Bundesanwaltschaft gegen #Pressefreiheit?

Landesverrat Was hat er sich nur dabei gedacht? Chefermittler Harald Range will deutsche Journalisten wegen Landesverrrat anklagen

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Es scheint beinahe so, als wolle der Generalbundesanwalt Harald Range in seiner Amtszeit noch einmal historisches Gebiet betreten und seine Abdrücke im Schmutz der Geschichte hinterlassen. Über 50 Jahre ist es her, dass die Spiegel Affäre durch die deutsche Politik und die Medienlandschaft tobte. Damals herrschte der kalte Krieg, und der Spiegel hatte es gewagt, die Effektivität der Landesverteidigung in Frage zu stellen. Als die Redaktion des Magazins am 26. Oktober von der Polizei durchsucht und besetzt wurde, bedeutete dies einen Wendepunkt für die deutsche Öffentlichkeit. Politik und Zivilbevölkerung waren das erste Mal konkret mit der Frage konfrontiert, wie sie die junge Bundesrepublikanische Gesellschaft in Hinblick auf ihre freiheitlichen Grundsätze, insbesondere der Pressefreiheit, gestalten wollen. Der Vorwurf lautete auf Landesverrat, die Reaktionen darauf waren vehement. Die Zivilbevölkerung entschied sich, gegen die Gewohnheiten aus der Vergangenheit zu handeln und die Pressefreiheit gegen die Regierungsmacht verteidigen zu wollen.

Vor allem ein Angriff auf das Whistleblowing

Wenn sich seit heute zwei Autoren des Portals Netzpolitik.org ebenfalls wieder mit Ermittlungen wegen Landesverrats konfrontiert sehen, darf allerdings nicht der Fehler gemacht werden, diesen Fall im gleichen Licht wie die Affäre vor 50 Jahren zu betrachten. Heute hat sich die Pressefreiheit bereits als ein hohes Gut in der Gesellschaft etabliert und auch wenn wieder Ressentiments gegen die russische Bedrohung scharf gemacht werden, ist das kein Vergleich wert zu der militärischen Aufrüstung Anfang der 60er Jahre. Zudem war der “Verstoß” des Spiegels ein ganz anderer. Schliesslich war es ihr eigentliches Interesse, die Verteidigung des Landes sicherzustellen und der Konflikt entzündete sich vor allem an den persönlichen Beleidigungsgefühlen eines Franz Josef Strauß. Im Gegensatz zu damals steht heute nicht so sehr die Pressefreiheit, sondern der Schutz des Whistleblowings im Kreuzfeuer der Ermittlungen.

Was ist sonst zu erwarten? Werden sich Regierungsmitglieder (eine Stellungnahme von Angela Merkel ist sowieso nicht zu erwarten) vor die Mikrofone stellen und Erklärungen abgeben, dass in bestimmten Fällen die Pressefreiheit zurücktreten muss? Werden sie es befürworten, wenn Vertreter der Presse wegen ihrer Berichte für mindestens ein Jahr ins Gefängnis gesteckt werden? Oder wird Netzpolitik.org öffentlich nahegelegt werden, seine Aktivitäten zurückzufahren?

Nein, so wie es bisher aussieht, werden der Blog und die beiden Angeklagten gestärkt und angereichert mit neuen Heldenmythen aus dieser Geschichte hervorgehen. Für die kostenlose PR kann sich die Plattform beim Harald Range nur bedanken. Einer der ersten Kommentare auf Netzpolitik.org zu dem aktuellen Bericht kam von einer Person mit einem bezeichnenden Pseudonym:

Barbara Streisand: Danke, gern Geschehen!

Der Streisand-Effekt beschreibt ein Phänomen, dass nach der amerikanischen Musikerin benannt wurde. Diese hatte einen Fotografen wegen der Öffentlichmachung einer Aufnahme ihres Anwesens verklagen wollen. Aber erst durch diese Anklage wurde die Fotografie und somit der Standort ihres Anwesens überhaupt bekannt.

Für den Inhalt der Dokumente wurde sich bisher nicht besonders Interessiert

Könnte das den Artikeln, die nun Gegenstand der Anklage sind auch passieren? Dass sie endlich thematisiert, kritisch betrachtet und bewertet werden? Es wäre zu wünschen, ist aber ebenfalls nicht hochwahrscheinlich. Auch als in den letzten Wochen schon der Verdacht einer Ermittlung gegen eine Person im Verfassugschutz wegen der Weitergabe der Dokumente aufkam, interessierten sich die Medien vor allem für die Jagd des Generalbundesanwalts auf Whistleblower. Der Inhalt der Dokumente wurde in den wenigsten Fällen erwähnt, geschweige denn wirklich zur Kenntnis genommen oder analysiert.

