Ärger im Paradies: "Klimakleber" stören die Gated Community Sylt

Die Letzte Generation Mit ihren Aktionen auf Sylt treffen Aktivist*innen der "Letzten Generation" endlich diejenigen, die Macht, Geld und Einfluss haben und wesentlich die Klimakatastrophe mitverantworten. Das ist ein positives Signal.

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Im Sommer 2022 verordnete die Bundesregierung regelrecht die Terrorisierung des insulanischen Wohlstandsfriedens auf Sylt, denn die Invasion der unzivilisierten Festland-Barbaren war mit dem 9-Euro-Ticket vorbestimmt. Die allermeisten Regionalbummelbahnreisenden, die damals schaulustig mit der Billig-Reiseflatrate auf die berüchtigte Insel der Reichen, Prominenten und Snobs gelangten, besaßen nicht einmal einen Privatjet! Sogar Punks „eroberten“ Sylt und störten die Ruhe – die Befürchtungen derjenigen, die sich durch Erbe und Zufallsreichtum ihre Inselwohnhaft redlich verdient hatten, traten ein.

Nun aber sind auch die Wilden mit den orangenen Westen, die sich doch sonst meist damit begnügen, auf Autobahnzubringern den Berufsverkehr zu behindern, aber die Reichen und Mächtigen in Ruhe lassen, in der Gated Community angekommen: Demonstrant*innen der „Letzten Generation“ nehmen – mit den Worten der Rheinischen Post – „wohlhabende Menschen ins Visier: Mit ihren Aktionen wollen sie sich nun gegen Reiche wenden, die sie in erster Linie für die Klimakatastrophe verantwortlich sehen.“ Nachdem man sich Zugang zum Flughafen Westerland verschaffen konnte, besprühte man dort den Privatjet eines „Immobilien-Mogul[s] aus Grevenbroich“ mit der üblichen orangenen Farbe und richtete somit natürlich einen gehörigen Sachschaden an. Der von den Aktivist*innen plakatierte Slogan „Euer Luxus = Unsere Dürre“ fasst ganz gut die sinnvolle Kritik zusammen.

Aber das war nicht alles: Auch die Bar eines Luxushotels wurde mit Farbe besudelt! Deshalb titelt t-online „Den Syltern reicht es“. Denn auch auf Sylt wird aus Sorge vor mehr Attacken auf das Privateigentum schnell Wut auf die Störenfriede, in der sich eine Legitimation zur Selbstjustiz gesucht wird: So „warnen sich die Inselbewohner nun gegenseitig über WhatsApp. […] Zu einem selbst gebastelten Fahndungsplakat, welches sechs Aktivisten der "Letzten Generation" zeigt, heißt es: "Das sind die Umweltterroristen der 'Letzten Generation', die gerade auf Sylt Anschläge gegen Infrastruktur und Hotels und Gastronomie durchgeführt haben und weitere Straftaten planen. Bei Sichtkontakt besser direkt beherzt das Hausrecht durchsetzen. Wer angegriffen wird, darf sich verteidigen."

„Terroristen“, „Anschläge“, ja, wir Festland-Deutschen kennen solche Titulierungen in Bezug auf die Klimaschutz-Proteste von Reaktionären und Protofaschist*innen aus CDU, CSU, FDP und AfD bereits. Da hilft natürlich nur mehr Polizeipräsenz auf der Insel! Auch die Bundespolizei soll wohl vermehrt Reisende aus den Zügen kontrollieren. Denn das Privateigentum der Reichen und Mächtigen muss verteidigt werden, das ist der ewige Sinn und Zweck der Polizei. Vielleicht entdecken die Insulaner*innen auch noch die Privatstadt-Bewegung für sich, wie es gerade im mittelsächsischen Döbeln der Fall ist? Gegenstaatliche „Parallelstrukturen“, gefördert durch das Netzwerk „Free Cities Foundation“ müssten doch eigentlich ganz im Sinne der geplagten Sylter*innen sein: Sich von staatlichen Institutionen loszusagen und selbst das Ruder in die Hand zu nehmen, um mit einem eigenen privatwirtschaftlichen, unregulierten Sicherheitsdienst nach eigenen Vorstellungen gegen die „Klimakleber“ und andere Rumlungerer vorzugehen ist ein rechtslibertärer Traum, der auch im Nordsee-Paradies verfangen könnte. Vielleicht könnte man dann auch alle Zugänge zu Sylt kappen? Ohne Privatjet kein Zutritt? Wer weiß.

Und ja, die Eindringlinge planten sogar Schlimmeres: Denn vor dem Luxushotel Lanserhof sollen Aktivist*innen „rumgelungert“ haben, so wurde es beobachtet. Ein „immenser Angriff auf unsere Tourismuswirtschaft“ sei das, klagt der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. Da wünscht man sich doch die Punks zurück, die wenigstens selbst so etwas wie Tourismus darstellten.

Mit Blick auf die „Letzte Generation“ lässt sich nur sagen: Endlich trifft es die richtigen! Vielleicht sind sie jetzt auf einem guten Weg, die Orte zu finden, an denen sie diejenigen stören, die wirklich maßgeblich die Klimakatastrophe zu verantworten und Einfluss auf die Politikgestaltung in diesem Land haben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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