Alternativer Pressespiegel

Sommerloch In einer investigativen Höchstleistung überführt der Tagesspiegel den SPD-Politiker Johannes Kahrs des Pornokonsums
Alternativer Pressespiegel

Foto: Screenshot, Twitter

Johannes Kahrs hatte also Pornobildchen in seiner Twitter-Timeline. Soweit so banal. Sicher, für einen führenden Politiker – Kahrs ist Mitglied im mächtigen Haushaltsausschuss und Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD-Bundestagsfraktion – ist das ein Stück weit peinlich, mehr aber auch nicht. Geradezu merkwürdig ist allerdings, mit welcher Verve der Tagesspiegel sich diesem Thema widmet. Nach der ursprünglichen „Enthüllung“ sah sich die Redaktion offenkundig noch genötigt, der Welt zu erklären, dass es eben ganz und gar nicht egal sei, was ein Bundestagsabgeordneter sich auf dem Handy anschaue. Kahrs' Homosexualität spielte angeblich keine Rolle für die Veröffentlichung. Es gehe ausschließlich darum, dass der Abgeordnete über den Twitter-Account auch eine offizielle Funktion einnehme. Das kann man glauben oder nicht. Tatsächlich nutzt Kahrs sein Profil aber auch für politische Kommunikation.

Nicht Skandal, nur Posse

Haben wir in Deutschland jetzt also endlich auch unseren politischen Twitter-Sex-Skandal? In den USA stolperten schließlich schon eine ganze Reihe Kongressabgeordnete über – nennen wir es mal „unangemessene“ Kommunikation mit potentiellen Wählern. Alles voran Anthony Weiner, der nicht nur wegen der schönen Doppeldeutigkeit seines Namens verbunden mit expliziten Bildern und Nachrichten an ihm in realen Leben unbekannten Damen seine Hoffnungen begraben musste, irgendwann einmal Bürgermeister von New York zu werden. Verglichen mit solcher politischer Dummheit schrumpft Kahrs' alternativer Pressespiegel zur Posse.

Schließlich geht es niemanden etwas an, welchen Inhalten der Abgeordnete auf Twitter folgt. Sicher, es hätte ihm klar sein müssen, dass die Liste seiner Abonnements öffentlich einsehbar ist – Kahrs ist kein Twitter-Anfänger, sondern nutzt den Dienst sehr rege. Sonderlich clever war es also nicht, mit seinem offiziellen Account ein paar Dutzend Pornoanbietern zu folgen. Aber welchen Schaden hat er dadurch bitte angerichtet? Dass er seine rund 6000 Follower mit Retweets von „anzüglichen Bildern“ (Tagesspiegel) belästigt hätte, ist nicht bekannt. Und dass viele Kinder eifrig das Twitter-Profil des direkt gewählten Bundestagsabgeordneten des Wahlkreises Hamburg-Mitte auf der Suche nach Sexbildern durchsuchen, dürfte noch unwahrscheinlicher sein, als dass sie sich zufällig auf das Profil des 50jährigen verirren. Für einen Skandal taugt Kahrs' Twitter-Account nicht. Schlimm genug, dass er für den Versuch herhalten musste, mit Prüderie das Sommerloch zu stopfen.

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Geschrieben von

Julian Heißler

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