Was ich lernte von 1x quer durch Schweiz gehn

Reisen und zwar die meiste Zeit stumm, zu Fuß und ohne Geld ...

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Was ich lernte von 1x quer durch Schweiz gehn

Bild: Fabrice Coffrini/Getty Images

Seit dem 14. August bin ich in der Schweiz. Grenzübertritt bei Waldshut-Tiengen, erste Nacht auf Schweizer Boden mit Blick aufs Kernkraftwerk Leibstadt.

Da war ich schon 10 Tage unterwegs, von Tübingen über Calw und Baden-Baden durch den Schwarzwald, wo ich zweimal in einem Hochsitz schlief und einmal in einem Pfarrheim.

Ich dachte, die Schweiz ist ein verlängertes Baden-Württemberg mit krasserer Sprache und höheren Hügeln. Ich hatte mich getäuscht.

Noch bin ich auch nicht ganz durch mit den Schweizern, für ein richtiges Fazit ist es also zu früh. Meine Elefanten stehen noch im Wallis, auf dem Campingplatz Ulrichen, nachdem ich ein paar Pässe, einen Diebstahl, eine Drohung und einen Höhenkoller hinter mich gebracht habe. Morgen geht es den Nufenenpass hoch und ins Tessin - erst wenn ich dann in Italien bin, kann ich es mir eigentlich anmaßen, über ALLE Schweizerinnen und Schweizer zu urteilen - und über ein gesamtes Land, dass ich auf Schusters Rappen und seit drei Tagen ohne Franken kennenlerne.

Was ich lernte von eine Woche quer durch die Schweiz

1. Sprechen ist nicht nötig

Selbst als ich kein Geld mehr hatte, gelang es mir ziemlich schnell, mit den nötigen Gesten anzudeuten, dass ich Hunger habe oder einen Platz zum Schlafen benötige. Die Schweizer sind nicht gerade geschwätzig, und sie schätzen es, wenn man sie nicht vollquatscht. Vielleicht ahnen sie aber auch nur, dass sie meinen Dialekt nicht verstehen werden, also sind sie froh, wenn ich die Klappe halte.

Selbst die Frau, mit der ich 2 Tage in Luzern verbracht habe, eine waschechte Nidwalderin, hat mit mir weniger Worte gewechselt als der Cafébesitzer in Tübingen, wo ich vor Jahren zweimal gefrühtückt hatte.

2. Geld wird überschätzt

Erstens sind die Preise so krass hoch, dass jeder Schweizer weiß, dass niemand auf der Welt, der hier kein Konto hat, hier überleben wird, wenn sie sich nicht persönlich um ihn kümmern. Ich konnte in einem historischen Berghotel unterkommen - ohne Geld. Zwar nur im Keller, aber immerhin. Ich konnte auf einer Alm unterkommen - ohne Geld. Zwar ohne WLAN, aber immerhin. Ich kriege nicht nur altes Brot, sondern auch frisches, wenn ich besonders hungrig dreinschaue, was eigentlich immer ist. Es sei denn, eine Gruppe italienischer Wanderer lädt mich auf einen Teller Pasta nach Innertkirchen ein ...

3. Die Berge werden nicht überschätzt!

Also von wegen verlängerter Schwarzwald. Alles was nicht Himalaya ist, hat mich früher nicht beeindruckt - bis ich es mit den eigenen Füßen und 15-Kilo-Rucksack bezwingen musste. Die Luft, die Aussicht, die Wälder, die Berge, die Murmeltiere - das ist zwar ziemlich geil und süß, kann aber einem echt auch den Atem rauben, bis es gefährlich wird. Zweimal habe ich das Wetter falsch eingeschätzt, was in Tübingen kein Problem ist - hier führt es dazu, dass man schon geduscht hat, bevor man im Berghotel angekommen ist. Außerdem kann man auch im August nicht überall zelten, und dann ist es gut, dem Chef schöne Augen zu machen. Wer's kann ...

4. Selbst die Diebstähle sind relativ nett

In Ennetbaden bin ich bestohlen worden - 20 Franken waren weg. Ich habe die Tat bemerkt und den Dieb in flagranti erwischt. Es war in einem Schnellrestaurant, wo ich offenbar zu vertieft in mein Manuskript oder das Menu war, sodass er die Gelegenheit und meinen Geldbeutel ergriff - den ich seitdem eng am Körper trage. Ich bin ihm hinterher, raus aus dem Resto und auf der Straße gab es dann ein kleines Stelldichein, ein Rendezvous, wie die Schweizer mit Betonung auf der ersten Silbe sagen.

(Das wundert mich sowieso: Kein deutscher Volksstamm ist näher dran an der Frankophonie als die Eidgenossen, aber alle betonen sie die Wörter falsch! Mérci, Rétour, Réndezvous ...)

Und da gab mir der Dieb sogar meinen Geldbeutel zurück, ein halbes Lächeln im Gesicht und die Faust weit ausgestreckt, damit ich ihm nicht zu nahe komme. Die 20 Franken waren raus, wie ich hinterher feststellte, aber sonst war alles, Ausweise, Karten etc., noch drin.

5. Man muss pünktlich sein, aber man kann sich Zeit lassen dabei

In Luzern erlebte ich, dass man zum Fertigmachen für einen Restaurantbesuch auch mal 2 Stunden brauchen kann - sogar eine Nidwalderin kann so lange brauchen, ohne sich unschweizerisch zu fühlen. Aber wehe, man kommt eine Minute zu spät ins Restaurant - wenn die Küche geschlossen hat, hat sie geschlossen. Da können auch 4 hungry eyes nichts dran ändern:

Dort drüben hat es einen Drive In, auf Wiederluege!

Morgen also der Tessin, mal sehen, ob's hier schon italienischer zugeht und man auch nach 22 Uhr noch zu essen bekommt ...

Ein Auszug aus meinen Betrachtungen über die Schweiz und den Schwarzwald bei meiner Reise #ontheroad seit dem 4. August 2016.

Mehr dazu auf josefine-engel.com

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