Der israelische Autor David Grossmann kennt den einzigen Weg für Nahost
Rezension David Grossman verlor seinen Sohn im Libanonkrieg, gab aber nie, auch nicht nach dem 7. Oktober, das Schreiben gegen Hass und Krieg zwischen Israel und Palästina auf. Sein neues Buch trägt den Titel „Frieden ist die einzige Option“
Während im Gazastreifen unerbittlich weitergekämpft wird und die Zivilbevölkerung größte Not leidet, fragen sich viele, wie es angesichts der Zerstörung und der seelischen Folgen nach dem Krieg weitergehen könnte. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2017 fragte David Grossman: „Wie viel Blut muss noch vergossen werden, bis wir einsehen, dass der Frieden unsere einzige Option ist?“ Mit der Lösung bezog sich Grossman auf die Ergebnisse sämtlicher Verhandlungsrunden seit dem Oslo-Friedensprozess von 1993 bis zum Zusammenbruch der Gespräche 2002. Es bedurfte keiner Vorhersehung, um zu wissen, dass den Menschen in der Region noch viel Leid bevorstand. Das Hamas-Massaker an israelischen Zivilisten am 7. Oktober 2023 war der Wen
Wende- und Tiefpunkt dieses Konflikts. An der Aussage, Frieden sei für Israelis und Palästinenser die einzige Option, hat sich nichts geändert. David Grossman, der nach Amos Oz wohl berühmteste zeitgenössische israelische Autor, hat unter diesem Titel eine kleine, feine Kollektion von Texten und Reden vorgelegt, die so manchem als moralischer Leitfaden dienen könnte.Der Schriftsteller verlor 2006 seinen Sohn Uri im Libanonkrieg, aber er gab sich nie Hass oder Rachegefühlen hin. Grossman betont, dass die Gräueltaten vom Oktober 2023 „aufs Konto der Hamas“ gehen und die Terroristen ihre Menschlichkeit verloren hätten. Zugleich beleuchtet er innerisraelische Fehlentwicklungen, insbesondere unter der Regierung von Benjamin Netanjahu. „Dieser Ministerpräsident ist bereit und fähig, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um das gesamte Rechtswesen zu verändern und so einer Haftstrafe zu entgehen ... Hat dieser Mann überhaupt keine Hemmungen?“, schrieb er vor einem Jahr. Die angestrebte Justizreform konnte einstweilen abgewendet werden, umso hemmungsloser scheint Netanjahu, angeklagt wegen Betrugs, Untreue und Bestechlichkeit, einen nicht gewinnbaren Krieg gegen die islamistische Bewegung zu führen, dessen Opfer in der Mehrzahl Frauen und Kinder sind.Große Sorgen formuliert der Autor, der sich mit dem „säkularen, humanistischen Judentum“ identifiziert, hinsichtlich der israelischen Demokratie. Diese vertrage sich nicht mit einem Besatzungsregime, das die Unterworfenen als minderwertig betrachte – „nicht anders sahen und sehen Antisemiten die Juden“. Über die Besatzung spreche kaum noch jemand, vielmehr ignoriere die Mehrheit der Israelis den Kern des Konflikts seit 1967. Grossman nennt das Realitätsverleugnung, ein hermetisches Selbstbild, „in dem Millionen hier beheimateter Menschen einfach nicht vorkommen“ – die Palästinenser. Die Religion winde sich „wie eine Schlingpflanze“ um die israelische Politik und trenne die Gesellschaft in Gewaltbereite und Friedenssuchende, eine Spaltung, die ihm tiefe Sorgen bereitet. Korrupte Politiker und der „kriminelle Leichtsinn“ der Sicherheitsdienste hätten ihre Bürger und das „kostbarste Pfand, die nationale Heimstätte für uns Juden“, verraten. Israel ähnele eher einer Festung, in der Menschen unter ständiger Anspannung und in Angst lebten. Er vermutet, dass das Trauma von 2023 künftig „das Wesen der Politik bestimmen, den inneren Riss, die Polarisierung vorantreiben“ werde und sein Land nach dem Krieg noch „sehr viel rechter, militanter und rassistischer“ wird.Kreislauf der SelbstzerstörungDer mit wichtigen literarischen Preisen ausgezeichnete Schriftsteller analysiert schonungslos und spart nicht an scharfer Kritik, die vielen nicht schmecken wird, die Israel idealisieren. Idealisierung bedeutet in der Psychologie, die problematischen, schwer zu ertragenden Anteile zu verdrängen. Es wäre aber nicht Grossman, nähme er nicht eine zutiefst humane Haltung ein. Krieg sei einfacher, als Frieden zu schließen, sagt er, denn das erfordere unbequeme seelische Vorgänge, was Menschen, die es gewohnt seien, zu kämpfen, als bedrohlich empfänden. Er weist darauf hin, dass die Komplexität des Konflikts lähme, womit er all jenen aus dem Herzen spricht, die verzweifelt verstummt sind. Es könnte aber auch als Hinweis an diejenigen aufgefasst werden, die ihre Lähmung mit bloßer pro-israelischer oder ausschließlich pro-palästinensischer Parteinahme überwinden wollen und nicht mehr differenzieren.Grossman hält es zu Recht für geboten, die Ängste sowohl von Israelis als auch Palästinensern wahrzunehmen und Empathie für beide zu zeigen. Gerade in Deutschland hieße das, nicht polarisierend verbalkriegerisch zu agieren und den Konflikt von außen zu befeuern. „Wenn Ihnen Frieden und Sicherheit wichtig sind, dann unternehmen Sie etwas, um Israel und Palästinenser aus dem Kreislauf der Selbstzerstörung zu erretten“, bat er 2017 in München. Tragischerweise geschah nichts, mit Folgen, die weit über den Nahen Osten hinausgehen. Auf der Berlinale nahmen Yuval Abraham und Basel Adra den Dokumentarfilmpreis für ihren Film No Other Land entgegen. Sie machten dabei als Betroffene aus ihrer Sicht auf die Lage am Ort aufmerksam. Doch es entbrannte ein Streit darüber, ob ihre Kritik als antisemitisch zu werten sei oder nicht. Beidseits wenig Freude darüber, dass hier ein Israeli und ein Palästinenser als Freunde auftraten, wenig Auseinandersetzung mit ihren Positionen. Der von Grossman bekundete Realitätsverlust scheint auch hierzulande angekommen zu sein. Sein neuer Band bietet Lesern, die noch nach einer Haltung suchen, zur rechten Zeit Orientierung.Placeholder infobox-1
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