Es ist wirklich ein Witz der Geschichte, dass die geleakten Papiere zwar hochbrisant waren, aber nie die entsprechende Aufmerksamkeit durch weitere Medien erfahren haben. Selbst dann nicht, als der Verfassungschutz durch seine Anzeige die Echtheit bestätigte und vermutlich auch jetzt nicht, wo sich die Justiz sich wegen der Bekanntmachung dieser Unterlagen zu einem fatalen Schritt entschlossen hat.

Richtig kurios wird es, wenn man den Umgang mit den Papieren, mit ihrem Inhalt vergleicht. Es geht darin um Metadaten, deren Sammlung und Analyse der Verfassungsschutz massiv ausweiten will. Ähnlich Meta-mäßig werden also die geheimen Unterlagen selbst behandelt, der Inhalt interessiert nicht, nur wer sie wann wem übergeben hat.

Welche Rolle spielt der Generalbundesanwalt?

Wer die Unterlagen aus dem Verfassungsschutz Ressort an die Öffentlichkeit weitergegeben hat, wird vermutlich im Hauptinteresse der Untersuchungen durch die Bundesanwaltschaft liegen. Schon die Andeutungen, dass im Rahmen der illegalen Weitergabe der Dokumente ermittelt werden könnte, hatte heftige Empörung hervorgerufen. Dabei war bisher nur von einer Anzeige durch das Amt für Verfassungschutz die Rede gewesen. Es stellt sich natürlich die Frage, ob eine solche Anzeige nicht auch als legitimer Versuch betrachtet werden dürfte, das eigene Leck zu finden. Natürlich entspricht es nicht den Vorstellungen eines Amtes, wenn seine Mitarbeiter-innen als geheim eingestufte Unterlagen weitergeben. Die Frage, ob der Tatbestand strafrechtlich relevant ist und in Hinblick auf das Interesse der Öffentlichkeit an den Unterlagen verfolgt werden muss, hätte aber schon in der Bundesanwaltschaft geklärt werden müssen.

Dass Harald Range nun aber gar soweit geht, nicht nur nach der Person Unbekannt zu suchen, sondern die an der Enthüllung beteiligten Journalisten der Mittäterschaft für einen Landesverrat verantwortlich zu machen, scheint jeder Vernunft zu entbehren. Noch im Oktober 2014, als das Kanzleramt bereits einmal gewarnt hatte bei weiteren Geheimnisverstößen Strafanzeige zu erheben, kommentierte Markus Beckedahl:

Aber wenn gegen Unbekannt ermittelt wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir auch in die Ermittlungen fallen, um zu schauen, mit welchen Whistleblowern wir kommunizieren.

Damals kam noch nicht der Gedanke auf, dass das Kanzerlamt tatsächlich eine Anzeige gegen die Medienvertreter selbst erheben würde, es gab immer nur die Befürchtungen im Rahmen der Untersuchungen auch ins Kreuzfeuer zu geraten. Nun hat Generalbundesanwalt Harald Range aber genau dieses Fass aufgemacht und Ermittlungen wegen Landesverrats gegen zwei Journalisten eingeleitet. Auch wenn dies noch keine Anklage bedeutet, hat er damit schon einen größeren Schritt gewagt als in den letzten zwei Jahren bei dem Verfahren im Rahmen der NSA-Affäre. Dort war es nur zu einer “Prüfung” gekommen.

Nachdem er sich vielfacher Kritik wegen Verschleppung der Strafanzeige gegen die Bundesregierung und der Einstellung der Untersuchungen zum abgehörten Kanzlerinnen-Telefon ausgesetzt sah, erkärte sich Range in einem Interview mit dem Spiegel. Die bisher veröffentlichten Dokumente seien nicht ausreichend für einen Ermittlungsverdacht, “als Strafverfolger brauche ich Fakten”. Constanze Kurz kommentierte daraufhin passend:

Dafür, dass er im selben Interview gleich zu Anfang einräumt, keine vertraulichen Vorgänge mehr am Telefon zu besprechen, reichen die Fakten aber wohl.

