Gaza-Hilfe: Westliche Staaten wollen den Eindruck der Mitverantwortung vermeiden

Hungersnot Die USA und Deutschland können Israel nicht veranlassen, mehr Grenzübergänge nach Gaza für humanitäre Transporte zu öffnen. Ein Zeichen für fehlendes Durchsetzungsvermögen oder für zu geringen Durchsetzungswillen?
Ausgabe 12/2024
Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern für den Gazastreifen warten Mitte März vor dem israelischen Grenzübergang Kerem Shalom.
Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern für den Gazastreifen warten Mitte März vor dem israelischen Grenzübergang Kerem Shalom.

Foto: Jack Guez/AFP via Getty Images

Ein erstes Schiff, das einen mit 200 Tonnen Hilfsgütern beladenen Lastkahn hinter sich herzog, ist vor Tagen an der Küste des Gazastreifens eingetroffen. Er wurde, wie Luftbilder zeigen, an einem Damm entladen, errichtet aus Trümmern von durch israelische Bomben zerstörten Gebäuden. Dieses Provisorium ließ erkennen, dass statt professioneller Hilfe profane Improvisation gefragt ist, um Menschenleben zu retten. Kaum anders verhält es sich mit Containern, die aus der Luft abgeworfen werden. Wer weiß schon, ob unten noch gekämpft wird und die Güter wie geborgen werden? Wer sammelt sie ein, verteilt sie gerecht?

Ein Zehntel der nötigen Lebensmittel, die das UN-Welternährungsprogramm für 576.000 Menschen in Gaza veranschlagt

200 Tonnen Bohnen, Karotten, Thunfisch, Kichererbsen und Mais, dazu Mehl, Öl und Salz, daraus bestand die erste Fracht aus dem Hafen Larnaca auf Zypern. Genau ein Zehntel der 2.000 Tonnen Lebensmittel, die das UN-Welternährungsprogramm pro Tag für 576.000 Menschen in Gaza veranschlagt, um ihnen eine Hungersnot, womöglich den Hungertod zu ersparen. Gewiss könnten auf dem Landweg mehr humanitäre Transporte in die Kriegszone gelangen, doch dürfte Israel dann nicht nur zwei Grenzübergänge öffnen: Rafah an der ägyptischen Grenze und Kerem Shalom im Norden. Warum sind es nicht mehr, wenn einflussreiche westliche Partner wie die USA und Deutschland darauf drängen? Ein Zeichen für fehlendes Durchsetzungsvermögen? Oder die Konsequenz eines noch nie vorhandenen Durchsetzungswillens, wenn es galt, Rechte der Palästinenser nicht nur zu schützen, sondern als Priorität zu betrachten – und nicht gegen das Existenzrecht Israels, das über jeden Zweifel erhaben ist, auszuspielen?

Die derzeit forcierten Hilfsaktionen hinterlassen den Eindruck, dass die Urheber auch aus Selbstschutz handeln. Man möchte dem Sog des Ansehensverlustes entgehen, den die israelische Kriegsführung in Gaza auslöst. Was in Washington, Brüssel oder Berlin unternommen wird, erscheint freilich eher wirkarm als wirksam, um einer Waffenruhe näherzukommen. Dass die EU eine Handvoll israelischer Siedler aus der Westbank sanktioniert, taugt bestenfalls zur Symbolpolitik. Es kann ein Ausdünnen des Waffentransfers oder ein mögliches Stornieren des Assoziierungsabkommens EU-Israel nicht ersetzen.

Blutbad und Besatzung

Fühlen sich die USA und Deutschland durch Israels demokratische Konstitution legitimiert, vorbehaltlosen Beistand als alternativloses Verhalten auszuweisen, darf dann ein Blutbad die Fortsetzung von Besatzungspolitik mit extremen Mitteln sein? Wer Waffen wie Vertreibung und Hunger billigt, indem Gegenmaßnahmen entfallen, droht selbst delegitimiert zu werden. Um dem international Einhalt zu gebieten, wird wieder die Zweistaatenlösung zum Königsweg verklärt. Dies geschieht aus der Sicherheit heraus, dass sie bis auf Weiteres unterbleibt. Was wiederum der Unsicherheit Rechnung trägt, nicht zu wissen, wozu ein solcher Ausweg an der Nahtstelle zwischen Afrika, Europa und Asien führt. Solange das offen ist, bleiben Israel als Vorhut des Westens in Nahost und akute Kriegsfälle wie momentan in Gaza gesetzt. Benjamin Netanjahu kann sich seine Kompromisslosigkeit leisten, weil er auf dem Boden dieser Gewissheit steht. Joe Biden und Olaf Scholz tun das ebenfalls, wenn sie Netanjahu auf Mäßigung einschwören, aber nicht ernsthaft behindern.

Die US-Wohltätigkeitsorganisation World Central Kitchen (WCK), die mit Zypern und den Vereinigten Arabischen Emiraten kooperiert, um Hilfsgüter nach Gaza zu verschiffen, hat soeben auf ihrer Website verlauten lassen, Gaza sei das „politisch komplexeste Umfeld, in dem wir je tätig waren“.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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