F.I.N.D #1 - Eröffnung mit Fräulein Julie

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Am Freitag startete das Festival für Internationale Neue Dramatik an der Schaubühne zum zwölften Mal

Auf dem Kurfürstendamm kurz vor der Schaubühne steht eine kleine ältere Frau mit Leopardenmantel, roten Lippen und blonder Dauerwelle. „Haben Sie noch ein Ticket?“, fragt sie. Die Karten für das Eröffnungsstück sind schon seit langem ausverkauft, in Russland wurden sie auf Ebay angeblich für bis zu 500 Euro gehandelt. Kein Wunder: die drei Hauptdarsteller (Jewgenij Mironow, Tschulpan Chamatowa, Julia Peresild) der Inszenierung von Thomas Ostermeier sind in Russland große Stars, die nicht nur auf der Bühne, sondern auch in Filmen mitwirken. In Russland spielt der Starkult bei den Theaterbesuchen eine wichtige Rolle, schrieb Ostermeier vor kurzen im Freitag.

Das Publikum des Abends erinnert mich an Szenen aus Tolstois Anna Karenina: es scheint, hier hat sich die russische High Society versammelt. Neben teuren Pelzmänteln sind abenteuerliche Lackpumps und kurze Leopardenminis zu bewundern außerdem eine ganze Staffage an Louis-Vuitton-Handtaschen, russische Wortfetzen klingen durch die Eingangshalle. Die aufgekratzte Masse schiebt sich in den dunklen Saal. Ich habe einen super Platz bekommen und sinke schamvoll in den Sitz, wissend um all die enttäuschten Theaterfans, die draußen vor der Tür stehen und über die lange Warteliste keinen Platz mehr ergattern können. Regisseur Ostermeier bat auf der Pressekonferenz bereits darum, keine Werbung mehr für das Stück zu machen; es sei restlos ausverkauft.

Fräulein Julie wurde in Russland schon mehrfach aufgeführt, die Premiere hatte Ostermeier am Moskauer Theater der Nationen eingerichtet, nun ist der Abend erstmals in Deutschland zu sehen. Der russische Dramatiker Michail Durnenkow hat für die Inszenierung August Strindbergs Drama von 1888 adaptiert. Der Flyer informiert über den Inhalt: „In einer Sylvesternacht im Landhaus eines reichen russischen Businessmanns und Ex-Militärs flirtet seine Tochter Julie mit dem Chauffeur Jean. Der verspricht sich durch eine Beziehung mit ihr Aufstieg und Macht. Wie in der schwedischen Ständegesellschaft, die Strindberg beschreibt, stehen in der russischen Gegenwart extreme soziale Gegensätze zwischen beiden und lassen ein tragisches Ende im Neujahrsschnee unausweichlich erscheinen."

Bouillon für den Hund

Den ersten Auftritt hat ein totes Huhn, dem Kopf und Füße abgehackt werden. Es erinnert mich an das letzte Mal als ich ein Huhn auf der Bühne gesehen habe. In der Inszenierung Mein Kampf am Frankfurter Schauspiel wurde das tote Federvieh gerupft, brutal zerfleischt, mit den Händen und Zähnen Kopf und Flügel abgerissen und schließlich in eine Pfanne über einem Gaskocher geworfen. Der Geruch aus verbranntem Fleisch und Gas war überwältigend, mit wurde schlecht und ich musste mir schließlich einen Schal vors Gesicht halten. Diesmal wird das Huhn Teil einer duftenden Bouillon für den kranken Hund der Dienstherrin – und gibt einen Vorgeschmack auf die Hierarchieverhältnisse der Figuren.

Nach einem erstaunlich langsamen Anfang, eskaliert die Situation zwischen den drei Figuren. Im Zentrum steht dabei die Machtfrage zwischen Julia und ihrem Chauffeur, die gleichzeitig eine Frage der Geschlechterverhältnisse ist. Wer nutzt hier wen aus? Wer hat die Fäden in der Hand? Wer ist erpressbar? Was willst du von mir? Wozu (miss)brauchst du mich? In Spannungsfeldern rund im Sex, Tod, Geld, Pragmatik, Herkunft und Erziehung werden diese Fragen aufgeworfen. Authentisch wirken sie durch die überzeugende schauspielerische Leistungder Darsteller.

