Die Liebeshandlung (0 - 110) || Erst mal anfangen

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Dieser Text ist Teil eines Projekts: Wir lesen gemeinsam Die Liebeshandlung von Jeffrey Eugenides


Erst der Anfang:

Nachdem ich den Klappentext gelesen habe (Pulitzer-Preis, "Welt"-Literaturpreis) habe ich ein schlechtes Gewissen; ich sollte Eugenides kennen. Stattdessen starte ich völlig unvorbereitet und naiv mit der Liebeshandlung. Ich habe noch nie etwas von ihm gelesen, nicht die Verfilmung der Virgin Suicides gesehen und nicht recherchiert, bevor ich angefangen habe zu lesen. Nur leider bin ich trotz allem vorbelastet: meine habilitierende Dozentin hat mit (eher zufällig) ihr nüchternes Urteil vorgesetzt, was ich bis jetzt nicht wieder aus dem Kopf bekommen habe (deshalb erspare ich allen anderen LeserInnen hier die Details). Aspektbezogenes Lesen ist bei Romanen leider wirklich unschön.

Trotzdem kann man sich ganz einfach in die Erzählung fallen lassen; Eugenides hat mich schon nach den ersten zwei Seiten soweit, dass ich erwartungsvoll weiterlese. Er schafft eine komfortable Lesestimmung und lädt ein: „Zunächst mal, schauen Sie sich all die Bücher an.“ (S.11) Es kann losgehen, ich schaue.


Erste Frage:

Wer sind die romies Stevie und Moo Moo, denen das Buch gewidmet ist? Wird das ein Collegeroman?


Erste Freude:

Es läuft sauber und glatt. Der bestechende Erzählstil geht runter wie Öl, die Charaktere werden ordentlich und strukturiert eingeführt. Erst Madeleine, dann der Vater, Mutter, Mitchell usw. Madeleines Kater von der wilden Party am Vorabend macht ein bisschen Jugendroman-Gefühle, ist aber charmant.

"Wie ein riesiger Vogelkäfig war er aus gebogenen Metallstäben gefertigt, ein Wunder, dass er überhaupt noch funktionierte, aber er bewegte sich in Zeitlupe, und während er langsam nach unten sank, nutzte Madeleine die Gelegenheit, sich ein wenig herzurichten. Sie kämmte sich das Haar mit beiden Händen. Sie nahm den Zeigefinger, um sich die Schneidezähne zu polieren. Sie rieb sich krümelnde Wimperntusche von den Augen und befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Schließlich, als die an der Ballustrade im ersten Stock vorbeikam, warf sie einen prüfenden Blick in den kleinen Spiegel an der Wand dahinter. Das Beste daran, zweiundzwanzig oder vielmehr Madeleine zu sein Hanna zu sein, war die Tatsache, dass drei Wochen Liebesqualen, gefolgt von einer Nacht besinnungsloser Trinkerei, kaum sichtbaren Schaden hinterließen." (S. 17 f.)


Erstes Mal laut gelacht:

„Alton, der nicht ohne Zeitung frühstücken konnte, hatte sich eine liegen gelassene Village Voice vom Nebentisch genommen und las. Phyllida starrte unverholen auf das pinkhaarige Mädchen.

„Glaubst du das ist bequem?“, erkundigte sie sich leise.

Als Madeleine sich umdrehte, sah sie die tausend Sicherheitsnadeln, von denen die zerfetzten Jeans des Mädchens zusammengehalten wurden.

„Wie soll ich das wissen, Mummy? Geh doch hin und frag sie selbst.“

„Ich hab Angst, dass sie mich pikst.“

„Diesem Artikel zufolge“, sagte Alton, die aufgeschlagene Voice vor sich, „hat es bis zum neunzehnten Jahrhundert keine Homosexualität gegeben. Sie wurde erst erfunden. In Deutschland.“

Der Kaffee war heiß, lebensrettend, gut.

