74. Berlinale: Die revolutionäre Energie des Films
Filmfestspiele Was können Filme tun? Was kann man mit Filmen tun gegen autokratische Regime und Kriege? Auf der diesjährigen Berlinale sind Beispiele aus dem Iran, dem Libanon und Palästina zu sehen
„My Stolen Planet“ offenbart das Politische in privaten Bildern
Foto: Farahnaz Sharifi
Bilder von Menschen, die sich ausgelassen rhythmisch in ihren Wohnzimmern bewegen, ziehen sich durch den autobiografischen Essayfilm der iranischen Regisseurin Farahnaz SharifiMy Stolen Planet, der in der Berlinale-Sektion Panorama vorgestellt wurde. Die Lust der Tanzenden an der Bewegung überträgt sich unwillkürlich auf die Zuschauenden. In die oft dunklen, körnigen oder fast schemenhaften Bilder haben sich die widrigen Bedingungen ihrer Existenz eingeschrieben, in Form von Materialschäden, die sich wie kleine Blitze in sie hineinfressen.
Drinnen und draußen, öffentlich und privat, das sind zwei streng getrennte Sphären in Sharifis Film. Und wie einige andere Filme auf der diesjährigen Berlinale klingt die Frage an, welche Filme in einem repres
dere Filme auf der diesjährigen Berlinale klingt die Frage an, welche Filme in einem repressiven Regime möglich sind – und welche nötig. Wie können sich Bilder verhalten zu einer Macht, die sie vernichten will? Welche Möglichkeiten bleiben für die Filmemacher*innen?„My stolen Planet“: Widerstand leisten mit der HandykameraSharifi wurde kurz nach Beginn der iranischen Revolution geboren. Während draußen die strengen Regeln des islamischen Regimes gelten und die Mädchen bereits im Kindergartenalter den Hijab tragen, wird im Privaten eine andere Normalität weitergelebt. In den Wohnzimmern wird heimlich weitergetanzt und gefeiert. Tanzen wird zum widerständigen Akt.Als Filmstudentin beginnt Sharifi, exzessiv ihr Privatleben zu filmen, aber auch, die privaten Super-8-Archive wildfremder Menschen zu erwerben. Die Filmrollen, die über einen Mittelsmann auf obskuren Wegen zu ihr gelangen, digitalisiert und archiviert sie. Diese Bilder aus fremden Leben, vom Urlaub am Strand, von Ausflügen und Familienfeiern – aus Leben, wie sie vor der Revolution gelebt wurden –, üben einen ungeheuren Sog aus. Sie verbinden sich mit den Bildern aus ihrem eigenen Privatleben und bilden einen Rückzugsraum. Dass der Sammeldrang jedoch kein eskapistischer, sondern in letzter Konsequenz ein hochpolitischer Akt ist, das wird im Lauf des Films immer deutlicher.Verbindungen zu Familie und HeimatMit dem Aufkommen der Handykameras entdecken die Iraner*innen neue Möglichkeiten, Widerstand zu leisten: Indem sie ihre kleinen und großen Proteste filmen, ihre illegalen Tanzpartys ebenso wie Demonstrationen und Polizeigewalt auf der Straße, und so der internationalen Öffentlichkeit zu zeigen, was vor sich geht. Die Polizei geht gegen das Filmen mit aller Härte vor, sodass auch dieses lebensgefährlich wird. Nach dem Mord an Mahsa Amini im September 2022, als die Proteste lauter und die Repressionen immer härter werden, gibt es auch in Sharifis Freundeskreis Festnahmen. Während sich die Regisseurin als „Artist in Residence“ in Berlin befindet, beschlagnahmt die Polizei ihr Archiv in der Teheraner Wohnung – und gibt die Bilder, die von gelebten Freiheiten zeugen, damit dem Vergessen anheim. Gleichzeitig macht sie der Regisseurin damit klar, dass ihr der Weg zurück versperrt ist.Die Parallelen zu Was hast du gestern geträumt, Parajanov? (Forum) von Faraz Fesharaki, auch er in Iran geboren, liegen auf der Hand. Fesharaki hat während seines Filmstudiums in Berlin die regelmäßigen Videotelefonate mit seiner Familie in Iran aufgezeichnet. Die Übertragung ist so schlecht, dass die Gesichtszüge der Eltern oft bis zur Unkenntlichkeit verpixelt sind. Spürt man den Mangel an Nähe noch stärker, wenn man eine Pixelfläche betrachtet, hinter der man hofft, einen geliebten Menschen zu erkennen? Auch über Fesharakis Film liegt der drohende Verlust der Verbindung zu Familie und Heimat. Soll er, kann er nach dem Studium zurückkehren? Ganz allmählich entblättert sich über Alltagsberichte und kleinen Kabbeleien die aktivistische Vergangenheit der Eltern während der Zeit der Revolution, die mit dem Gefängnisaufenthalt seiner Mutter zu enden schien. Während der Film die Berliner Wohnung des Regisseurs nie verlässt, kommen die Eltern schließlich als Gäste zu ihm, bevor er ihnen nach Teheran folgt. Im Gegensatz zu My Stolen Planet findet der Film hier Trost im Privaten, in der innigen Verbindung zwischen den Eltern.