Bestechend ist der charmante Witz, mit dem der Text die teils schwermütigen Dialoge aufhellt. Insgesamt hält die Inszenierung hält keine großen Überraschungen bereit (der geschickte Einsatz Ostermeier'scher Close Ups mit Live-Kameras kennt man bereits ebenso die Drehbühne). Obwohl es mir gefallen hat - wirklich emotional mitgerissen war ich nicht. Am Ende gibt es noch einen heiteren Zwischenfall - einer der Schaupielstudenten, der eine Rolle als Statist während einer Partyszene hatte, verirrt sich zu früh auf die Bühne zum Schlussapplaus. Er tritt verlegen von einem Bein aufs andere und drückt sich schamrot auf der Bühne herum. Die drei Hauptdarsteller verbeugen sich währenddessen, sammeln Blumensträuße ein und ignorieren den armen jungen Mann beflissentlich.

Putins Ständchen

Fräulein Julie ist eines der zwei großen Gastspiele des diesjährigen Festivals. Die TAZ schrieb am 2. März nach der Programmvorschau des Dramaturgen, man erahne die Sehnsucht der Theatermacher, sich an der Wirklichkeit zu reiben. Außerdem klinge in dem Festival der Druck an, den die sozialen und politischen Realitäten auf die Kunst ausüben. Gemeint ist damit die Auswahl der Stücke. Die Theatergruppe Blitz aus Griechenland mit dem Stück Galaxy beispielsweise. Sie lässt Stimmen aus dem Jenseits zu Wort kommen. Von Schwerverbrechern, Politikern und Dichtern, die über verlorenen Hoffnungen und vergangene wie gegenwärtige Ideen zur Weltrettung sprechen. Seit letztem Jahr gibt es außerdem das Zusatzprogramm F.I.N.D. Plus. Es handelt sich um ein Arbeitstreffen von Schauspiel-, Dramaturgie- und Regiestudenten aus unterschiedlichen Ländern begleitet. Dieses Jahr werden beispielsweise drei Theatertechniker aus Dschenin, Palästina unterstützt; der israelische Leiter ihrer Schule und politische Aktivist, Juliano Mer Khamis, wurde letztes Jahr ermordet. Sie machen nun im Rahmen des Begleitprogramms ein Praktikum an der Schaubühne.

Auch Fräulein Julie rekurriert auf die gegenwärtigen russischen Verhältnisse. Die sechswöchigen Probezeit in Moskau wurde nicht nur von den gesellschaftlichen, sondern auch politische Geschehnissen beeinflusst. Eines der Vorzeigebeispiele ist die ambivalente Rolle Putins für das Theater – er sang dort bei der Eröffnungsgala ein eigenwilliges Ständchen, Hauptdarsteller Mironow besuchte widerwillig dessen alljährliche Fernsehshow. Das Theater der Nationen geht diese Kompromisse ein, da es existenziell von seinen Geldern abhängig ist.

Die aktuellen politischen Machtkämpfe finden sich allerdings nicht in der Aufführung wieder. Stattdessen aber Ostermeiers persönliche sozial-gesellschaftlichen Beobachtungen. In seinem Artikel im Freitag schreibt er von gelangweilten Frauen mit einem kleinen Hündchen auf dem Arm. Tatsächlich stakst Julia dann in abenteuerlichen High Heels und einem kleinen schwarzweißen Fellknäuel über die Bühne. Nachdem der Welpe blutig abgeschlachtet worden ist, feiert er am Ende bei der Verbeugung seine Wiederauferstehung. Erstaunlicherweise ist dies der einzige Moment, zu dem der sonst sehr verhaltene Applaus aufbrandet.

Fräulein Julie nach August Strindberg

Bearbeitung von Michail Durnekow

Gastspiel - Theater der Nationen, Moskau

Regie: Thomas Ostermeier

Mit: Jewgenij Mironow, Tschulpan Chamatowa, Julia Peresild

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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