Völkermord-Verfahren vor dem IGH in Den Haag: Klare Niederlage Israels

Meinung Im Fall Südafrika gegen Israel haben die Richter Israel nun Auflagen erteilt: So wird Israels Regierung unter anderem aufgefordert, alles zu bestrafen, was zum Genozid aufstachelt. Außerdem muss Israel humanitäre Hilfe für Gaza garantieren
Ausgabe 05/2024
Die Entscheidung des internationalen Gerichtshofs in Den Haag bestätigt die Rechtmäßigkeit der Klage Südafrikas gegen Israel
Die Entscheidung des internationalen Gerichtshofs in Den Haag bestätigt die Rechtmäßigkeit der Klage Südafrikas gegen Israel

Foto: Imago/ANP

Was zu selten gewürdigt wird: Südafrika war wie kaum ein anderer Staat dazu berufen, sich vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israels Krieg in Gaza zu wenden. Dieser Kläger konnte ein moralisches Prestige geltend machen, das besonders aus einem Grund über jeden Zweifel erhaben ist. Die ultimative Abkehr von der Apartheid in den 1990er Jahren gelang ohne Blutzoll an eine Vergangenheit, die vom Prinzip „Black lives don’t matter“ beherrscht war. Es überwog das Bemühen, statt Rache und Vergeltung Ausgleich und Versöhnung zu suchen. Dieses Exempel verdient es, gerade jetzt erinnert zu werden. Es könnte Israelis und Palästinensern helfen, ein Auskommen zu finden. So weit sie auch immer davon entfernt sein mögen.

Um die Tragweite des vom IGH ergangenen Entscheids zu ermessen, sollte man nicht allein die darin enthaltene Aufforderung an Israel würdigen, sich zu mäßigen. Er ermutigt Südafrika, dem beschieden wird: Noch hat es einen Sinn, sich in der heutigen Welt rechtlichen und ethischen Normen zu verschreiben, die nicht zur Floskel verkommen, sondern Menschlichkeit stiften. Die Haager Richter haben Südafrika wie den Mitklägern Bolivien, Bangladesch, den Komoren und Dschibuti bedeutet: Bleibt dabei, im Blick auf das Handeln von Staaten auf Verhältnismäßigkeit zu achten. Auch wenn das vorläufige Urteil keine sofortige Waffenruhe in Gaza verfügt, was juristisch gar nicht möglich war, erscheint die Kritik der israelischen Kriegsmethode bemerkenswert.

Der Regierung Netanjahu haben 16 der 17 IGH-Richter (teils auch der Israeli Aharon Barak) attestiert, „dem Anschein nach“ gegen die Völkermordkonvention von 1948 zu verstoßen. Die ergangenen sechs Auflagen reichen von der Aufforderung, alles zu verhindern und zu bestrafen (!), was zum Genozid aufstachelt, bis zur Garantie von humanitärer Hilfe für Gaza. Wie angebracht das ist, konnte dem Statement der südafrikanischen Juristin Adila Hassim entnommen werden, als sie vor dem IGH die Klage ihres Landes so begründete: „Israel hat mittlerweile über 21.110 namentlich bekannte Palästinenser getötet, darunter 7.729 Kinder – mehr als 7.780 weitere werden vermisst … Es hat mehr als 55.243 weitere verwundet und ihnen enorme körperliche und seelische Schäden zugefügt.“ Zahlen, die längst überholt, weil übertroffen sind.

Staaten wie Südafrika wirken heute wie letzte Hoffnungsträger, denen man zutraut, eine der Vernunft und Kontrolle entgleitende Weltordnung nicht vollends kippen zu lassen. Dabei hilft, durch das Auftreten vor dem IGH an Ansehen gewonnen zu haben. Anders als westliche Staaten. Auch wenn Opportunismus und Lagerdenken sie ohnehin daran hinderten, in Den Haag vorstellig zu werden – es hätte ihnen an Glaubwürdigkeit gefehlt. Wer plötzlich die Zwei-Staaten-Lösung reanimiert und jahrzehntelang zusieht, wie Israel das Gebiet eines Palästinenser-Staates an sich reißt und zerstückelt, handelt nicht aus Gerechtigkeitssinn, den treibt Angst vor der Eskalation und um die eigene Haut an.

Algerien will sich nun der Umsetzung dessen annehmen, was die Haager Richter verlangen und damit einen Präzedenzfall für Recht, Humanität wie Menschenwürde geschaffen haben. Vielleicht eine letzte Chance, bevor sich der globale Süden unwiderruflich abwendet. Wozu er allen Grund hätte. Erweisen sich diese Werte – einmal nicht als Werkzeuge westlicher Vormundschaft gebraucht, sondern um Menschenleben zu erhalten – als untauglich, gilt das auch für eine sich darauf berufende internationale Ordnung.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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