Andre Meister und Markus Beckedahl von Netzpolitik.org können sich seit Donnerstag nicht nur mit dem Titel als "Landesverräter" rühmen, auch aus einer ganz anderen Richtung wird ihnen nun Anerkennung zuteil. Seitdem sie offiziell dokumentiert Opfer des staatlichen Angriffs auf die Pressefreiheit sind, werden sie nunmehr akribisch als Journalisten verteidigt, seltener nur noch als Blogger.
International geht die Presselandschaft in Verteidigungsstellung, eine Anklage wegen Landesverrat gegen Journalisten? Das ist doch so 1962, Mittelalter, ein Angriff auf unsere freiheitlichen Grundrechte. Das ist natürlich richtig, aber erstaunlich ist auch welche Aufwertung die schon seit Jahren laufende Arbeit der Netzpolitik-Redaktion nun erfährt. Die Unterlagen aus dem Amt für Verfassungsschutz, die jetzt zum Gegenstand der Ermittlungen wurden, waren bei weitem nicht die einzigen geheimen Dokumente auf Netzpolitik.org. Bisher haben sich die Journalist-innen der verschiedensten Medienanstalten bei den Erkenntnissen aus den Recherchen des Portals bedient, die Autor-innen waren für sie aber immer nur Blogger.
Das mag für die Netzpolitik Redaktion keine Abwertung sein, schliesslich bezeichnen sie sich selbst als Blog. Aus der Sicht von hauptberuflichen Journalist-innen der, sogenannten, etablierten Medien ist damit allerdings eine andere Wertigkeit verbunden. Vor dem gestrigen Tag hätten nur wenige von ihnen die beiden Blogger als Journalisten bezeichnet. Vielleicht gar nicht böswillig, aber so ist nun mal die Ordnung die noch versucht wird hochzuhalten, in einer vollständig umgekrempelten Medienwelt. Warum also werden sie jetzt so vermehrt Journalisten gerufen?
Vielleicht ist es der Versuch, auch teilzuhaben an dem Ritterschlag durch die Ermittlungen des Generalbundesanwalts. Landesverrat, das klingt eigentlich nicht bedrohlich, aber aufregend. Welche-r Journalist-in würde sich dieses Label nicht gerne ans Revers heften? Gerne wird betont, wie hier auf Standard.at:
Auf Landesverrat steht mindestens ein Jahr Haft. Man kann sich ausmalen, unter welchem Druck die Journalisten von netzpolitik.org nun stehen.
Aus der Netzpolitik Redaktion selbst hört sich das allerdings ganz anders an, Linus Neumann twittert fröhlich
Erstmal Anstoßen in der @netzpolitik Redaktion.
Die Medienberichte versuchen eine kollektive Gefahr aufzubauen derer sie sich aussetzen um damit auch ihre Rolle in der Gesellschaft zu betonen. Sie schaffen ein wir das sich wehren muss und in diesem wir sind die Blogger nun auch Journalisten. Daran kann man auch ein wenig den Wunsch ablesen, so zu sein wie diese Blogger, die frei berichten können ohne eine regide Chefredaktion im Rücken und den Mut haben zu verwenden und zu veröffentlichen was sie bekommen.
Die Presse muss ihren Blick schärfen und ausweiten
Allerdings besteht die Gefahr, dass diese Journalist-innen eine ganz andere Bedrohung aus den Augen verlieren. Die Ermittlungen gegen Andre Meister und Markus Beckedahl werden mit Sicherheit eingestellt [update: wurden sie nun schon, nach knapp 24h], aber der Fokus des Generalbundesanwalts wird nicht auf dem vermeintlichen Versuch liegen die Pressefreiheit einzuschränken. Er will Whistleblower aufspüren und potenzielle Nachahmerinnen abschrecken. Die dritte Person Unbekannt wird auch weiter der Gefahr einer Anklage ausgesetzt sein.
