wenig, wenn man bei sengender Hitze in einer Schlange stehen und auf die Ausgabe von Lebensmitteln warten musste. Die Stadt Phoenix hatte nie genug Betten für alle, die ohne Obdach waren. So starben immer wieder Menschen, die der extremen Hitze auf der Straße ausgesetzt waren. Und dort zu landen, war nicht schwer. Eine Herz-OP und ein falscher Versicherungsstatus konnten Hunderttausend Dollar kosten. Wer die nicht hatte, aber zahlen musste, drohte alles zu verlieren.Die Durchschnittsmiete in Phoenix erreicht mittlerweile 1.500 Dollar. Bei einem gesetzlichen Mindestlohn von 13,85 Dollar pro Stunde wächst die Zahl derer, die sich das absolut nicht leisten können. Inzwischen ist „The Zone“ zum illegalen Camp erklärt und geräumt worden.Wasser aus 1.000 Kilometer EntfernungEs fällt schwer, als Besucher und Beobachter durch die flimmernde Hitze dieser Stadt zu fahren und nicht an Hybris oder Arroganz zu denken. Zu absurd wirkt das Spektakel ausufernder Betonflächen und gleichgeschalteter Vorstadtlandschaften mit der sich wiederholenden Monotonie von Kettenrestaurants, Tankstellen und Einkaufszentren. Die ständige Reproduktion der „Developments“ genannten Planquartiere hinter Mauern hat etwas Unersättliches und ist an den Namen abzulesen: Sun City West, Sun City Grand, Northwest Ranch, Ashton Ranch, Royal Ranch.Auf die vermeintliche Tollkühnheit ihrer Stadt angesprochen, winken informierte Bewohner ab, die wissen, dass es nicht an Projekten mangelt, damit Phoenix trotz allem weiterwachsen kann. Die Wasserversorgung beispielsweise wird nicht allein durch unterirdische Speicher garantiert, es gibt auch das Central Arizona Project, bei dem über einen Aquädukt Wasser aus dem tausend Kilometer entfernten Colorado River durch die Wüste geleitet werden soll. Phoenix wäre damit besser gegen Dürre und Durst gewappnet als viele andere Großstädte in den USA.Placeholder infobox-1So gilt die Devise, sich nicht aus Angst vor der Gegenwart um die Zukunft zu bringen, solange für die Übel des Klimawandels machbare technologische Lösungen gefunden werden. Solange die Klimaanlagen in Fahrzeugen, Geschäften und Wohnhäusern laufen, sind die Bewohner der Stadt überzeugt, sich das Schlimmste vom Leibe halten zu können. Durch getönte Windschutzscheiben und Sonnenbrillen scheint die Sonne so ungefährlich und verheißungsvoll, wie sie das mutmaßlich immer war. Wer sich die notwendige Ausstattung leisten kann, braucht nichts zu fürchten. Ein paar Straßen von den verlassenen Elendsquartieren der „Zone“ entfernt, wird der Außenbereich eines Restaurants mit großen Wasserzerstäubern gekühlt.