Als das Interview stattfand, muss das aktuelle Schreiben an die Netzpolitik-Redaktion bereits auf seinem Tisch gelegen haben. Obwohl seine eigene Unterschrift auf dem Dokument fehlt, trägt es doch seinen Briefkopf. Was hat sich Range also dabei gedacht, ein so tiefes Loch auszuheben, in das er Gefahr laufen könnte selbst hineinzustürzen? Der Generalbundesanwalt ist dem Justizminister gegenüber weisungsgebunden. Ob Heiko Maas selbst interveniert hat, ist noch nicht ersichtlich. Bisher kann Range die Gemüter noch damit beruhigen, dass er erst einmal nur Ermittlungen aufgenommen hat. Wahrscheinlich wird es nicht zu einer Anklage kommen. Wäre das Ganze damit also mehr eine Warnung an zukünftige Whistleblower und die Medien, die geleakte Dokumente veröffentlichen? Die Solidaritätsbekundungen, die Netzpolitik.org gerade auf allen digital-sozialen Kanälen entgegenströmen, lassen bezweifeln, dass die Ermittlung als Warnung ernst genommen werden. Vielmehr muss sich die Bundesanwaltschaft nun noch viel mehr dem Vorwurf aussetzen, im Fall der Zusammenarbeit zwischen NSA und BND noch nicht konkret ermittelt zu haben.

Whistleblowerschutz, Pressefreiheit oder #Landesverrat

Range muss sich bewusst gewesen sein, welche Wellen es schlagen würde, wenn er den Vorwurf des Landesverrats in Richtung der Pressevertreter werfen würde. Zwar beharken sich die einzelnen Vertreter gegenseitig oft argwöhnisch, und die Verflechtungen von Medien und Politik in Deutschland sind legendär. Wenn aber nur der Geruch einer möglichen Einschränkung der Pressefreiheit im Raum steht, dürfte auch in konservativen Medienkreisen kein Verständnis für Ranges Ermittlungen zu erwarten sein. Vielleicht hat der Chefermittler auch nur die Schlagkraft eines solchen Wortes unterschätzt. Der Hashtag #Landesverrat führte neben der Kontonummer von Netzpolitik.org heute die Twitter Trends an. Es ist zu erwarten, dass die Macher-innen des Blogs diesen Ritterschlag bis aufs letzte ausschlachten und quskosten werden. Schon jetzt hängt der Brief des Generalbundesanwalts eingerahmt an der Redaktionswand. Im Oktober soll das zweite Mal eine eigene Konferenz stattfinden, auf der einem der Slogan wahrscheinlich in vielfacher Form begegnen wird.

Aber auch wenn Netzpolitik.org mit stolz geschwellterBrust, bekannter als je zuvor und mit einem gut gefüllten Spendenkonto aus der Sache herausgehen sollte, die Bestrebungen, das Whistleblowing zu kriminalisieren, sind nicht zu verachten. Es ist fraglich, ob die gesellschaftliche Stimmung es wie 1962 schaffen könnte, diesmal nicht (nur) die Pressefreiheit zu festigen, sondern auch den Schutz des Whistleblowers als ein hohes Gut in der Gesellschaft zu etablieren. Empörungen haben heutzutage eine kurze Halbwertszeit, die Komplexität des Lebens verwäscht alle Bestrebungen, für Ziele vehement einzutreten. Die Frage des Whistleblowing-Schutzes wird vor allem dann wieder brandaktuell werden, wenn tatsächliche eine Person mit dem Verdacht belegt werden sollte, verantwortlich für die Weitergabe der Dokumente zu sein. Auch wenn dieser potenzielle Fall auf den ersten Blick nicht so brisant erscheinen mag, wird es von großer Bedeutung sein, wie die deutsche Gesellschaft und Politik mit einer eigenen Chelsea Manning umgehen werden. Und spätestens dann wird man sich mit der gesellschaftlichen Bedeutung der geleakten Unterlagen auseinandersetzen müssen.

Update: Der Generalbundesanwalt hat nach Bericht der FAZ die Ermittlungen aufgrund der großen Kritik vorerst gestoppt

http://www.faz.net/aktuell/politik/generalbundesanwalt-stoppt-ermittlungen-gegen-netzpolitik-13728725.html

Update: Logbuch Netzpolitik widmet seinen Podcast heute natürlich auch dem Landesverrat, Gespräch mit Markus Beckedahl und Andre Meister

Logbuch Netzpolitik redet mit Andre Meister und Markus Beckedahl: http://logbuch-netzpolitik.de/lnp149-landesverrat

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