Das bedeutet für die verantwortlichen Pressevertreter-innen, sich nicht zu sehr auf den schon erfolgreichen Kampf der direkten Pressefreiheit zu stürzen, nur weil sie selbst davon unmittelbar betroffen sein könnten. Sondern auch den Blick weiter zu schärfen, aufmerksam zu sein dafür, wem wir die Enthüllungen in erster Linie verdanken, wegen derer nun gegen Journalisten ermittelt wird. Auch wenn diese Ermittlungen jetzt vorerst eingestellt wurden, ist die Person im Verfassungsschutz, von der die Unterlagen stammen noch weiter in Gefahr. Die Presse sollte sich nicht nur in Aufruhr erheben, wenn gar stümperhaften Versuche von Einflussnahme auf Berichterstattungen offensichtlich werden. Sie sollte es auch als ihre Aufgabe verstehen, die Verflechtungen von Politikerinnen und Vertretern aus ihren eigenen Reihen offen anzusprechen. Und vor allem muss sie sich vehement für diejenigen einsetzen, die persönliche Gefahren und einen Einschnitt in ihre Lebenswelt auf sich nehmen um Missstände ans Licht zu bringen.
Der Reporter geht nach seinem Bericht nach Hause und wird am nächsten Tag auch noch einen Arbeitsplatz haben. Die Whistleblowerin kann sich im Gefängnis wiederfinden wie Chelsea Manning, oder im Exil wie Edward Snowden. Oder auch nur den Beruf verlieren, sich den Anfeindungen von Kolleg-innen aussetzen müssen und den Verlust eines geregelten Lebens riskieren. Es gilt eine Lobby für den Whistleblowerschutz zu schaffen und dabei stehen vor allem auch diejenigen in Verantwortung, die direkt von ihrem Mut und Grenzüberwindung profitieren, die Presse und ihre Vertreter-innen. Pressefreiheit fängt nicht erst beim Journalismus an, wirkliche Pressefreiheit muss sich auch für Whistleblowerschutz einsetzen.
Kommentare 3
In diesem Zusammenhang sei an die Seilschaften aus Wirtschaft, Politik und MainstreamMedien erinnert
Uwe Krüger: Meinungsmacht
Die neuesten Zahlen aus der Medienlandschaft zeigen, daß die Auflagen weiter zurück gehen, die wirtschaftliche Basis also schwindet. Das ist einerseits eine Folge des Internets, andererseits aber auch eine Folge des immer noch nicht richtig entwickelten und an das "NEULAND" angepaßten Geschäftsmodells der Medien.
Insbesondere Die Mainstreammedien verlassen sich noch viel zu sehr auf ihr bisher bewährtes Modell der Politiknähe, statt eine wirkliche Kontrolle als 4. Gewalt zu sein.
Bezahlt werden die Medien von ihren Kunden und die werden künftig mehr darauf achten, welche Lügen ihnen aufgetischt werden.
Gefahr in Verzug! Range und Maaßen sofort entlassen!
Es ist schon makaber. Da werden mit Wissen und Duldung der deutschen Regierung deutsche Bürger, Institutionen und Unternehmen jahrelang millionenfach u.a. von der NSA ausgespäht. Ein wirklicher Abgrund von Landesverrat tut sich auf. Und was macht unsere NSA-Versteherin Merkel?
Sie predigt Wein - sprich: Aufklärung - und praktiziert Wasser - sprich: Vertuschung - frei nach dem Motto: nichts sehen, nichts hören, nichts reden. Stattdessen schwingen sich die zuständigen Behörden jetzt zu einem aufgeblasenen Riesen auf, um an einem tapferen, die Bürgerrechte verteidigenden Zwergmedium ein Exempel zu statuieren. Pfui! Pfui! Pfui! Würdet Ihr doch gegenüber der NSA nicht verzwergen! Und passt auf, dass Euch nicht plötzlich die Luft ausgeht! Der Poolschlitzer von Münnerstadt soll schon unterwegs sein!In diesem Sinne:"Yes, we scan."http://youtu.be/v1kEKFu6PkY"Stellt Euch vor, wir lauschen gerne: Goethe, Kant und auch Beethoven"!http://youtu.be/pcc6MbYyoM4"Wir werden nicht abgehört. Die NSA achtet Recht und Gesetz."http://youtu.be/_a_hz2Uw34Y
nochmal eine lesenswerte Zusammenfassung auf Metronaut.de
https://www.metronaut.de/2015/08/chronik-der-netzpolitik-affaere/