Seebrücke nach Gaza: Ohne eine Waffenruhe werden nicht ausreichend Menschen gerettet

Meinung Die Seebrücke nach Gaza ist ein Schuldeingeständnis, das die eigentliche Problematik kaschieren soll. Dabei wird diese Trasse der Humanität zu wenig Menschen retten – es braucht eine Waffenruhe in Nahost
Ausgabe 11/2024
Schutzlos ausgeliefert: Nahezu zwei Drittel aller Gebäude in Gaza sind nach den Angriffen Israels zerstört
Schutzlos ausgeliefert: Nahezu zwei Drittel aller Gebäude in Gaza sind nach den Angriffen Israels zerstört

Foto: AFP/Getty Images

Bevor sie wirksam wird, ist die geplante Seebrücke von Zypern nach Gaza vor allem ein Eingeständnis: Die westliche Beistandsfront für Israel kann es sich nicht leisten, nun auch noch zuzusehen, wie Tausende von Palästinensern verhungern. Menschen werden seit fünf Monaten von den Trümmern ihrer Häuser erschlagen, in die Flucht getrieben, dabei beschossen und erschossen, ihre Hospitäler geschleift, sodass medizinische Fürsorge ebenso entfällt wie die Gnade eines würdigen Sterbens.

Die Paten der israelischen Kriegsführung – allen voran die USA, nicht minder das Gros der EU-Staaten – haben das mitzuverantworten. Diese Schuld ist zu offensichtlich, als dass sie ernsthaft zu leugnen wäre. Joe Bidens Chancen, am 5. November wiedergewählt zu werden, ist das nicht eben zuträglich, wie ihm das Tausende von „unentschiedenen“ Stimmen in den Vorwahlen der Demokraten bedeuten. Da könnte man doch – nein, muss man wohl von der Unterstützer- zur Rettungsfront wechseln. Wäre es anders, würden nicht – wie zuletzt geschehen – von den USA überstürzte Maßnahmen ergriffen wie der Abwurf von Gütern aus der Luft, die töten, weil Container mit geschlossenem Fallschirm zu Boden stürzen.

Israel hat den Krieg der Bilder verloren

Israel hat in Gaza den Krieg der Bilder so unwiderruflich verloren wie bisher in keinem der bewaffneten Konflikte seit seiner Staatsgründung. Notgedrungen ist der Westen als Verbündeter im Soll und begreift mittlerweile, dass von seiner Glaubwürdigkeit umso weniger überlebt, je mehr Palästinenser sterben – und das unter grauenhaften Umständen.

Es gab jederzeit die Chance, sich aus der fatalen Komplizenschaft mit einer ultrarechten Regierung in Jerusalem zu lösen. Sie bestand, als der Internationale Gerichtshof (IGH) Ende Januar seine Entscheidung zur Völkermord-Klage Südafrikas verkündete. Darin enthalten war die Verpflichtung Israels, der Bevölkerung in Gaza die gebotene humanitäre Hilfe zu leisten, zu der eine Besatzungsmacht – völkerrechtlich – verpflichtet ist. Die US-Regierung versah den Haager Spruch mit dem Label „wertlos“, die britische verstieg sich zur Vokabel „unsinnig“. Die deutsche sprach von „unangemessen“ und belegte eindrucksvoll, was sie von einer „regelbasierten internationalen Ordnung“ hält (wozu internationale Rechtsprechung gehört), wenn die mit politischer Parteilichkeit kollidiert.

Nicaraguas Klage gegen Deutschland vor dem IGH

Nicaragua hat das veranlasst, Deutschland vor dem IGH wegen Beihilfe zum Völkermord in Gaza und in der Westbank zu verklagen. In der Begründung steht u. a., dass deutsche Hilfsgelder für die Hilfsorganisation UNRWA gestrichen wurden – und das in einem Moment, da dem Leiden und Sterben in Gaza unbedingt Einhalt zu gebieten ist. Als Israels Anwälte jüngst vor dem IGH geltend machten, dass die Hamas die Zivilbevölkerung als menschlichen Schutzschild missbrauche, erklärten die Richter, dies rechtfertige keine Operationen wie den Abwurf von 900-Kilo-Bomben über dicht besiedelten Gebieten, die zu hohen Verlusten an Menschenleben führten.

Wie viel Subtext dieser Qualität verträgt die These von Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), die Hamas müsse nur kapitulieren, dann seien Gaza Frieden und Aufatmen beschieden? Gebot der Stunde ist vielmehr eine international überwachte Feuerpause, da eine in internationaler Verantwortung aufgebaute Seebrücke nur hilft, wenn eintreffende Güter an alle Bedürftigen schnell und ohne Behinderung verteilt werden können. Dazu aber müssen die Waffen schweigen.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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