(S.24)


Erster Seufzer:

Die Verweise auf Werke und Wirken verschiedener Künstler erscheint mir zwischendurch als mehr oder weniger exzessives Name-Dropping. Zeigt sich hier das erschreckende Ausmaß meiner Bildungslücken oder kommen hier nur englische Literaturwissenschaftler noch richtig mit? Oder liegt es daran, dass ich erst in den 80ern geboren wurde? Ehrlich gesagt wusste ich weder was eine David-Castello-Brille ist (S. 23), noch wie ein Charles-Addams Cartoon (S. 13) aussieht, und so geht es munter fort. Ich lese also mit dem Laptop neben dem Sofa und habe zehn Googletabs offen, aber das hemmt das Kopfkino, also gebe ich es wieder auf. Allerdings verpasse ich so auch wunderbare Bilder die sich einstellen, z.B. als ich eine Bildrecherche über Betty Page mache und mir kunstvolle schwarz-weiß Aufnahmen ansehe. („An die Theke gelehnt, unterhielt er sich angeregt mit einem Mädchen, das die Ausleihe bediente und unglücklicherweise ziemlich süß war, mit vollbusigem Bettie-Page-Appeal. “ S. 70) Klick, danach weiß ich sofort was Eugenides meint.

Möglicherweise ist seine Art des Name-dropping aber auch eine Parodie, schließlich schreibt er: „In der wirklichen Welt ließ man Namen wegen ihrer Berühmtheit fallen. Auf dem College ließ man Namen als Geheimtipp fallen – je obskurer, desto besser." (S. 42)


Erster Zeitsprung:

Wie ein kleiner zweiter Anfang, das gefällt mir. Von Seite 36 aus geht’s im Fast Forward erst auf Seite 110 wieder weiter, dazwischen lernen wir Leonard kennen (Herzklopfen). Bin gespannt, wie die Erzähstränge sich später verschränken – Eugenides ist ja bekannt für ménage à trois Geschichten. Ein wirklich schönes Detail sind die kleinen hellgrauen Punkte, die eine Art Unterkapitel und/oder Perspektivwechsel der Erzählstimme markieren; den ersten hätte ich fast überlesen. (S. 110)


Erstes Mal nickend geschmunzelt:

„Englisch war das Fach, das alle studierten, die nicht wussten, was sie studieren sollten.“(S. 39.) Das trifft den Nagel auf den Kopf und ist bei meinen (Ex)-KommilitonInnen ein geflügelter Spruch, der für mindestens neunzig Prozent aller Geisteswissenschaftler gilt (Englisch kann dann synonym für alle anderen Disziplinen ausgetauscht werden werden). Insofern verweist Madeleines : Was-soll-ich-mit-meinem Leben-machen-Unsicherheit einen zeitgenössischer Diskurs verwirrter Akademiker(absolventen). „Was passiert, wenn es mit euch beiden nicht läuft? Wo bleibst du dann? Dann hast du nicht einmal mehr ein Dach über dem Kopf. Und nichts zu tun.“, bemerkt ihre Mutter Phyllida (S. 25). Fast existenzialistisch. Ich würde mal die steile These wagen, dass auch Leonards Krankheit viel mit diesem Verloren-sein und Zukunftsangst zu tun hat.


Erster Blick ans Ende:

Eugenides hat ein Quellenverzeichnis angehängt, was wahrscheinlich einem Hundertstel der im Roman angesprochenen Werke entspricht. Was soll uns diese Auswahl sagen, frage ich mich. Intertextuelle Verweise? Ein Hinweis auf den wissenschaftlichen Anspruch des Buches? Auf jeden fall weckt es meine Neugier. Die Fragmente einer Sprache der Liebe habe ich mir schon mal bestellt.


Erster Nachteil:

Ich bin, was Bücher betrifft, ein Analogfetischist. Ich mag es, umzublättern und Seiten in der Hand zu haben. Aber zum Stellen zitieren beim bloggen beneide ich die E-Booklerinnen, die copy-pasten können (an dieser Stelle Entschuldigung für mögliche Zitierfehler)


Erster Impuls:

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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