Achten Sie bitte den öffentlichen Raum

BVG Eine Kampagne bestätigt die fortschreitende Tendenz, öffentliche Güter zu Werbezwecken zu missbrauchen
Ausgabe 05/2015

Wie bitte? In der Berliner U-Bahnlinie 2 ist ab jetzt Konzentration gefragt. Die altbekannte Frauenstimme ist beurlaubt, bis auf Weiteres kündigt Marius Müller-Westernhagen die Station Theodor-Heuss-Platz an. „Mach mal ’ne Ansage – Gib einer Berliner U-Bahnstation deine Stimme!“ heißt die Kampagne des Radiosenders 88,8 Radio Berlin und der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), in der jede Station der Linie 2 von einem prominenten (mehr oder weniger) Berliner angekündigt wird.

„Diese Aktion ist eine Liebeserklärung an Berlin und seine Bewohner“, sagt BVG-Chefin Sigrid Nikutta. Das Problem bei solchen Erklärungen: Der Angebetete kann sich wehren. Bei unerwünschten Verehrern mag ein deutliches Wort helfen. Im öffentlichen Raum sind die Menschen der penetranten Imagepolitur der Hauptstadt schutzlos ausgeliefert. Armes Berlin. Und arme Bewohner.

Radio Berlin, ein Sender des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), wirbt mit der Aktion um Hörer. Die BVG hofft ihrerseits, die U-Bahn-Linie attraktiver zu machen. Drängt sich die Frage auf: Wozu? Machen etwa die eigenen Busse der U2 Konkurrenz? Es ist nicht das erste Mal, dass das landeseigene Unternehmen mit seiner Werbung danebenliegt. Zuletzt forderte die BVG ihre Kunden auf, unter #weilwirdichlieben ihre schönsten Momente im Nahverkehr zu posten. Auf Twitter hagelte es Kommentare über unfreundliche Busfahrer.

Einen besonders faden Beigeschmack bekommen die Liebeserklärungen der städtischen Unternehmen dann, wenn sie von den Bezirzungsexperten aus der Privatwirtschaft unterstützt werden. Der öffentliche Raum wird von ihnen okkupiert, Gemeingut kommerzialisiert. Öffentliche Schilder weisen den Weg nicht nur zur Münchner Allianz-Arena.

Nun haben sich Frank Zander oder Veronica Ferres die U2 ja nicht gekauft. Die Kampagne bestätigt jedoch die fortschreitende Tendenz, öffentliche Güter zu Werbezwecken zu missbrauchen. Über den Spaß an Marketingexperimenten scheinen die Landesunternehmen gelegentlich ihren Versorgungs- oder – im Falle des Radios – Bildungsauftrag zu vergessen.

Wenn der RBB diesen Auftrag in Gottes Namen in der U-Bahn wahrnehmen möchte, könnte er ja einmal den Bahnhof Mohrenstraße problematisieren, wie es von postkolonialen Organisationen längst gefordert wird. Anstatt ausgerechnet den durch Blackfacing-Vorwürfe belasteten Dieter Hallervorden diesen unpassenden Stationsnamen ansagen zu lassen.

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