„Diaries from Lebanon“: Die Wut der Frauen in BeirutVom Auf- und Abschwellen revolutionärer Energien im noch immer vom Bürgerkrieg gezeichneten Libanon erzählt Diaries from Lebanon (Panorama). Regisseurin Myriam El Hajj begleitet darin zwei junge Aktivistinnen. Die Schriftstellerin und Politikerin Joumana, deren Wahlerfolg 2018 von den Herrschenden für ungültig erklärt wurde, eröffnet ein Kulturzentrum, um sich auf diesem Weg für Demokratie einzusetzen. Die Musikerin und Filmemacherin Perla Joe wird zu einer der Stimmen der anschwellenden Proteste.Placeholder image-1Die Wut darüber, dass die Kriegstreiber nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, sondern bis heute auf Kosten der Bevölkerung auf Macht und Privilegien sitzen, bricht sich 2019 in Demonstrationen Bahn. Unter den Protestierenden, die die Plätze in Beirut bevölkern, sind viele jungen Frauen. Doch die Arbeit der Revolutionärinnen eignet sich nicht zum Heldenepos – es ist Arbeit, die zermürbt und erschöpft. Die Machthaber sitzen die Proteste aus, die Pandemie tut ihr Übriges, um die revolutionären Energien zu dämpfen. Als im August 2020 der Hafen von Beirut explodiert, werden Scherben zusammengefegt. Die Zerstörung bringt neuen Schmerz und entfesselt neue Wut. Die politische Arbeit ist eine Sisyphusarbeit, die Lebenszeit verschlingt und krank macht – und doch ist sie alternativlos.„No Other Land“: Blick hinter mediale Kulisse des Nahost-KonfliktsDas ist sie auch für den Palästinenser Basel aus No Other Land (Panorama). Schon sein Vater war Aktivist in Masafer Yatta, einem Gebiet in der Westbank, das Israel zum militärischen Übungsgelände erklärt hat. Als die Anwohner*innen den Räumungsbefehl nicht befolgen, rücken Bulldozer und Soldaten an. Der israelische Journalist Yuval kommt dazu; er will die Anwohner unterstützen und wird von manchen von ihnen mit Argwohn empfangen. Eine Freundschaft zwischen ihm und Basel entwickelt sich, die beide Perspektiven verbindet: die des Berufsjournalisten, der seinen Erfolg an der Anzahl der Views seiner Artikel misst, und die des Betroffenen, der weiß: Sein Kampf ist eine Lebensaufgabe. Nachdem ein Haus zerstört ist, werden die Kinder auf Matratzenlager in einer der noch vorhandenen traditionellen Höhlenbehausungen gebettet. Bei Dunkelheit wird ein neues Haus gebaut, die Baustelle tagsüber unter Kunstrasen versteckt. Als die Armee die Werkzeuge beschlagnahmt, wird der protestierende Bauherr durch einen Schuss tödlich verletzt.Placeholder image-2In diesem zermürbenden Hin und Her hat auch Basel das Filmen als effektvolles Mittel des Widerstands entdeckt. Und so filmt er die Soldaten bei den Räumungen. Wenn Basel zum Einsatzort rennt, bebt der steinige Boden vor Basels dramatisch wackelnder Handykamera. Zumindest medial ist Basels Strategie erfolgreich. Seine Videos erlangen Reichweite, internationale Medien senden Interviews mit ihm. Im Film verbinden sich seine Aufnahmen nahtlos mit anderen. Zugunsten der sorgfältig komponierten Geschichte dieser Freundschaft, die hier erzählt werden soll, bleiben die beiden anderen Mitglieder des vierköpfigen israelisch-palästinensischen Filmemacher*innen-Kollektivs unsichtbar. Der Blick hinter die medialen Kulissen des Konflikts ist also ein beschränkter. Das Lebensgefühl eines Aktivisten, für den sein Kampf ebenso alternativlos ist wie das Festhalten der Familien an ihrem Land, fängt der Film dennoch eindrücklich ein.
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