Wie bitte? In der Berliner U-Bahnlinie 2 ist ab jetzt Konzentration gefragt. Die altbekannte Frauenstimme ist beurlaubt, bis auf Weiteres kündigt Marius Müller-Westernhagen die Station Theodor-Heuss-Platz an. „Mach mal ’ne Ansage – Gib einer Berliner U-Bahnstation deine Stimme!“ heißt die Kampagne des Radiosenders 88,8 Radio Berlin und der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), in der jede Station der Linie 2 von einem prominenten (mehr oder weniger) Berliner angekündigt wird.
„Diese Aktion ist eine Liebeserklärung an Berlin und seine Bewohner“, sagt BVG-Chefin Sigrid Nikutta. Das Problem bei solchen Erklärungen: Der Angebetete kann sich wehren. Bei unerwünschten Verehrern mag ein deutliches Wort helfen. Im öffentlichen Raum sind die Menschen der penetranten Imagepolitur der Hauptstadt schutzlos ausgeliefert. Armes Berlin. Und arme Bewohner.
Radio Berlin, ein Sender des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), wirbt mit der Aktion um Hörer. Die BVG hofft ihrerseits, die U-Bahn-Linie attraktiver zu machen. Drängt sich die Frage auf: Wozu? Machen etwa die eigenen Busse der U2 Konkurrenz? Es ist nicht das erste Mal, dass das landeseigene Unternehmen mit seiner Werbung danebenliegt. Zuletzt forderte die BVG ihre Kunden auf, unter #weilwirdichlieben ihre schönsten Momente im Nahverkehr zu posten. Auf Twitter hagelte es Kommentare über unfreundliche Busfahrer.
Einen besonders faden Beigeschmack bekommen die Liebeserklärungen der städtischen Unternehmen dann, wenn sie von den Bezirzungsexperten aus der Privatwirtschaft unterstützt werden. Der öffentliche Raum wird von ihnen okkupiert, Gemeingut kommerzialisiert. Öffentliche Schilder weisen den Weg nicht nur zur Münchner Allianz-Arena.
Nun haben sich Frank Zander oder Veronica Ferres die U2 ja nicht gekauft. Die Kampagne bestätigt jedoch die fortschreitende Tendenz, öffentliche Güter zu Werbezwecken zu missbrauchen. Über den Spaß an Marketingexperimenten scheinen die Landesunternehmen gelegentlich ihren Versorgungs- oder – im Falle des Radios – Bildungsauftrag zu vergessen.
Wenn der RBB diesen Auftrag in Gottes Namen in der U-Bahn wahrnehmen möchte, könnte er ja einmal den Bahnhof Mohrenstraße problematisieren, wie es von postkolonialen Organisationen längst gefordert wird. Anstatt ausgerechnet den durch Blackfacing-Vorwürfe belasteten Dieter Hallervorden diesen unpassenden Stationsnamen ansagen zu lassen.
Kommentare 2
Wenn die Promis nur dieselbe Ansage machen, wie vorher auch war, finde ich das eher bunt, als böse. Darüber hinaus würde ich eher nicht belästigt werden wollen. Schon gar nicht ein um den anderen Tag.
Plakatwerbung im öffentlichen Raum würde ich verbieten. Plakatieren in öffentlichen Angelegenheiten wäre aber ok. (Wahlen, Aufrufe, kostenlose öffentliche Veranstaltungen, das Präsidentenwort zum Monat usw.) (Nicht dass ich alles von Gauck lesen wollte, aber als Präsi könnte er dieses Recht haben)
Aber: Ich meine, wenn Werbung Miete für eine Werbetafel zahlt, wieso kriege ich nichts dafür, wenn ich das mehr oder minder zwangsweise angucken muß?
Hallervorden und der "Mohr", na, ja. Aber rückt die lächerliche Gestalt das historische Überbleibsel nicht eher in den richtigen Rahmen? Insofern unsere Vorfahren mit dem Bestreben, sich über "Mohren" zu erheben in ihrer Einfalt bloßgestellt werden? Aber wenn es wirklich viele stört, dann will ich nicht im Wege stehen.
"Aber: Ich meine, wenn Werbung Miete für eine Werbetafel zahlt, wieso kriege ich nichts dafür, wenn ich das mehr oder minder zwangsweise angucken muß?"
(Ungefähr) passend dazu: Life Means Business.
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